Kurzer Umriss der Kurdischen Frage

1. Die Teilung Kurdistans durch imperialistische Mächte

Die folgende Ausführung handelt von einer spezifischen Periode der kurdischen Geschichte, die eine wichtige Markierung darstellt und die gegenwärtige Situation der Kurden, die Ausprägung der Kurdenfrage sowie den damit zusammenhängenden Kurdenkonflikt umfasst. Sie kennzeichnet die Aufteilung und Zersplitterung Kurdistans und die weitreichende Umwälzung der traditionellen kurdischen Gesellschaft. Die Zeiträume 1915 bis 1925 und 1925 bis in unsere Gegenwart markieren die zeitlichen Abschnitte der benannten Phase, in der die Quellen und Ursachen des gegenwärtigen Kurdenkonflikts und der Kurdenfrage liegen. Sie inkludiert aus regionaler und globaler Sicht den Zusammenbruch des Osmanischen Reichs und die Inkorporierung des Nahen und Mittleren Ostens durch westliche Staaten, die sich durch und kraft der industriellen Revolution in England und der (politischen) Französischen Revolution in einer „erneuten Expansion“ befanden. Wenn es heute eine kurdische Frage gibt und diese Frage bis heute überdauert hat, dann sind die Ereignisse, die diese Frage geprägt haben, in den Jahren zwischen 1915 und 1925 geschehen. In dieser Epoche herrschte ein imperialistischer Verteilungskampf über Kurdistan, der zu dieser Aufteilung führte. Auf die globalpolitischen Verhältnisse und ihre komplexen und verwobenen Details kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden und das Folgende mag primär aus einer kurdischen Perspektive aus betrachtet sein. Es sei zudem wiederholt daran erinnert, dass der Kurdenkonflikt stets in einem regionalen und internationalen Kontext, Zusammenhang und der wechselseitigen Verflechtung diverser Aspekte und Entitäten zu betrachten ist. Des Weiteren wird sich der Fokus und Inhalt dieses Abschnitts gegen Ende primär auf Nordkurdistan bzw. die Türkei verlagern. Dies deshalb, weil sich die Entstehung der kurdischen Bewegung dort vollzog und die Türkei als Nachfolgestaat des Osmanischen Reichs den wichtigsten regionalen Akteur im Hinblick auf die kurdische Frage darstellt.

Diese Periode kurdischer Geschichte hatte nicht nur sehr verlustreiche politische Folgen und brachte die Gefahr der physischen und kulturellen Vernichtung der Kurden mit sich, sondern auch, bedingt durch mehrere Faktoren, die Grundlegung neuer Oppositionsformen in Kurdistan. Diese neuen Formen, entstanden im Kontext der damals bipolar geordneten Welt, waren „supra tribal“ (höhergeordnet als stammesgesellschaftliche Organisierung), säkular bzw. nicht mit Konfession oder Religion in Beziehung stehend und hatten den Charakter von Volksbewegungen, wohingegen die traditionelle kurdische Opposition elitär gekennzeichnet war. Dieser Abschnitt soll die Entstehungsbedingungen und -ursachen dieser Emergenz skizzenhaft darlegen und zum besseren Verständnis der kurdischen Bewegung um die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) führen.

Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts, der Zeit der osmanischen End- und Krisenphase, wackelt das alte Machtverhältnis in Kurdistan, bestimmt durch eine schwache osmanische Kontrolle und weitgehende Unabhängigkeit kurdischer Herrscher und es kommt zu Aufständen kurdischer Fürsten, deren Ursachen je nach Blickwinkel und Historiker unterschiedlich begründet werden. Wichtig ist, dass die Aufstände im 19. Jahrhundert nicht nationalen Zwecken dienten, sondern um Ausweitung oder gegen Verringerung der uralten Autonomie vollzogen wurden. Die kurdische Frage in ihrer heutigen Form ist das Ergebnis der von den Großmächten betriebenen Aufteilung des Nahen- und Mittleren Ostens nach dem [Ersten] Weltkrieg. Schon lange vor dem Ende des Ersten Weltkriegs, bei dem das Osmanische Reich an der Seite Deutschlands und Österreichs militärisch vernichtend unterlag und zusammenbrach, ist 1916 in Geheimabkommen zwischen den wesentlichen alliierten Siegermächten Großbritannien und Frankreich die Zukunft der Region abgestimmt worden. Der auf diese Verhandlungen basierende, zwar unterschriebene aber nie ratifizierte Vertrag von Sevres (10.08.1920) sah die Errichtung eines armenischen Staates im Nordosten und eine gewisse kurdische Souveränität – eine anfängliche Autonomieregierung mit der Aussicht auf einen eigenen Staat – vor. Gegen diesen Vertrag, der das türkische Territorium auf ein kleines Stück in Mittelanatolien reduzierte, mobilisierte der türkische General Mustafa Kemal die anatolischen Bauern und zahlreiche kurdische Stämme. Seine Strategie beinhaltete die Hervorhebung der gemeinsamen islamischen Identität der Kurden und Türken, die taktische Lüge der Loyalität dem Kalifat und dem Sultanat gegenüber sowie das Versprechen einer gemeinsamen Republik von Türken und Kurden. Es sei noch erwähnt, dass der Vertrag von Sevres aus diversen Gründen auch bei vielen Kurd*innen trotz der Aussicht auf Autonomie auf Ablehnung stieß. Einer der Gründe war, dass der in ihm vorgesehene armenische Staat große Teile der kurdischen Siedlungsgebiete mit einschloss, damit zusammenhängend auch die Angst und Ablehnung unter einer christlich-armenischen Herrschaft zu leben. Ferner klammerte der Vertrag den Status Ostkurdistans (Iran) aus, und auch im Allgemeinen betrachtete die Mehrheit der kurdischen Bevölkerung die internationale Entscheidung als aufgezwungen und bevorzugte, unabhängig zu sein oder notfalls weiter mit den Türken zu leben, mit denen sie immerhin die Gemeinschaft des Islam verband.

Der spätere »Atatürk« (»Vater aller Türken«) hatte ihnen dafür die Gründung eines gemeinsamen Staates der Türken und Kurden zugesagt. Auf der ersten Sitzung der Großen Nationalversammlung im April 1920 in Ankara waren rund siebzig kurdische Abgeordnete anwesend, die offiziell als »Abgeordnete Kurdistans« bezeichnet wurden. Als dieser Staat gegründet und vom Lausanner Vertrag im Juli 1923 anerkannt war, brach Mustafa Kemal seine Versprechen für die kurdische Autonomie sofort und löste die Nationalversammlung auf, in der auch 75 kurdische Abgeordnete gesessen hatten. Er schloss sogar kurdische Schulen und verbot jeden Ausdruck kurdischer Kultur in der Türkei.

Die irakischen Kurden lernten aus dieser bitteren Erfahrung, und als sie im Januar und Februar 1925 von einer Delegation des Völkerbundes befragt wurden, entschied sich eine überwältigende Mehrheit von sieben Achteln für einen unabhängigen kurdischen Staat und kategorisch gegen die Rückkehr unter türkische Souveränität und Annektion durch den Irak. Der Rat des Völkerbundes beachtete diese klare Stellungnahme jedoch nicht und beschloss am 16. Dezember 1925 auf Verlangen des Britischen Imperiums, das Mandatsträger für den Irak war, dieses kurdische Territorium mit seinem Erdöl-Reichtum dem Staat des Irak einzugliedern. Im Austausch für ihr Einverständnis mit diesem ungerechten britischen Plan erhielten Frankreich und die Vereinigten Staaten je 23,7 % der Einkommen der Turkish Petroleum Company, die später in die Iraq Petroleum Company umgewandelt wurde, in Berechnung der Ausbeutung aller Ölreserven Kurdistans.
1921 wurde kraft eines türkisch-französischen Abkommens Westkurdistan (Rojava, Nordsyrien) an Syrien angegliedert, das damals unter französischem Mandat stand, während der Iran die Unabhängigkeitsbewegung unter Führung des kurdischen Oberhauptes Simko überwältigt hatte. Nach dem durch den erfolgreichen Befreiungskrieg unter Mustafa Kemal erzwungenen Lausanner Vertrag vom 24. Juli 1923 war die Aufteilung und Zersplitterung der Kurd*innen und Kurdistans vollendet und das Bühnenbild für die zukünftige Tragödie des kurdischen Volkes war erstellt. Bei den Vertragsverhandlungen wurden die Kurd*innen gar nicht bzw. angeblich von der Türkei und Großbritannien vertreten. Die britische Delegation wurde vom Hauptaktionär der westlichen Turkish-Petroleum Company, Lord Curzon, angeführt. Der Vertrag legt die bis heute gültigen Grenzen fest, im Gegensatz zum Vertrag von Sevres wurden die Kurd*innen in Lausanne nicht mehr erwähnt. Plötzlich war das (wahrscheinlich) zahlenmäßig drittgrößte Volk des Nahen Ostens in den jeweiligen Staaten jeweils zu einer Minderheit geworden, doch noch nicht einmal Minderheitenrechte wurden ihnen in den auf Homogenisierung basierenden neu entstandenen Nationalstaaten zugestanden.
Der türkische Soziologe Ismail Besikci beschreibt die Zementierung der Lage des Nahen Ostens im Lausanner Vertrag, in seinem für die anfängliche PKK zentralem Werk folgendermaßen: „Kurdistan hat weder einen politischen Status, noch eine politische Identität. Die Kurd*innenen sind ein Volk, welches man versklaven und seiner Identität berauben will, klarer ausgedrückt, es soll mit seiner Kultur und Sprache von der Erdbodenfläche getilgt werden.“ (1991). Zwar heißt sein Buch Kurdistan. Internationale Kolonie, doch durch die imperialistische Aufteilung mit der Hilfe „regionaler Kollaborateure“ verwehrte man Kurdistan selbst den Status einer typischen Kolonie oder Halbkolonie: „Kurdistan ist noch nicht einmal eine Kolonie, das kurdische Volk ist noch nicht einmal kolonisiert. Der politische Status Kurdistans und des kurdischen Volkes befindet sich sehr weit unter dem einer Kolonie.“ (ebd.). Damit ist die Gleichzeitigkeit der kolonialen Ausbeutung Kurdistans und die Verleugnung der Kurd*innen gemeint. Klassische Kolonien hatten noch einen Status als Kolonien und erlangten im Zuge des Zusammenbruchs des Kolonialismus ihre heutige (staatliche) Unabhängigkeit. Die kulturelle, nationale oder ethnische Identität der Kolonialländer wurde anerkannt, nicht so in Kurdistan. Wegen seiner Forschungen zum Thema Kurden wurde Besikci insgesamt acht Mal verurteilt und saß 17 Jahre im Gefängnis.

