Beitrag mit Radio T – Besetzung, aktuelle Lage und Kampagne (März 2020)


Zu allen Abkürzungen und Namen von Organisationen findet ihr eine kurze Beschreibung in der Übersicht zu kurdischen Organisationen und anderen Parteien in Kurdistan oder in der Übersicht zu faschistischen Organisationen in Kurdistan.

Radio T versteht sich als lokales und zugangsoffenes Bürger*innenradio und als Bereicherung der Rundfunklandschaft, indem es sich in Programm und Struktur zu den öffentlich-rechtlichen und privat-kommerziellen Rundfunkanbietern in Sachsen abgrenzt. Die Berichterstattung soll sich auf Personen, Gruppen, Themen und Zusammenhänge konzentrieren, die in den etablierten Medien wenig oder gar nicht vorkommen. Radio T ist Mitglied im Bundesverband Freier Radios (BFR).


Beitrag vom 10.03.2020

GLIEDERUNG

1. PERSPEKTIVE ROJAVA
2. BESETZUNG DES CDU-BÜROS
3. SOLIKAMPAGNE „CDU BESETZEN? UNBEZAHLBAR!“
4. AKTUELLE LAGE IN SYRIEN UND DEN EU-AUßENGRENZEN
5. BILDUNGSWOCHEN: „ROJAVA – EINE UTOPIE?“

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1. PERSPEKTIVE ROJAVA

Radio T: Im vergangenen Jahr wurde in Chemnitz das Büro der CDU besetzt. Anlass war der türkische Angriffskrieg gegen die kurdische Bevölkerung, der in Nord-Syrien erneut ausgebrochen war. Was aus einem Artikel des MDR
Sachsen hervorgeht, ist, dass die Polizei laut den Besetzer*innen mit viel
Gewalt das Büro geräumt hatte. Ich habe zwei der Besetzer*innen als Gäste
eingeladen, um ihnen ein paar Fragen zu stellen. Danke, dass ihr hier seid, Clara und Coco! Am 9. Oktober 2019 startete die Türkei den völkerrechts-widrigen Vernichtungskrieg gegen Rojava. Aus diesem Grund wurde Ende Oktober das CDU-Büro von Internationalist*innen besetzt. Was ist Rojava?

Clara: Im syrischen Teil von Kurdistan wurden im Zuge des Arabischen Frühlings und dem Machtvakuum des syrischen Bürgerkriegs Gebiete von der Herrschaft der regierenden Baath-Partei unter Präsident Assad durch die Selbstverteidigungs-einheiten YPG/YPJ befreit und eine Revolution ausgerufen. Umgehend wurde von der Bevölkerung mit der Umsetzung des Demokratischen Konföderalismus in den Kantonen Rojavas – Afrîn, Kobanî und Cizîre – begonnen. Unter Kriegsbeding-ungen nahmen die Kurd*innen in diesen Gebieten zusammen mit den verschieden-sten ethnischen und religiösen Bevölkerungsgruppen die Selbst-verwaltung in Angriff. Dabei mussten neben der eigenen Bevölkerung auch hunderttausende Kriegsflüchtlinge aus anderen Teilen Syriens versorgt werden, wobei UN-Organisationen nicht die geringste internationale Hilfe leisteten. Des Weiteren wurde die Revolution in Rojava zusätzlich durch ein wirtschaftliches Embargo belastet, das sowohl durch die Türkei, an welche die Kantone Rojavas angrenzen, als auch durch die kurdische Autonomieregion im Nordirak verhängt wurde. Mit logistischer Unterstützung durch die Türkei vermehrten sich schnell die Angriffe islamistischer Milizen wie der al-Nusra-Front und des Islamischen Staates (IS) auf die kurdischen Kantone. Seitdem verteidigt die Bevölkerung der Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien das Gebiet gegen den IS, andere dschihadistische Milizen und Angriffe imperialistischer Staaten und organisiert weiterhin erfolgreich und entschlossen die Revolution.

