06/20: Türkei: Mord im Auftrag des Staates

Quelle: Türkei: Mord im Auftrag des Staates. Telepolis. 01.07.20 Elke Dangeleit

Mit Drohnen gegen die Zivilbevölkerung; weitere Angriffe im Nordirak. Deutsche Waffen in Libyen.

Im Krieg gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei, in Nordsyrien und im Nordirak setzt die Türkei zunehmend Kampfdrohnen ein. Mit dem Argument, gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK vorzugehen, versucht sie ihre völkerrechtswidrigen Angriffe in den Nachbarländern zu legitimieren. Tatsächlich trifft es jedoch die Zivilbevölkerung: vor allem Frauen und Kinder.

Letzte Woche wurden in einem Dorf bei Kobane im Norden Syriens drei Zivilistinnen, darunter zwei Aktivistinnen der kurdischen Frauenorganisation Kongreya Star durch eine türkische Kampfdrohne der türkischen Armee getötet. Trotz der eindeutigen Täterschaft der Türkei war diese extralegale Hinrichtung syrischer Staatsbürgerinnen innerhalb Syriens fast allen deutschen Medien keine Meldung wert.
Gezielte Anschläge

Das Dorf Helince liegt drei Kilometer südöstlich von der Stadt Kobane. Hier saßen die beiden Leitungsmitglieder der kurdischen Frauenorganisation von Nord- und Ostsyrien, Zehra Berkel (30) und Hebun Mele Xelil, im Garten der 60jährigen Hausbesitzerin Amina Waysi. Berkel war Koordinatorin des feministischen Dachverbandes Kongreya Star für das Euphrat-Gebiet und Xelil gehörte der Leitung des Frauenverbandes in Kobani an.

Eine Kampfdrohne der türkischen Armee beschoss das Wohnhaus der Frau, alle drei Frauen starben. Der Frauendachverband Kongreya Star spielt in Nord- und Ostsyrien eine wichtige Rolle im Kampf um Gleichberechtigung und Frauenrechte. Diese zivilgesellschaftliche Organisation ist tief in der Gesellschaft verwurzelt, sehr viele Frauen bis hinein in die Dörfer sind in ihr organisiert.

Telepolis berichtete vor kurzem von den Bemühungen der türkischen Regierung, die demokratische Frauenbewegung in der Türkei zu zerschlagen. Dieser Mord zeigt erneut, dass das türkische Regime nicht vor territorialen Grenzen haltmacht, wenn es darum geht, linke, demokratische, oder emanzipatorische kurdische Bewegungen zu terrorisieren und zu zerschlagen.

Schon 2013 wurden drei kurdische linke Frauenrechtlerinnen in Paris durch einen türkischen Agenten ermordet, darunter die bekannte Revolutionärin Sakine Cansiz, die sich in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) engagierte. 2016 wurden drei kurdische Politikerinnen in der türkischen Grenzstadt Silopi durch türkische Soldaten ermordet. Im Oktober 2019 wurde die Vorsitzende der Syrischen Zukunftspartei, Hevrin Khalaf, während des türkischen Einmarsches in Nordsyrien von Mitgliedern einer protürkischen Miliz ermordet.

Wenige Stunden vor dem Drohnenangriff bei Kobane detonierte ein Sprengsatz vor dem Frauenzentrum in Basira in der ostsyrischen Region Deir el-Sor. Dieser Angriff wird der protürkischen Miliz Ahrar Al-Scharkija zugeordnet.
Jelpke: Drohnenangriff ist ein Kriegsverbrechen

Die Bundestagsabgeordnete und innenpolitische Sprecherin der Linkspartei, Ulla Jelpke, bezeichnete den Drohnenangriff als Kriegsverbrechen und Akt des Staatsterrorismus. Sie erinnerte daran, dass der Drohnenangriff erfolgte, „wenige Tage nachdem die türkische Luftwaffe das Flüchtlingslager Maxmur und die Siedlungsgebiete der Jesiden sowie kurdische Dörfer im Nordirak bombardiert hat“.