Durch den Vertrag von Lausanne wurde viel von dem Zündstoff gelegt, der den Nahen Osten bis heute zum Pulverfass macht. Mit der Vierteilung Kurdistans wurde ein bis heute ungelöster nationaler Widerspruch erzeugt, der vom Imperialismus immer wieder zur Einflussnahme in der ganzen Region genutzt wird. Die Kurd*innen sind sowohl die Verlierenden als auch das Instrument dieser Situation der „Teile-und-herrsche-Politik“ geworden. Mit verheerenden Folgen, z. B. mehrmaligen Giftgasangriffen, nicht nur von Diktatoren wie Saddam Hussein (1988) oder dem Kemalismus in Dersim 1937/38, sondern auch von Großbritannien gegen die „unzivilisierten Stämme“, die in Südkurdistan Mitte der 1920er Jahre von Scheich Mahmud Berzencî angeführt wurden.

2. Nordkurdistan (Türkei)

Gegen den Umstand der politischen und rechtlichen Nichtexistenz und dem Abhandenkommen der aus Sicht der kurdischen Aristokratie ewigen Autonomie führten die Kurd*innen in allen vier Teilen Kurdistans sowohl vor als auch nach dem Ende des Weltkriegs zahlreiche Aufstände. Nie waren sie kooperativ oder koordiniert zwischen den Stämmen, Konfessionen oder Regionen Kurdistans, obgleich sie nationalistisch begründet waren. Dem muss hinzugefügt werden, dass alle Aufstände der Kurd*innen entweder durch aktive militärische Beteiligung oder indirekte Unterstützung der westlichen Mächte niedergeschlagen worden sind. Gegen die junge Türkische Republik fanden ab 1924 zahlreiche Revolten statt, deren Anfang der Scheich Said Aufstand machte; alle wurden blutig niedergeschlagen. Sie richteten sich gegen die Verleugnung der Kurd*innen, dem Einzug der politischen Autonomie und die faschistische Türkisierungspolitik. Nach 1922 sprachen die Kemalist*innen nicht mehr von der kurdisch-türkischen Brüderschaft, sondern allein von den Wünschen und Rechten der Türken. Die an den Westen orientierte moderne Türkei sollte nach der Vorstellung Mustafa Kemals eine schnelle Verwestlichung (Industrialisierung, Säkularisierung, repräsentativ-demokratische und rechtstaatliche Konstitution) durchgehen; das Prinzip des Nationalismus wurde dahingehend interpretiert, verfassungsrechtlich festgelegt und institutionell weitergegeben, dass in der Türkei keine andere Nationalität außer der türkischen existiert. Der Nationalismus wurde nach dem (ethnischen) deutschen, der Nationalstaat nach dem (zentralistisch-) französischem Modell etabliert. Dies impliziert die zentrale Herrschaft der türkischen »Ethnie« und legt den Grund für die Assimilation und Unterdrückung anderer ethnischen Gruppen. Ein schlechtes Modell, um das Vielvölkerreich der Osmanen abzulösen. Atatürks Reformen prägten (auch ohne Erfolg) die Türkei grundlegend, jedoch war dies nur ein kaum gelungener Top-Down-Prozess, der von einer dünnen Schicht in den Städten ausging; Offiziere und Teile der Oberschicht. Die Masse der anatolischen Landbevölkerung stand auch Jahrzehnte später nicht hinter den Umwälzungen, da sie keinen Wandel der Grundlagen ihrer sozialen Existenz herbeiführten. Der Kemalismus beschränkte sich auf eine Veränderung des Überbaus, ließ aber die sozialen Verhältnisse bestehen. Aus dieser Perspektive lassen sich auch die beiden bis heute bestehenden Opponenten der sich gegenwärtig in einem Auflösungsprozess befindenden kemalistischen Türkei festmachen: die islamisch-konservative türkische Basis und die kurdische Bevölkerung. Die Kemalist*innen haben die sprachliche und kulturelle Vielfalt der Türkei nicht als Ausgangspunkt genommen und auch nie Programme konzipiert, die die Strukturen religiöser, ethnischer oder politischer Art integrieren hätten können und sollen. „Es wurden im Gegenteil große Anstrengungen unternommen, all diese als feindlich angesehenen Strukturen zu bekämpfen“.

Dem Scheich Said Aufstand folgten weitere Revolten und Aufstände. Der letzte große Aufstand in Nordkurdistan war der von Seyid Riza angeführte Widerstand von den kurdischen Aleviten in Dersim (1936-1938). Diese waren einige der gänzlich autonomen Stämme, von denen bereits die Rede war. Dersim ist eine sehr bergige und bewaldete Region, so dass der Rückzug und der Widerstand vorteilhaft waren. Der Aufstand lehnte sich wie die anderen zuvor gegen die Verleugnungs- und Assimilierungspolitik Atatürks, welches auch die Aufhebung der Autonomie Dersims bedeutete. In einem Schreiben vom 30. Juli 1937 richtet sich Seyid Riza an den britischen Außenminister:

„Seit Jahren versucht die türkische Regierung, die kurdische Bevölkerung zu assimilieren, indem sie sie unterdrückt. Sie verbietet, ihre Zeitungen und Bücher in kurdischer Sprache zu lesen, verfolgt jene, die ihre Muttersprache sprechen und organisiert so die systematische Vertreibung von den fruchtbaren kurdischen Ländern in das unkultivierte Anatolien, wo ein großer Teil der Flüchtlinge umkommt. Drei Millionen Kurden leben in diesem Land und bitten nur darum, in Frieden und Freiheit leben zu können, um ihr Volk, ihre Sprache, ihre Traditionen und Zivilisation zu erhalten. Im Namen des kurdischen Volkes bitte ich Eure Exzellenz, das kurdische Volk mit Ihrem großen moralischen Einfluss zu unterstützen, damit diese grause Ungerechtigkeit bald ein Ende hat.“

Dieser Hilferuf blieb ohne Reaktion. Seyid Riza wurde zusammen mit seinem Sohn und anderen zentralen Figuren des Aufstands erhängt. Wie auch nach anderen Aufständen und als Grundelement türkischer Kurdistanpolitik, wurden tausende von Menschen und ganze Stämme vertrieben, deportiert oder umgesiedelt. Die Kommunistische Partei der Türkei schätzte als Opfer der Vertreibungen und niedergeschlagenen Aufstände zwischen 1925 und 1938 mehr als 1,5 Millionen deportierte und massakrierte Kurden. Nach dem Dersim Aufstand brach eine „Friedhofsruhe“ in Nordkurdistan ein, es folgte eine lange Phase der militärischen Besatzung, ökonomischen Ausbeutung und Benachteiligung sowie der zwangsassimilatorischen Maßnahmen. Feudale Institutionen wie die des Scheichs oder Großgrundbesitzers (Agha) in Kurdistan wurden und werden bis heute bewusst am Leben gehalten. Mit den übriggebliebenen Großgrundbesitzern und Stammesführern ging der Staat – unter der Bedingung der Verleugnung der kurdischen Identität – ein Bündnis ein, auf das sich die Kurdistanpolitik der Türkei stützte.

In den Jahren 1937 und 1938 wurde der Aufstand von Dersim mit Völkermordmethoden unterdrückt. Auf diese Weise wurden in Nordkurdistan alle Widerstandsnester ausgelöscht. Alle Zentren, die über ein Aufstandspotential verfügten, wurden aufgelöst. Danach begann man, Kurdistan organisch im Staatskörper aufgehen zu lassen. Die Lösung hierfür bestand zweifellos in der Einberufung von Soldaten zum Wehrdienst, der Eintreibung von Steuern und der regelmäßigen Durchsetzung dieser Maßnahmen. Die Existenz des türkischen Staates wurde bis in den letzten Winkel der Gesellschaft spürbar, das türkische Ausbildungswesen wurde eingeführt und jede Möglichkeit zur Verbreitung der türkischen Kultur ergriffen. Die Massen sollten von der kurdischen Identität losgelöst und assimiliert werden. Während dieses Prozesses konfrontierte der Staat die herrschenden kurdischen Klassen – die Scheichs, die Sippenchefs und die Großgrundbesitzer – mit folgender Alternative: Entweder ihr verzichtet vollkommen auf das Kurdentum, streitet ab, daß ihr Kurden seid und werdet zu Türken, oder ihre werdet wie Scheich Said oder Seyid Riza und andere am Galgen enden. Eine dritte Möglichkeit wird es nicht geben. Ihr müßt wissen, daß es keine andere Möglichkeit gibt, um am Leben zu bleiben, als Türken zu werden. (Besikci 1991)

Erst Mitte der 60er Jahre regten sich in der Türkei einzelne kurdische Intellektuelle wieder und es gab erste Zeichen von politischer Mobilisierung der Kurden, meist in türkisch-linkspolitischen Kreisen, wo das Beanstanden ungerechter ökonomischer und feudaler Verhältnisse in der damals bipolar geordneten Welt leicht Anschluss fand. In diesem Kontext entstand auch die PKK.

3. Ostkurdistan (Iran)

Auch in anderen Teilen Kurdistans kam es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wiederholt zu Aufständen und zu Versuchen einer Staatsgründung. Dabei wurden die Kurden oft im Rahmen globalpolitischer Auseinandersetzungen instrumentalisiert und fallen gelassen, ferner wurden sie zum Opfer der Geschichte, wie z. B. 1946 in Ostkurdistan, als die dort von Gazi Mohammed ausgerufene Republik von Mahabad – der erste kurdische Staat der Neuzeit – ein Jahr nach seinem Bestehen durch das Fallenlassen der Sowjetunion die Existenz aufgeben musste. Es folgten noch andere Beispiele in Südkurdistan während des achtjährigen Iran-Irak-Kriegs oder des ersten Golfkriegs.

4. Südkurdistan (Irak)

Wichtig ist festzuhalten, dass alle Aufstände der Kurden im frühen 20. Jahrhundert von einzelnen Herrschern oder religiösen Figuren angeführt wurden; die Revolten waren durch Stammesloyalitäten gekennzeichnet und religiöse Symbole spielten dabei eine wichtige Rolle (z. B. Scheich Said für Sunniten oder Seyid Riza für Aleviten). Damit zusammenhängend waren die Gebilde Religion und Stamm zentrale Mechanismen der Mobilisierung, auch wenn es sich dabei um Bestrebungen nach nationaler Selbstbestimmung handelte. Dies änderte sich 1946 mit der Gründung der ersten kurdischen Partei, Kurdisch Demokratische Partei (KDP), unter der Führung von Mustafa Barzani. Obgleich die KDP bis heute tribalistische Züge aufweist wurde sie zu einer Volkspartei in Südkurdistan und beeinflusste die politische Organisierung der Kurden auch in den anderen Teilen Kurdistans. Wie auch die in den 1970er Jahren gegründete und erste »supra-tribale« kurdische Partei, die PKK, wurden auch die KDP und die PUK (Patriotische Union Kurdistans) in den 2001 Jahren als nichtstaatlicher Akteur von den USA als Terrororganisationen aufgelistet.


Quelle: ANF – Kurzer Umriss der Kurdischen Frage

Übersicht: Faschistische Organisationen in Kurdistan

Quellen: Civaka Azad, „Revolution in Rojava“ – Flach u.A.

Mit der Auflösung des Osmanischen Reiches und der Gründung der Republik Türkei im Jahre 1923 wurde das kur­dische Siedlungsgebiet von den Sieger-mächten des 1. Weltkriegs auf vier Länder aufgeteilt: Türkei, Syrien, Irak und Iran. Wir geben hier einen kurzen Überblick über faschistische, islamistische oder fundamentalistische Organisationen, Armeen und Parteien in den verschiedenen Teilen Kurdistans.

Kurdische Bevölkerung in der Geografie Kurdistans, Januar 2019


1. INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


Der „Islamische Staat“

Der IS ist eine seit 2003 terroristisch agierende salafistische Miliz mit tausenden Mitgliedern, die ein als „Kalifat“ deklariertes dschihadistisches „Staatsbildungs-projekt“ war. Aufgrund der fehlenden Anerkennung war der sog. Islamische Staat allerdings zu keinem Zeitpunkt ein Staat im Sinne des Völkerrechts. Die Organi-sation kontrollierte bis Dezember 2017 Teile des Irak sowie bis März 2019 Teile Syriens und wirbt um Mitglieder für Bürgerkriege sowie Terroranschläge. Sie wird des Völkermords, der Zerstörung von kulturellem Erbe der Menschheit wie auch anderer Kriegsverbrechen beschuldigt. Vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sowie von der BRD wird der IS offiziell als terroristische Vereinigung eingestuft.

Organisatorische Anfänge gehen auf den irakischen Widerstand zurück. 2004
war die Gruppierung unter al-Qaida im Irak (AQI) und von 2011 bis Juni 2014
unter Islamischer Staat im Irak und in Syrien (ISIS) sowie unter dem Namen
Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIL) bekannt. Nach der militärischen
Eroberung eines zusammenhängenden Gebietes im Nordwesten des Irak und im Osten Syriens verkündete die Miliz am 29. Juni 2014 die Gründung eines Kalifats mit Abu Bakr al-Baghdadi als „Kalif Ibrahim – Befehlshaber der Gläubigen“. Damit ist der Anspruch auf die Nachfolge des Propheten Mohammed als politisches und religiöses Oberhaupt aller Muslime verbunden. Anfangs bekannte sich der IS zu al-Qaida, von deren Führung er sich etwa Mitte 2013 löste und im Januar 2014 durch Aiman az-Zawahiri ausgeschlossen wurde. Die Führungsspitze des IS wird unter anderem von einer Gruppe von ehemaligen Geheimdienstoffizieren der irakischen Streitkräfte aus der Saddam-Hussein-Ära gebildet, die bis zu dessen Tod im
Januar 2014 von Hadschi Bakr angeführt wurde.

Der IS kämpfte im syrischen Bürgerkrieg gegen die Regierung von Präsident Baschar al-Assad, aber auch gegen die Freie Syrische Armee sowie gegen die kurdische Minderheit im Norden. Seit August 2014 sind IS-Stellungen Ziele von Luftangriffen einer internationalen Allianz, an der sich seit September mehrere westliche und arabische Staaten beteiligen. Weiterhin kämpfte der IS im zweiten libyschen Bürgerkrieg ab 2014 gegen die politischen Lager West- und Ostlibyens, wurde aber im August 2016 aus seiner lokalen Hochburg Sirte vertrieben und in den Untergrund gedrängt. Das letzte Dorf unter Kontrolle des IS innerhalb Syriens war al-Baghuz Fawqani, das am 23. März 2019 von SDF-Kämpfern erobert wurde. Seitdem hat sich die Berichterstattung über Aktivitäten des IS nach Afghanistan und auf den Kontinent Afrika verlagert.

DAIŞ = arab. Kürzel für ISIS. Das Akronym erinnert an andere arabische Begriffe, die z.B. für »Zwietracht säen« oder »zertreten« stehen. Damit soll der im Islam positiv konnotierten Eigenbezeichnung der Organisation bewusst entgegengetreten und eine direkte Assoziation mit dem Islam vermieden werden.

Die „Muslimbruderschaft“

Die „Muslimbruderschaft“ oder „Muslimbrüder“ ist eine der einflussreichsten sunnitisch-islamistischen Bewegungen im Nahen Osten. Sie wurde 1928 von Hasan al-Banna in Ägypten gegründet. Seitdem hat sich die Muslimbruderschaft in andere Länder verbreitet, insbesondere Syrien und Jordanien. Ihre beiden Ableger Ennahda und Hamas (Algerien) sind Teil der Regierungen von Tunesien und Alge-rien und des dortigen politischen Prozesses. Im Gazastreifen hingegen errichtete ihr Ableger Hamas nach einer demokratischen Wahl eine islamistische Diktatur, während ihr libyscher Ableger (die Partei für Gerechtigkeit und Aufbau) im Zweiten libyschen Bürgerkrieg als eine der Hauptfraktionen gilt. Auch die im Sudan herr-schende Nationale Kongresspartei beruft ihre Wurzeln auf die Muslimbruderschaft. Sie gilt als die erste „revolutionäre“ islamische Bewegung.

Die Muslimbruderschaft gilt in westlichen Ländern als radikal-islamistische
Organisation. Nach dem Umsturz in Ägypten 2013 und der darauffolgenden
Absetzung Mohammed Mursis wurde die Muslimbruderschaft in Ägypten
verboten und als Terrororganisation eingestuft. Die Muslimbruderschaft hat
keinen eigenständigen Einfluss in Syrien gewinnen können, jedoch sind sie
die stärkste Kraft in der Freien Syrischen Armee.