„Statt Erdogans neo-osmanischen Größenwahn weiterhin durch ihr Schweigen, finanzielle Hilfen und Unmengen an Waffen zu unterstützen, muss die Bundesregierung jetzt klare Kante zeigen und ihre einseitig an geopolitischen und Wirtschaftsinteressen orientierte Kollaboration mit Ankara endlich aufkündigen.“

Kamal Sido von der Gesellschaft für bedrohte Völker berichtet, dass die Menschen vor Ort sich sicher seien, „dass der Anschlag der kurdischen Aktivistin galt, die sich seit Jahren für die Rechte der Frauen in Syrien einsetzt“.
Angriffe auf Kobane

Die Stadt Kobane sei für die kurdische Bevölkerung und viele andere Menschen weltweit ein Symbol gegen die Tyrannei des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) geworden. Die Türkei greife nun genau diese Stadt an, um die islamistische Agenda von Erdogan zu befördern.

Kritiker weisen darauf hin, dass das Gebiet um Kobane seit Oktober 2019 zum russischen Einflussgebiet gehöre. Da dort regelmäßige russisch-türkische Militärpatroullien stattfinden, sei es unwahrscheinlich, dass Russland über die Angriffe nicht Bescheid wusste. Es wird auch darauf hingewiesen, dass dem türkischen Staatsterror durch eine Sperrung des Luftraumes für türkische Kampfflugzeuge und Kampfdrohnen ein Ende gesetzt werden könne. Anscheinend fehle aber der politische Wille Russlands dazu.

Schon länger gibt es Gerüchte, dass die Türkei das symbolträchtige Kobane ebenso annektieren wolle wie die annektierten Gebiete Afrin, Sere Kaniye (Tell Abyad) und Gire Spi (Ras al-Ain), um die kurdische Bevölkerung zu demütigen.

Wie in der Türkei geht es Erdogan darum, diejenigen Kurden zu demütigen und zu verfolgen, die sich für ihre Minderheitenrechte einsetzen. Um dies der eigenen Bevölkerung nahe zu bringen, bedient er sich des bekannten Framings, wonach alle nicht assimilierten Kurden, alle Kurden, die sich für die Anerkennung als ethnische Gruppe im Vielvölkerstaat Türkei einsetzen, zu „Terroristen“ erklärt werden und als Unterstützer der PKK.
Türkischer Drohnenkrieg eskaliert im Nahen Osten

Der Einsatz türkischer Kampfdrohnen in den Konfliktgebieten des Nahen Ostens birgt neues Konfliktpotential. In den westlichen Medien wird dieses Thema weitgehend totgeschwiegen, und dies obwohl das Nato-Mitglied Türkei auch damit zunehmend gegen Nato-Interessen agiert. Die Türkei maßt sich immer mehr an, ohne Beachtung territorialer Grenzen nicht nur Angehörige bewaffneter Gruppen, sondern auch ihr unliebsame Politiker und Zivilisten mit Drohnen „hinzurichten“.

So sterben auch im Nordirak immer wieder Zivilisten durch türkische Drohnen, Kampfhubschrauber oder Kampfbomber. Zuletzt bombardierten türkische Kampfflugzeuge den Ausflugsort Kani Masi bei Suleymania. Seit der neuen türkischen Operation „Adlerklaue“ vom 15. Juni im Nordirak sind mindestens 5 Zivilisten bei Luftangriffen getötet worden. Das türkische Verteidigungsministerium erklärte, es seien keine Zivilisten geschädigt worden, sie hätten nur „Terroristen“ im Visier.

Ein Video der irakisch-türkischen Nachrichtenagentur Rudaw, das eine Familie mit kleinen Kindern zeigt, die in einem Gewässer spielen und plantschen, bis ein Luftangriff die Situation auf den Kopf stellt, liefert allerdings ein anderes Bild.

Die Konsequenzen des Drohnenkriegs der Türkei sind noch unklar. Noch kann Erdogan seine Kampfdrohnen überall hinschicken, ohne dass die internationale Gemeinschaft oder die Nato sich dagegen wehrt. Denn bisher richtet sich der türkische Drohnenkrieg ja nur gegen Minderheiten und politische Gegner im Nahen Osten. Die Kampfdrohnen „Bayraktar“ werden von der Firma der Familie des Erdogan-Schwiegersohns produziert.

Inzwischen sind sie auch vor der EU-Haustüre stationiert – z.B. auf einem türkischen Drohnenstützpunkt in Nordzypern. Vor diesem Hintergrund der Bedrohung eines EU-Mitglieds müssten eigentlich auch die deutschen Waffenlieferungen an die Türkei in Milliardenhöhe dringend hinterfragt werden: Was ist das für ein Argument, man liefere keine Waffen für den Einsatz in Syrien, sondern nur maritime Komponenten?