Die Gülen-Bewegung (auch Hizmet-Bewegung)

Als Gülen-Bewegung wird eine transnationale religiöse und soziale Bewegung bezeichnet, die vom islamischen Geistlichen Fethullah Gülen geführt wird. Die Bewegung mit mehr als vier Millionen Mitgliedern hat ein weit verzweigtes Netz-werk von Erziehungseinrichtungen mit über 200 Schulen weltweit und investiert gleichzeitig in Medienarbeit, Finanzen und Krankenhäuser. Ihre Weltanschauung wird teilweise in der Öffentlichkeit als „pazifistischer, moderner Islam, oft gelobt
als Gegensatz zum extremeren Salafismus“ bezeichnet. Andere sehen in ihr
eine „sektenähnliche Organisation“ oder sprechen von „sektenähnlichen Prakti-
ken“. Regionale Schwerpunkte der Arbeit der Gülen-Bewegung außerhalb der Türkei liegen u. a. in Pakistan, Bosnien-Herzegowina und in den postsowjetischen zentralasiatischen Staaten. Allein in diesen unterhielt die Gülen-Bewegung im Jahr 2008 89 Schulen, in Usbekistan ist sie verboten. Auch im Kosovo und in Albanien hat die Gülen-Bewegung zahlreiche Anhänger.

Recep Tayyip Erdoğan und Fethullah Gülen hatten seit den 90er Jahren einen intensiven Kontakt, auch wenn beide Seiten das inzwischen öffentlich abstreiten. Gülen fungierte als Mentor für Erdoğan. Erdoğans Einfluss wuchs schnell, er bekam für seinen Machtaufstieg viel Unterstützung von der Gülen-Bewegung. Recep Tayyip Erdoğan und Fethullah Gülen hatten seit den 90er Jahren einen intensiven Kontakt, auch wenn beide Seiten das inzwischen öffentlich abstreiten. Gülen fungierte als Mentor für Erdoğan. Erdoğans Einfluss wuchs schnell, er bekam für seinen Machtaufstieg viel Unterstützung von der Gülen-Bewegung. Auch Gülen-Anhänger in Deutschland sympathisierten mit der damaligen AKP-Regierung. Dies berichten ehemalige Aussteiger sowie Menschen aus der deutsch-türkischen Community, die keine AKP-Nähe besitzen. İlhan Cihaner ermittelte 2007 zur Gülen-Bewegung in der Türkei und sagte: „Wer sich mit Gülen anlegt, wird vernichtet“. Der Bruch zwischen der Gülen-Bewegung und der AKP-Regierung kam 2013, als Erdoğan die Initiative ergriff, eine Haupteinnahmequelle (Nachhilfeschulen) der Gülenisten abzustellen. Zum Demokratieverständnis und zur Haltung gegenüber Andersdenkenden werfen Gülen-Anhänger heute der türkischen Regierung antidemokratische Werte vor. Doch die Gülen-Bewegung selbst vertritt im inneren Kern der Bewegung eine extrem konservative, teilweise radikale Haltung gegenüber anderen Meinungen. Der Bewegung wird inner- und außerhalb der Türkei vorgeworfen, eine systematische Unterwanderung der türkischen Polizei und Justiz anzustreben, und dadurch einen Staat im Staate errichten zu wollen. Schätzungen zufolge hat sie bis zu acht Millionen Anhänger. Die Zahl ihrer Anhänger in Deutschland wird auf 100.000 geschätzt.


2. SYRIEN

FSA = Freie Syrische Armee – Free Syrian Army
loser Zusammenschluss bewaffneter Gruppen, überwiegend von Deserteuren
der Syrischen Armee sowie von ausländischen Kämpfern und Dschihadisten, gegründet 2011 mit dem proklamierten Ziel des Sturzes Assads. Sollte als
Militär des in der Türkei befindlichen SNC dienen.

Dschabhat Fath asch-Scham = Front für die Eroberung der Levante
Die frühere al-Nusra-Front („Unterstützungsfront für das levantinische Volk“) ist eine dschihadistisch-salafistische Organisation in Syrien. Sie gehörte zunächst al-Qaida an, bis sie am 28. Juli 2016 ihre Trennung von diesem Netzwerk und ihre Umbenennung zu „Dschabhat Fath asch-Scham“ bekanntgab. Sie schloss sich ISIS an und kämpfte im syrischen Bürgerkrieg gegen die Regierung Baschar al-Assads, aber auch gegen Teile der Freien Syrischen Armee (FSA) und kurdische Volksverteidigungseinheiten. Ziel der Trennung von al-Qaida sei es, die Rebellen-fraktionen wieder zu vereinen. Vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wurde
die al-Nusra-Front 2013 als Terrororganisation eingestuft.

SNC = Syrian National Council – Syrischer Nationalrat
syrisches Oppositionsbündnis gegen das Baath-Regime von Baschar al-Assad, hat seinen Sitz in Istanbul und wurde 2011 im Zuge des syrischen Volksaufstandes gegründet. Der SNC ist ein der Türkei und den Golfmonarchien nahe stehender Rat, der eine syrische Exilregierung bilden sollte. Der SNC ist dominiert von Mit-gliedern der islamistischen Muslimbruderschaft und unterstützt die Freie Syrische Armeee (FSA). Der SNC ging später im der NC auf.

NC = National Coalition – Nationale Koalition der Syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte; (auch ETILAF) Oppositionsbündnis im Syrischen Bürgerkrieg, gegründet 2012 in Doha, Qatar. Der Syrische Nationalrat (SNC) ging in dieser Nachfolgeorganisation auf. Im Vorstand befindet sich unter anderem Abdulhakim Bashar von der PDK-S. Der NC wird unterstützt von der Muslimbruderschaft und der FSA. Die Nationale Koalition wird von der PYD abgelehnt.

SMC = Supreme Military Council Nachfolgeorganisation der FSA. Gegründet 2012 in der Türkei. Folge der Konferenz von Doha, Qatar. Breiteres Militärisches Bündnis, an dem etliche jihadistische Gruppen teilnehmen.

HTS = Haiʾat Tahrir asch-Scham – Komitee zur Befreiung der Levante ist ein extremistisch-islamistisches Bündnis verschiedener Milizen, die im Bürgerkrieg
in Syrien kämpfen. Es wird international mehrheitlich als Terrororganisation ange-sehen, unter anderem von der Türkei, Kanada und den USA. Die iranische Regie-
rung vermutet eine Unterstützung der Dschihadisten durch Saudi-Arabien und Katar. Das HTS wurde Anfang 2017 als Reaktion auf die Friedensgespräche in Astana gegründet, hinter denen die Türkei, der Iran und Russland standen. Mit-glieder des Bündnisses lehnen jegliche Friedensgespräche ab, die nicht den Rück-tritt von Baschar al-Assad beinhalten. Von ihren geschätzten 31.000 Kämpfern entfallen 20.000 auf die Dschabhat Fatah asch-Scham. Diese gilt als Nachfolger der al-Nusra-Front und untersteht damit der Chorasan-Gruppe, welche wiederum als syrischer Zweig der al-Qaida gilt. Im September 2018 kontrollierte das Haiʾat Tahrir asch-Scham etwa 60 Prozent der Provinz Idlib im Nordwesten Syriens.
Auch einige Tausend Europäer kämpften in der Dschihadistenmiliz.


3. TÜRKEI

AKP = Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung; gegründet 2001.
Die Partei ist konservativ-islamisch geprägt und weist faschistische und
autoritäre Merkmale auf. Derzeitiger Parteivorsitzender: Recep Tayyip
Erdoĝan. Die AKP stellt seit 2002 die Regierung.

CHP = Republikanische Volkspartei; 1923 von Mustafa Kemal Atatürk gegründet; Vorsitzender ist aktuell Kemal Kılıçdaroǧlu. Die Partei ist kemalistisch orientiert und im Parlament vertreten, hat aber an Be­deutung erheblich verloren.

MHP = Milliyetçi Hareket Partisi – Partei der Nationalistischen Bewegung
Sie wurde 1969 gegründet und ist eine nationalistische Partei in der Türkei. Die MHP gilt als politischer Arm der „Idealisten“ oder „Grauen Wölfe“ des faschisti-schen Parteigründers Alparslan Türkeş. Die MHP ist verbunden mit den vor Gewalt gegen politische Gegner nicht zurück schreckenden „Grauen Wölfen“. Diese sind insbesondere in den 1970er Jahren brutal gegen die linke und revolutionäre Opposi-tion vorgegangen. Aktiv sind die „Grauen Wölfe“ bis heute, auch in Deutschland. Die MHP ist anti-europäisch eingestellt und ihr Hauptfeind die PKK: So fordert der Vorsitzende die Wiedereinführung der Todesstrafe, damit Abdullah Öcalan hinge-richtet werden könne. Seit 2018 ist die Partei der Nationalistischen Bewegung im Wahlbündnis „Volksallianz“ mit der regierenden faschistischen AKP. Mit der MHP stellt die AKP unter Erdoğan die Mehrheit im nationalen Parlament.

Graue Wölfe (türk. Bozkurtlar oder Bozkurtçular) ist die Bezeichnung für türkische Rechtsextremist*innen wie Mitglieder der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) oder der Partei der Großen Einheit (BBP). Sie haben in der Vergangenheit und besonders in den 1970er Jahren zahlreiche Gewalttaten und Morde begangen. Sie bezeichnen sich selbst als „Idealisten“. In der BRD wird die Partei durch drei Dachorganisation vertreten, denen bundesweit rund 303 Vereine mit mehr als 18.500 Mitgliedern angehören. Die älteste in Deutschland aktive Organisation ist die Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland (ADÜTDF) bzw. Türkische Föderation (Türk Federasyon), die als Gründungsmitglied der Türkischen Konföderation in Europa (Avrupa Türk Konfe-derasyon) angehört. Weiterhin werden Mitglieder des Verbandes der türkischen Kulturvereine in Europa (ATB) und der Union der türkisch-islamischen Kultur-vereine in Europa (ATIB) der Bewegung zugerechnet. Auch unorganisierte Natio-nalisten begreifen sich teilweise als „Idealisten“. Die Jugendorganisation der
Grauen Wölfe ist die „Idealisten-Jugend“.

İYİ = İyi Parti – „Gute Partei“
Die İyi Parti ist eine nationalkonservativ bis nationalistische, laizistisch und kema-listisch ausgerichtete Partei in der Türkei. Die Partei sieht sich als Alternative zu den beiden „großen Parteien“ rechts der Mitte, der regierenden islamisch-konser-vativen Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP) und der rechtsextremen Milliyetçi Hare-ket Partisi (MHP). Zum Kern der Parteigründer gehören vor allem ehemalige MHP-Mitglieder, die sich im Zuge des Verfassungsreferendums 2017 der Parteilinie ent-gegengestellt haben bzw. mit der Ausrichtung der Partei unzufrieden sind und nun eine neue nationalistische und kemalistische Partei anstreben. Teil des politischen Programms der Partei sind die Ziele, die Türkei zu einer der zehn größten Volks-wirtschaften zu entwickeln und die Türkei in puncto Vermögensverteilung in die
Top 40 der Welt bringen.

FETÖ = Fethullahçı Terör Örgütü – Fethullahistische Terrororganisation
Als FETÖ wird in der Türkei eine hypothetische terroristische Organisation verfolgt, die von der türkischen Regierung für den Putschversuch in der Türkei 2016 verant-wortlich gemacht wird. Diese Organisation wird der Gülen-Bewegung zugerechnet. Die Strafverfolger gehen davon aus, dass sich in dieser Bewegung ein hierarchisch organisiertes Netzwerk als Geheimgesellschaft gebildet hat, an dessen Spitze der Prediger Fethullah Gülen stehe. Dieses Netzwerk, das den Staatsstreich in Gang gesetzt habe, wird von ihnen als terroristische Organisation qualifiziert und mit dem Namen FETÖ bezeichnet. Nach dem Putschversuch ließ der türkische Staat Säu-berungswellen in den Bereichen Hochschulwesen, Bildungssystem, Militär, Verwal-tung und Polizei durchführen. Sämtliche Maßnahmen hatten das Ziel, den postulier-ten Einfluss der FETÖ zurückzudrängen. Tausende Mitarbeiter*innen, Richter*in-nen, Staatsanwält*innen, Militärs, Polizist*innen und Hochschulprofessor*innen wurden außer Dienst gestellt oder auch festgenommen. Daneben gab es zahlrei-che Durchsuchungsmaßnahmen. Firmen, Bildungseinrichtungen oder Medien, die der Nähe zu Gülen verdächtigt wurden, erhielten einen staatlichen Verwalter. Hand-feste Beweise für die Existenz einer Organisation namens FETÖ oder Terroran-schläge, die in ihrem Namen durchgeführt wurden, liegen nicht vor. Laut der Türkei verfüge die Organisation über Geldmittel in Höhe von 150 Milliarden Dollar und sei primär innerhalb der Armee organisiert.

MIT = Millî İstihbarat Teşkilâtı = Nationale Nachrichtendienstorganisation

Der MIT ist der türkische Nachrichtendienst. Der MIT geht massiv gegen Oppo-sitionelle der Regierungspartei AKP und ethnische oder religiöse Minderheiten,
wie Kurd*innen und Alewit*innen vor, sowohl in der Türkei, als auch im Ausland.
Im Juli 2016 schätzen Experten, dass das Agentennetz des türkischen Geheim-dienstes das der ehemaligen StaSi übertreffe und sich nicht mehr nur mit Auf-klärung, sondern auch mit Unterdrückung befasse.

4. DIASPORA

ATK = Türkische Konförderation Europa
Der ATK ist ein Dachverband für ultranationalistische türkische Organisationen.
Der Vorsitzende ist Cemal Cetin, welcher als Europachef der Grauen Wölfe zu
sehen ist, und am 24. Juni 2018 als Abgeordneter der MHP ins türkische Parla-ment gewählt wurde. Die deutsche Abteilung des ATK ist die ADÜTDF.

ADÜTDF = Avrupa Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyon – Föderation der Türkisch–Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland
Die von der MHP gegründete Türk Federasyon kann als Hauptverband der Grauen Wölfe in Europa bezeichnet werden und setzt sich aus 200 Kultur-, Sport und Ju-gendvereinen, sowie Moscheengemeinden zusammen.

KRM = Koordinationsrat der Muslime in Deutschland
Der KRM wurde offiziell am 28. März 2007 in Köln gegründet nachdem die deutsche Islamkonferenz stattgefunden hat. Der KRM besteht aus der türkisch-islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB), dem Zentralrat der Muslime (ZMD), dem Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland (IRD) und dem Verband islamischer Kulturzentren (VIKZ). Diese Verbände gelten als Hauptansprechpartner der deutschen Politik für Fragen des muslimischen Glaubens. Der KRM repräsen-tiert aber gerade einmal 1/5 aller Muslime in Deutschland. Die genannten Islam-verbände vertreten einen strengen, fundamentalistischen Islam.

DITIB = Diyanet Isleri Türk Islam Birligi – Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion ; wurde 1984 gegründet und vertritt vor allem türkische Sunnit*innen. Sie hat bundesweit mehr als 900 Ortsgemeinden (u.a. Chemnitz), welche sich aus Moscheen mit angeschlossenen Bildungs-, Sport- und Kultur-angeboten zusammensetzen. DITIB untersteht direkt der türkischen Religions-behörde Diyanet und erhält von dort ihre Imane. Die Religionsbehörde untersteht wiederum direkt dem Ministerpräsidenten der Türkei. Ideologisch ist die DITIB absoulut verwerflich, was folgende exemplarische Beispiele belegen. Unter ande-rem produzierte sie 2016 einen Comic für Kinder, welcher den Märtyrertod im Kampf für den türkischen Staat verherrlicht. Bei der Offensive gegen den kurdi-schen Kanton Afrin 2018 fanden auch Propagandaveranstaltungen statt, wo Kinder als Soldaten verkleidet in einem Schauspiel starben und in mit Türkei-Fahnen be-deckten Kindersärgen aus dem Raum getragen wurden. Der Völkermord an den Armenier*innen durch das Osmanische Reich wird von DITIB vehement geleugnet. Nun wird verhandelt, ob DITIB-Imane den islamischen Religionsunterricht an Schulen übernehmen sollen – Imane, welche Verbindungen zum MIT und
den faschistischen Grauen Wölfen aufweisen.

IRD = Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland
Der 1986 gegründete Islamrat ist eine Dachorganisation für (mehrheitlich türkische) sunnitische Muslime. Der Größte Mitgliedsverein IGMG (Islamische Gemeinschaft Milli Görüs) fiel in Berlin (hier: Islamische Förderation Berlin) durch den Mord an Celalettin Kesim auf, der durch Graue Wölfe ermordet wurde. Sie kamen aus der Mevlana Moschee, welche eine der in Berlin betriebenen Moscheen des IGMG ist. Auch Milli Görüs wurde trots islamistischer und faschistischer Tendenzen für den Religionsunterricht in Schulen zugelassen.

ZMD = Zentralrat der Muslime in Deutschland
Der ZMD wurde 1994 gegründet und besteht trotz seiner selbstbetonten „Vielfältig-keit“ muslimischer Gläubiger aus 2/3 ATIB Mitgliedern. Der Rest lässt sich auf die Deutsche Muslim-Liga, die Islamische Gemeinschaft in Deutschland und das Islamische Zentrum Hamburg verteilen. Der ZMD wird stark durch den deutschen Muslimbrüde-Ableger IGM beeinflusst. Der für die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) arbeitende Nahosthistoriker Guido Steinberg verortet den TMD als gemein-sames Projekt der in Deutschland im Exil befindlichen Teile der syrischen und ägyptischen Muslimbruderschaft. Der Zentralrat der Muslime arbeitet eng mit
dem IRD bezüglich des Religionsunterrichtes an Schulen zusammen.