Sind die maritimen Waffen der Türkei nicht gerade zum Einsatz gegen Zypern und Griechenland vorgesehen, und werden sie nicht bereits im libyschen Bürgerkrieg eingesetzt, letztlich auch, um die illegalen türkischen Waffenlieferungen nach Libyen zu eskortieren?

Mit deutscher Hilfe werden derzeit die türkischen Seestreitkräfte hochgerüstet, die im östlichen Mittelmeer türkische Gasbohrungen in der zypriotischen und griechischen Wirtschaftszone schützen und dort die Bohrschiffe anderer Staaten bedrängen.

Die Türkei betrachtet den östlichen Mittelmeerraum als türkische Wirtschaftszone, einschließlich der Gebiete um griechische Inseln östlich von Kreta, die laut internationalem Seerecht zu Griechenland, Zypern und Ägypten gehören.

Türkei bricht Waffenembargo gegen Libyen
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Türkei: Mord im Auftrag des Staates
Türkei bricht Waffenembargo gegen Libyen
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Auch in Libyen hat die Türkei größere Begehren. Um ihren Einfluss in diesem Teil des Mittelmeeres zu sichern, verhandelt sie im Moment mit der libyschen Regierung über zwei permanente Militärbasen, eine Marinebasis bei Misrata und einen Militärflughafen bei al-Watija.

Über diese Wege könnten dann deutsche Waffen auch nach Libyen gelangen. Schon jetzt gelangt über die Türkei deutsches Kriegsgerät nach Libyen, berichtete die Tagesschau am 26. Juni. Report München und dem Stern liegen demnach Vernehmungsprotokolle und Videoaufzeichnungen von Seeleuten im Hafen von Genua vor. Daraus geht hervor, dass das türkische Schiff Bana, das offiziell Autos an Bord nehmen sollte, tatsächlich Mercedes-Militärunimogs, bestückt mit Kanonen und Radaranlagen, und MAN-Militärfahrzeuge an Bord hatte, die dann im libyschen Hafen von Tripolis abgeladen wurden.

Belegt wird dies durch ein heimlich aufgenommenes Video im Frachtraum der Bana. Kurz darauf kursierte ein Video in den sozialen Medien, das mehrere Unimogs auf einer Straße in der Nähe des Hafens von Tripolis zeigte. Ein weiteres Video zeigt einen Militärkonvoi auf einer libyschen Schnellstraße, ebenfalls mit Militärfahrzeugen der deutschen Firma MAN.

Zwar hatte sich die Türkei, wie auch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), auf der Libyen-Konferenz im Januar in Berlin verpflichtet, das 2011 verhängte Waffenembargo einzuhalten – dies wenige Tage bevor das türkische Schiff Bana Tripolis anlief. Trotzdem halten die türkischen Waffenlieferungen an. Die Türkei entsandte auch eigene Soldaten und syrische, islamistische Milizen als Söldner nach Libyen.

Das Vorgehen der Türkei stehe im direkten Widerspruch zu dem, wozu sich Präsident Recep Tayyip Erdogan auf der Berliner Konferenz verpflichtet habe, sagte der französische Präsident Macron. Es ist ein Verstoß gegen das gegebene Wort, es ist ein Angriff auf die Souveränität Libyens und es ist ein Angriff auf die Sicherheit aller Europäer und Bewohner der Sahelzone.
Tagesschau

Die Türkei und die VAE sind Großkunden der deutschen Waffenindustrie und beide halten sich nicht an das Waffenembargo. Beide versorgen in Libyen verschiedene Seiten mit deutschen Waffen. Die Türkei versorgt die Einheitsregierung des Präsidenten Fayez al-Sarraj, die auch die Bundesregierung, Italien und Katar unterstützt.

Die Emirate unterstützen wie Russland, Frankreich und Ägypten die Truppen von General Khalifa Haftar. Haftar besitzt aber auch Mörsergranaten von Rheinmetall und emiratische Luftabwehrsysteme des Typs Pantsir auf MAN-Trucks.

Der Tagesschaubericht ist peinlich für die Bundesregierung, denn das Außenministerium teilte auf Anfrage mit, „man habe keine gesicherte Kenntnis, ob Rüstungsgüter aus deutscher Produktion in Libyen im Einsatz seien“. Trotz aller Beweise, dass die Türkei und die VAE das UN-Embargo nicht einhalten, genehmigte die Bundesregierung seit der Libyen-Konferenz neue Rüstungsexporte für die VAE und die Türkei im Wert von mehr als 20 Millionen Euro.