IGM = Islamische Gemeinschaft Deutschland

Die IGM ist der deutsche Ableger der internationalen islamistischen Muslimbruder-schaft. Diese wünscht sich wie oben beschrieben ein förderales, islamisches Welt-reich unter der Führung eines Kalifen (Kalifat), in dem Andersgläubige, Homo-sexuelle, bestimmte ethnische Gruppen uvm. keinen Platz haben.

ATIB = Avrupa Türk-Islam Birligi – Türkisch-Islamischen Kulturverein Europa
Musa Serdar Celebi gründete diesen Verein als Abspaltung zu ADÜTDF, aufgrund vieler Negativschlagzeilen durch diesen Verein in den 90er Jahren. Dies ging auch einher mit der Abspaltung der BBP-Partei der großen Einheit (Büyük Birlik Partisi) von der MHP. Der Vorstand dieser Partei war ebenfalls Celebi. Sie entschieden sich, ihre Aktivitäten nun in eher unauffälligen Vereinen für Sport, Kultur oder Tee-stuben weiterzuführen. ATIB bildet heute das Bindeglied zwischen den klassischen „Grauen Wölfen“, der Erdogan-Lobby und den Moslembrüdern in Deutschland. ATIB ist auch mitbegründer in dem kritischen „Zentralrat der Muslime“ (ZMD), welcher Teil des koordinationsrates der Muslime in Deutschland ist.

MIDU = Muslime in der Union; gegründet 2016
Dieser Verband ist interessant bezüglich der Vernetzung zwischen türkischen Nationalisten und deutscher Politik. Er steht der CDU nahe und ist ausschließlich für sunnitische Muslime zugängig, welche aus einem der großen Islamverbände in Deutschland kommen, wie bspw. DITIB, ZMD oder ATIB. Einer der Begründer des MIDU ist Mehmet Alparslan Celebi, welcher gleichzeitig Vorstand des ATIB-Verbandes und Sohn von Musa Serder Celebi, dem Gründer von ATIB ist.

UETD = Union Europäisch-Türkischer Demokraten (aus Hessen)
Die UETD gilt in Deutschland als AKP-Lobbyorganisation und bringt sich
stark im Wahlkampf für Erdogans AKP ein. Sie haben sogar eigene Wahlkampfveranstaltungen ausgerichtet.

Übersicht: Kurdische Organisationen und andere Parteien in Kurdistan

Quellen: Civaka Azad, „Revolution in Rojava“ – Flach u.A.

Mit der Auflösung des Osmanischen Reiches und der Gründung der Republik Türkei im Jahre 1923 wurde das kur­dische Siedlungsgebiet von den Sieger-mächten des 1. Weltkriegs auf vier Länder aufgeteilt: Türkei, Syrien, Irak und Iran. Wir geben hier einen kurzen Überblick über Organisationen und Parteien in den verschiedenen Teilen Kurdistans sowie ausgewählte türkische Parteien.

Kurdische Bevölkerung in der Geografie Kurdistans, Januar 2019


1. TÜRKEI / BAKUR / NORDKURDISTAN

PKK = Partiya Karkerên Kurdistanê‎ – Arbeiterpartei Kurdistans
gegründet 1978; kämpft für die Selbstbestimmung und demokratischen Rechte der Kurd*innen in der Türkei, in Syrien, im Iran und Irak. Die PKK begann 1984 den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat. Seit Beginn der 1990er Jahre ist die PKK intensiv um eine politische Lösung bemüht. Gründer und Vorsitzender: Abdullah Öcalan, 1999 mithilfe ver­schiedener Geheimdienste aus Kenia in die Türkei verschleppt, zum Tode verurteilt, aufgrund internationa­ler Proteste in lebens-lange Freiheitsstrafe umgewandelt und befindet sich seitdem auf der Gefängnis-insel Imrali im Marmarameer, wo er 10 Jahre lang als einziger Gefangener von 1 000 Soldaten bewacht wurde. Sitz und Zentrum der PKK sind die Kandil-Berge im Nordirak. In der Türkei ist sie als terroristische Organisation eingestuft und verbo-ten. In Deutschland wurde die Tätigkeit für die PKK am 26. November 1993 ver-boten. Im September 2017 fällte das Brüsseler Berufungsgericht die Entscheidung, dass die PKK keine Terrororganisation, sondern eine Kriegspartei sei.

YJA-Star = Yekîtîya Jinên Azad Star – Einheiten der freien Frauen
autonome Frauenarmee der PKK, gegründet 1995. Als Frauenarmee wird die Gesamtheit der ausschließlich aus Frauen bestehenden Einheiten der kurdischen Volksverteidigungskräfte (HPG) bezeichnet. Bei diesen Organisationen handelt es sich um Kampfverbände der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).

PAJK = Partiya Azadiya Jinan a Kurdistanê –
Partei der Freiheit der Frauen Kurdistans

HPG = Hêzên Parastina Gel – Volksverteidigungskräfte
Selbstverteidigungseinheiten/Guerilla, bewaffnete Einheiten der PKK, gegründet 2000, verstehen sich als Nachfolger*innen der ARGK (Artêşa Rizgariya Gelê Kurdistan – Volksbefreiungsarmee Kurdistans, 1986-2000) und bezeichnen sich
als legitime Verteidigungskraft; HPG und YPG/YPG retteten 2014 Zehntausende Ezid*innen aus dem Sindschar-Gebirge vor dem sicheren Tod durch den IS.

KCK = Koma Civakên Kurdistan – Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans; überstaatlicher Zusammenschluss der Gemeinschaften Kurdistans, in dem sich im Idealfall die radikaldemokratisch selbstverwalteten Strukturen zusam-menfinden. Verfügt über ein System der Gewaltenteilung und dient der Umsetzung der Konzepte des Demokratischen Konföderalismus und der Verteidigung der kur-dischen Bevölkerung. Die KCK wurde 2007 gegründet und ist hervorgegangen aus der PKK. Seit April 2009 wurden unzählige politische Aktivist*innen in der Türkei festgenommen, wegen angeblicher KCK-Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Organisation angeklagt und zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt – unter ihnen Bürgermeister*innen der HDP, Journa-list*innen, Anwält*innen und Gewerkschafter*innen.

HDP = Halkların Demokratik Partisi – Demokratische Partei der Völker
Linke, prokurdische, gesamttürkische Partei, konnte erstmals bei den Parla-mentswahlen am 7. Juni 2015 die 10%-Wahlhürde mit 13% überspringen und in Fraktionsstärke ins Parlament einziehen. Auch in den nachfolgenden Wahlen konnte die HDP, trotz enormer staatlicher Repressionen, stets die Wahlhürde nehmen und ihre Wähler*innen im Parlament vertreten.

DBP = Demokratik Bölgeler Partisi – Demokratische Partei der Regionen
gegründet 2014; sie arbeitet zusammen mit HDP, ist allerdings als politische
Partei lediglich in den kurdischen Provinzen aktiv.

DTK = Demokratik Toplum Kongresi – Demokratischer Gesellschaftskongress; Dachorganisation der Volksratsstrukturen
und der Zivilgesellschaft in Nordkurdistan

KJA = Kongreya Jinên Azad – Kongress der freien Frauen
ist die Dachorganisation der autonomen Frauenstrukturen in Nordkurdistan


2. SÜDKURDISTAN / BASÛRÊ / NORDIRAK

Seit dem 1. Golfkrieg wurde diese Region wegen seines Öl- und Wasser-vorkommens sowie seiner geostrategi­schen Bedeutung wichtig. Die Definition dieses Teils Kurdistans als „safe heaven“ gilt heute noch. Nach dem Fall Saddam Husseins 2003 konnte die ihre Autonomie waren. 2005 wurde sie zur „Kurdistan Re­gion of Iraq“ erklärt, verankert in der irakischen Verfassung.

KRG = Kurdish Regional Government; Regierung von Südkurdistan/Nord irak.

PDK = Partiya Demokratiya Kurdistanê – Demokratische Partei Kurdistans
Regierungspartei in der Kurdischen Autonomie Region im Nordirak, vorwiegend
im Kurmancî-Gebiet, gegründet 1946. Seitdem wird dieser Teil Kurdistans vom Barzanî-Clan dominiert. Die Strukturen sind autokratisch; die Regierung pflegt engste Kontakte mit der Türkei. Verfügt über eigene Sicherheitskräfte und Militär – 16 000 Peschmergas („Die dem Tod ins Auge sehen“) bilden Barzanîs Armee. Die PDK kontrolliert die Region um Hewlêr (Erbil) und verfügt über Ableger in Ostkur-distan (Iran), Rojava (Syrien) und Nordkurdistan (Türkei). Die deutsche Bundes-regierung unterstützt die Autonomiere­gion politisch, rüstet die Peschmergas im „Kampf gegen ISIS“ mit deutschen Waffen aus und leistet militäri­sche Ausbildungs-hilfe. Die PDK befürwortet die Angriffe der türkischen Armee seit Ende Juli 2015 auf die PKK und lehnt die kurdische Autonomieregion Rojava ab.

YNK / PUK = Yekîtiya Nîştimanî ya Kurdistanê – Patriotische Union Kurdistans; wurde 1975 als Ergebnis der Spaltung von der PDK im Exil gegründet und teilt sich weitgehend die Macht mit der PDK in Südkurdistan, vorwiegend im Soranî-Gebiet. Sie verfügt über Militär und Polizei und kontrolliert die Soranî sprechende Region um die Stadt Sulemaniyya (Hauptsitz). Die YNK hat sich mit Rojava solidarisch erklärt und unterstützt die Kurden im Südosten der Türkei.

Bzutinewey Gorran = Bewegung für Wandel
Die Partei GORAN existiert seit 2010 als Abspaltung von der PUK und fand
2013 großen Zuspruch, insbe­sondere für die von ihr propagierte Bekämpfung
von in Südkurdistan bestehender Korruption und Vettern­wirtschaft.

YBŞ = Yekîneyên Berxwedana Şengalê‎ – Widerstandseinheiten Şengals
Bewaffneten Selbstverteidigungseinheiten der ezidischen Region Şengal.
Die YBŞ wurde 2015 als Reaktion auf das Genozid des IS im an der
ezidischen Bevölkerung im August des Vorjahres gegründet.

YJŞ = Yekinêyen Jinên Şengalê‎ – Fraueneinheiten Şengals
Bewaffnete autonome Fraueneinheiten der ezidischen Region Şengal


3. ROJAVA / WESTKURDISTAN / NORDSYRIEN

Im Jahre 2012 hat die kurdische Bevölkerung in Syrien mit der Umsetzung des Modells des Demokratischen Konföderalismus und der Demokratische Autonomie in Rojava begonnen. Rojava bestand anfangs aus den drei Kantonen: Efrîn im Westen, Kobanê im Nor­den und Cizîrê im Osten. Die AKP-Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdoĝan will mit allen Mitteln eine Etablierung dieses Projektes verhindern. Deshalb hat die türkische Armee gemeinsam mit ihren dschihadistischen Partnern 2018 Efrîn und seit Oktober 2019 weitere Gebiete im Kanton Cizîrê besetzt. Im Zuge des Kampfes gegen den sogenannten Islamischen Staat ist es den Selbstverteidigungskräften Nordsyriens gelungen weitere Gebiete zu befreien. Heute wird das radikaldemokratische Gesellschaftsmodell nicht allein in den kurdisch-dominierten Gebieten Nordsyriens praktiziert, sondern auch in mehrheitlich arabischen Regionen wie Raqqa und Deir ez-Zor umgesetzt.

DFNS = Demokratische Föderation Nordsyrien (früherer Name der Selbstverwaltung in Rojava), jetzt Rêveberiya Xweser a Bakur û Rojhilatê Sûriyeyê – „Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien – Rojava“

QSD / SDF = Quwetên Suriya Dimokratîk – Demokratische Kräfte Syriens – Syrian Democratic Forces; militärisches Bündnis zur Verteidigung der selbst-verwalteten Gebiete in Rojava und Syrien. Militärbündnis von YPG/YPJ sowie mehren arabischen, christlichen, turkmenischen, assyrischen und ezidischen Milizen, offizieller Bestandteil der internationalen Anti-IS Koalition und die einzige Kraft, die am Boden gegen DAIŞ kämpft. Sie sind der Autonomieverwaltung von Nord- und Ost-Syrien unterstellt. Das Militärbündnis SDF besteht derzeit aus den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und den Frauenverteidigungs-einheiten (YPJ),der Kurdischen Front (Dschabhat al-Akrād), der kurdisch-turkmenischen Einheit Katāʾib Schams asch-Schimāl, der sunnitisch-arabischen Armee der Revolutionäre (Dschaisch ath-Thuwwar), der sunnitisch-arabischen Schammar-Stammesmiliz Quwat as-Sanadid und der sunnitischen Rebellen-brigade ar-Raqqa (Liwa Thuwar al-Raqqa), den Al-Dschasira-Brigaden und der Lîwai 99 Muşat sowie dem assyrisch-aramäischen Militärrat der Suryoye (MFS).

YPG = Yekîneyên Parastina Gel – Volksverteidigungseinheiten
Verteidigungskraft von Rojava. Verteidigen mittlerweile auch die ezidische Bevölkerung auf den Şengal-Bergen, besteht aus Frauen und Männern.
Die YPG ist Teil der QSD.

YPJ = Yekîneyên Parastina Jinê – Frauenverteidigungseinheiten
Verteidigungskraft von Rojava. Wie auch die YPG verteidigen mittlerweile
auch sie die ezidische Bevölkerung auf den Şengal-Bergen. Die YPJ ist
als reine Frauenarmee Teil der QSD.

YBŞ = Yekîneyên Berxwedana Şengalê – Widerstandseinheiten Şengals

YJÊ = Yekîneyên Jinên Êzîdxan – Einheiten der ezidischen Frauen

HRE = Hêzên Rizgariya Efrînê – Befreiungskräfte Efrîns – Afrin
Liberation Forces
; erstmalig im Dezember 2018 in Erscheinung getreten,
mit der Ankündigung, eine neue Taktik im Kampf gegen die tükisch-
dschihadistische Besatzung Êfrins anzuwenden. Seitdem haben diverse erfolgreiche Aktionen in Şehba und Efrîn stattgefunden.

IFB = International Freedom Bataillon – Internationaler Freiheitsbataillon
autonome Einheit innerhalb der YPG als Verband aller sich den Kämpfen anschließenden Internationalisten*innen

HPC = Hêzên Parastina Cewherî – Selbstschutzeinheiten
Aufgaben sind bspw., die Straßen und Stadtviertel zu kontrollieren. In den HPC
sind Zivilist*innen aller Altersstufen. Sie unterstützen die Asayîş (polizeiähnliche Schutzkräfte der Selbstverwaltung mit ca 15.000 Mitarbeiter*innen) und sind Teil des systematischen Verteidigungsnetzes Rojavas. Die autonome Frauenstruktur bei den HPC sind die HPC-Jin (Frauenverteidigungskomitees).

MFS = Mawtbo Folhoyo Suryoyo – Militärrat der Suryoye
Verteidigungskraft von Rojava, assoziiert mit YPG und YPJ.

TEV-DEM = Tevgera Cîvaka Dimokratîk – Bewegung für eine demokratische Gesellschaft ist die Organisierung der Selbstverwaltung (Kommunen, Räte, Koordination) sowie ihrer Exekutivinstitutionen in Rojava und das koordinierende Organ des Volksrats Westkurdistan (MGRK). Die TEV-DEM gibt es auf der Gebietsebene und für ganz Rojava. Sie umfasst auch die sie unterstützenden politischen Parteien, diverse NGOs, soziale Bewegungen und Berufsverbände.

MGRK = Meclîsa Gel a Rojavayê Kurdistanê – Volksrat Westkurdistan
im Jahr 2011 gegründete Rätestruktur in Rojava und Syrien. Die Initiative ging
von der PYD aus, inzwischen unterstützen mindestens fünf weitere Parteien
den MGRK. Der MGRK besteht aus vier Ebenen. Die TEV-DEM ist seine
Koordination auf den beiden oberen Ebenen.

Kongreya Star = Dachorganisation der autonomen Frauenstrukturen in Nordsyrien/Rojava; 2005 gegründet unter dem Namen Yekîtiya Star
(Verband der Frauen Star); Frauenorganisation in Rojava, welche die
Frauenräte organisiert, Frauenakademien und andere Fraueneinrichtungen
betreibt (Organisationsmuster wie TEV-DEM).

YCR / YJC = Jugendbewegung in Rojava

PYD = Partiya Yekitîya Demokrat – Partei der demokratischen Einheit
aktiv in Rojava/Westkurdistan-Nordsyrien; 2003 gegründet. Die PYD ist
die größte politische Partei der Kurd*innen in Rojava/Syrien und ist eine
Vertreterin der Demokratischen Autonomie.

MSD = Meclîsa Suriya Dimokratîk – Rat des demokratischen Syriens
Politisches Bündnis verschiedener Volks- und Religionsgemeinschaften in Syrien, die sich im Sinne eines demokratischen und föderalen Syriens organisieren.

Jabhat al Akrad = Kurdische Front
Kurdische Verteidigungseinheit, welche die kurdische Bevölkerung außerhalb Rojavas schützen soll und versucht mit der FSA stellenweise zusammen zu arbeiten. Unter anderem bei der Vertreibung des IS aus Azaz. Am 16.8.2013 wurde Jabhat al Akrad wegen der angeblichen Beziehung zur PKK aus dem Militärrat der FSA von Aleppo ausgeschlossen, nachdem FSA und dschihadistische Gruppen eng gegen die Selbstverwaltung in Rojava kollaboriert hatten.

NCC oder NCB = National Coordination Body – Nationales Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel
ein Oppositionsblock, der aus zehn linksgerichteten politischen Parteien und drei kurdischen Parteien sowie unabhängigen politischen Aktivist*innen einschließlich von Jugendaktivist*innen besteht. Das NCC und der SNC bilden zusammen die zwei Hauptfraktionen der syrischen Opposition. Der NCC steht in Konkurrenz zum SNC und NC, möchte eine friedliche Überwindung des Regimes und stellt sich gegen Konfessionalität und Nationalismus. Insgesamt umfasst das Komitee vor allem säkulare und nationalistische Gruppen, unabhängige Dissidenten und kurdi-sche Parteien, die alle ihre Basis innerhalb Syriens haben. Zu jenen gehören die PYD und ein Ableger der Syrischen Kommunistischen Partei.

ENKS = Encûmena Niştimanî ya Kurdî li Sûriyeyê – Kurdischer Nationalrat in Syrien; im Oktober 2011 gegründetes Bündnis, das von der PDK Barzanîs und nahestehenden Parteien dominiert wird.

PDK-S = Partiya Demokrata Kurdistan a Sûriye – Demokratische Partei Kurdistan-Syrien
; gegründet 1956, ist die größte Mitgliedspartei im Kurdischen Nationalrat (ENKS), welche mit der Demokratischen Unionspartei (PYD) Teile Nordsyriens regiert. Derzeitiger Vorsitzender ist Abdulhakim Bashar, welcher
auch im Vorstand der Nationalen Koalition der Syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte (NC) ist. Die Partei steht der von Masud Barzani geführten Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) im Nordirak nahe.


4. ROJHILAT / OSTKURDISTAN / IRAN


PJAK = Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê – Partei für ein freies Leben in Kurdistan
; militante kurdische Untergrundorganisation im Iran mit Stützpunkten im Nordirak; eine Schwesterorganisation der PKK. Sie führt einen bewaffneten Kampf für mehr Autonomie der Kurden im Iran und wurde im April 2004 in den Kandil-Bergen des Nordirak gegründet. Sie ge­hört dem Dachverband der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) an. Sie strebt eine Zusammenarbeit mit der iranischen Opposition an, was sich bis heute schwierig gestaltet. Zahlreiche PJAK-Kämpfer*innen wurden in den vergangenen Jahren zum Tode verurteilt und hingerichtet. 2009 wurde die PJAK auf die US-Terrorliste gesetzt.

KODAR = Demokratische und freie Gesellschaft Ostkurdistans
Organisierung der Selbstverwaltung (Kommunen, Räte, Koordination)
sowie ihrer Exekutivinstitutionen in Ostkurdistan.

5. DIASPORA – Kurdische Gemeinschaft außerhalb von Kurdistan

KNK = Kongreya Neteweyî ya Kurdistanê – Kurdischer Nationalkongress
im Mai 1999 gegründet, Sitz in Brüssel; Bündnis Kurdischer Parteien, zivilgesellschaftlicher Organisationen und Exilorganisationen.

Was ist Kurdistan?

Zu allen Abkürzungen und Namen von Organisationen findet ihr eine kurze Beschreibung in der Übersicht zu kurdischen Organisationen und anderen Parteien in Kurdistan oder in der Übersicht zu faschistischen Organisationen in Kurdistan.


1. Geografie, Bevölkerung und Ressourcen

Kurdistan ist ein nicht genau begrenztes Gebiet in Vorderasien, das als historisches Siedlungsgebiet der Kurden betrachtet wird. Die Staaten, über die sich dieses Gebiet erstreckt, vermeiden zumeist die Bezeichnung Kurdistan oder verbieten den Gebrauch des Begriffes sogar. Sein Gebrauch wird hingegen von breiten Schichten der kurdischen Bevölkerung gefördert bzw. gefordert. In Kurdistan leben neben Kurd*innen auch Araber*innen, Perser*innen, Aserbaidschaner*innen, Türk*innen, Turkmen*innen, Armenier*innen, Assyrer/Aramäer*innen und viele weitere ethnische Gruppen.

Kurdistan liegt im Zentrum des Mittleren Ostens und reicht von der Nähe der Mittelmeerküste im Westen bis in den Iran im Osten, von der Grenze zu Armenien im Norden bis zur Höhe Bagdads im Iran. Insgesamt umschließt das kurdische Siedlungsgebiet ca. 550.000 Quadratkilometer (siehe auch beiliegende Karte). Die Schätzungen über die Größe des kurdischen Volkes gehen weit auseinander. Die meisten Angaben bewegen sich im Bereich von 25-30 Millionen Menschen. Diese verteilen sich auf die Kolonialländer Türkei (11,4 Millionen), Irak (3,9), Iran (6,6) und Syrien (0,9). Berücksichtigt man, dass die Zahlen von 1980 stammen, so ist bei einem Bevölkerungswachstum von 4,4% (1993) von einer heutigen Größe des kurdischen Volkes von über 30 Millionen auszugehen. Zusätzlich leben noch ca. 2 Millionen KurdInnen in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) und im Exil in Europa. Zahlreiche KurdInnen – nach Schätzungen bis zu 7 Millionen – sind in die türkischen Metropolen geflohen und leben dort als unterste Schicht in den Slums der Großstädte, auch Gecekondu genannt.

In Kurdistan sind viele Rohstoffe zu finden: Erdölvorkomen u.a. in Kerkuk, Mossul und Batman, in den Bergen Eisenerze, Phosphate, Schwefelkies, Kohle u.v.m. Der wichtigste Rohstoff Kurdistans dürfte aber das Wasser sein. Durch Kurdistan fließen Euphrat und Tigris. Wer diese Wasserzuflüsse in dem strategisch wichtigen Gebiet Kurdistan beherrscht, hat ein Druckmittel gegenüber dem Großteil des Nahen und Mittleren Ostens in der Hand.

2. Die Teilung Kurdistans durch den Vertrag von Lausanne

Die heutige Aufteilung Kurdistans ist ein Ergebnis der Auflösung des osmanischen Reiches nach dem ersten Weltkrieg. Während des türkischen Befreiungskrieges unter der Führung von Mustafa Kemal (Atatürk) gegen die Aufteilungspläne der imperialistischen Staaten, insbesondere Englands und Frankreichs, wurde die Existenz von KurdInnen noch anerkannt. Um sie für die Befreiungskriege zu mobilisieren, wurden ihnen verschiedene Rechte versprochen. Dies änderte sich jedoch mit dem Erfolg des Kampfes. Im Vertrag von Lausanne am 24.Juli 1923 wurden die Grenzen für die neue türkische Republik festgelegt. Dabei fielen Teile Kurdistans an den Iran, den Irak (unter britischem Mandat), Syrien (französisches Mandat) und die Türkei. Aufgrund der Vierteilung Kurdistans und des starken Interesses imperialistischer Mächte an der Kolonie Kurdistan wird diese häufig als „internationale Kolonie“ bezeichnet. Faktisch liegt der Status Kurdistans sogar unter dem einer Kolonie. Im allgemeinen wurde die Existenz eines Volkes in diesen anerkannt und hatte diese Kolonie einen – wenn auch geringen – politischen Status. Beides ist in Kurdistan nicht der Fall. Richtiger wäre daher Kurdistan als Binnenkolonie zu bezeichnen.

3. Wirtschaft und Eigentum

Kurdistan ist bis heute ein im wesentlichen landwirtschaftlich geprägtes Land. Dieses Land befindet sich vor allem in dem Eigentum von Großgrundbesitzern.
Genaue Zahlen über die Bodenverteilung in Kurdistan liegen nur über die GAP-Region (Südostanatolien-Projekt (türk. Güneydoğu Anadolu Projesi, das größte regionale „Entwicklungsprojekt“ der Türkei) vor. Über 70% der arbeitenden Bevölkerung verdienen sich ihren Lebensunterhalt mit landwirtschaftlicher Tätigkeit, über 93% aller Bauern besitzen jedoch weniger als 10 Hektar Land. Meist verdingen sich mehrere Mitglieder dieser bäuerlichen Großfamilien als Tagelöhner auf Plantagen oder als Saisonarbeiter. In der GAP-Region verfügen noch heute 7% aller Grundbesitzer über mehr als die Hälfte des zur Verfügung stehende Bodens.

Industrie konnte sich in (Nord-)Kurdistan kaum entwickeln. Die lokalen Großgrundbesitzer ziehen es in der Regel vor, den auf ihrem Land erwirtschafteten Mehrwert in der Türkei zu investieren. Investitionen wurden vor allem vom Staat getätigt. Diese jedoch vor allem in militärische Infrastruktur und stellenweise in den Rohstoffabbau. Der Anteil des Dienstleistungssektors am Gesamteinkommen betrug in der Provinz Hakkari, einer der meist umkämpften Kriegsregionen in der Türkei, Anfang der 90 Jahre 21% (Im Vergleich dazu die Hauptstadt Ankara: 14%). Demgegenüber entfallen nur 7,19% des türkischen Bruttoinlandprodukts auf die 18 kurdischen Provinzen. Die Erdölförderung befindet sich vollständig im Besitz von Shell und einer staatlichen Firma.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass es eine Entwicklung der Industrie in Kurdistan nicht gegeben hat und der geschaffene Mehrwert sowie die abgebauten Rohstoffe in die Türkei transferiert werden. Der größte Teil der Bevölkerung muss sich als Landpächter oder Tagelöhner durchschlagen und die Bindungen an die Familie und den Clan bleiben erhalten.


Quelle: Nadir – Zur Geschichte und Politik der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)