Radio T: Welche Bedeutung hat Rojava im Mittleren Osten?

Clara: In Nordostsyrien entwickelt sich ein demokratisches Projekt, das Menschen auf der ganzen Welt Hoffnung gibt. Rojava ist zum Symbol geworden, für eine neue Form des solidarischen Zusammenlebens, welches die Freiheit des Einzelnen, die Rolle der Frau und der Ökologie in den Mittelpunkt der Gesellschaft stellt. Die Men-schen, vor allem die Frauen in Rojava, haben nicht nur Syrien vom IS befreit, son-dern nachhaltig die verschiedensten Ethnien, Kulturen und Religionen in der Region vereint. Im Schatten von faschistischen Diktaturen und korrupten staatlichen Ver-waltungen organisieren die Menschen vor Ort demokratische Wege des gemein-schaftlichen Zusammenlebens, um jedem einzelnen, unabhängig von Herkunft und Religion, die Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen zu ermöglichen. Allgemein handelt es sich bei der Praxis in Rojava also um ein Gesellschaftsmodell, welches Lösungsansätze für gesellschaftliche und zwischenstaatliche Konflikte im Mittleren Osten und auf der ganzen Welt anbietet.

Radio T: Ihr als Internationalist*innen fühlt euch sehr verbunden mit der kurdischen Freiheitsbewegung und der Selbstverwaltung. Welche
Bedeutung hat Rojava für die Internationalistische Linke?

Coco: Laut unserer Analyse erlebten Linke Bewegungen auf der ganzen Welt einen ideologischen Tiefschlag und einen immensen Verlust von Utopie und Orientierung durch den Zusammenbruch der Sowjetunion. Spätestens seitdem befinden wir uns in einer tiefen ideologischen und organisatorischen Krise. Einer der Gründe dafür ist eine mangelnde historische Analyse in Bezug auf das Scheitern des Realsozialis-mus und die Ableitung angemessener Konsequenzen für die politische Organisie-rung revolutionärer Bewegungen. Die internationalistische Linke ist nicht in der Lage, den gegenwärtigen Krisen der Gesellschaft etwas entgegenzusetzen, ge-schweige denn, sie zu bewältigen. Die Ideen von Abdullah Öcalan, dem ideologi-schen Vorreiter der Freiheitsbewegung, bieten umfassende Analysen und Lösung-en für die Krisen dieser Welt, wie das Patriarchat, den Kapitalismus und die Klima-krise. Die Konzepte, die Öcalan im 5-Personen-Gefängnis auf Imrali entwickelt hat, wo er seit seiner illegalen Verschleppung durch Geheimdienste 1999 in nahezu vollständiger Isolation gefangen gehalten wird, bieten fortschrittliche Ansätze auf dem Weg zur Befreiung der Gesellschaft von Unterdrückung, Ausbeutung und Gewalt. Die Konzepte der Demokratischen Moderne, der Demokratischen Nation und der Demokratischen Autonomie, sowie das Organisierungsmodell des Demo-kratischen Konföderalismus, welche Öcalan basierend auf einer umfassenden historischen und gesellschaftlichen Analyse entwickelte, überbieten geläufige soziologische Theorien in vielen Aspekten wie Genauigkeit, Progressivität und Komplexität. Aus diesen Gründen sehen wir in der kurdischen Befreiungsbewe-gung und der praktischen Umsetzung der Theorien Öcalans in Rojava eine neue und möglicherweise weltveränderndernde Utopie, welche ein Lichtblick und Orien-tierung für fortschrittliche Bewegungen auf der ganzen Welt darstellen kann.


In diesem Lied geht es um die Suche nach der eigenen Identität in der Geschichte.


2. BESETZUNG DES CDU-BÜROS

Radio T: Aus internationalistischer Perspektive klingen die Ideen der Freiheitsbewegung ziemlich mitreißend und vielversprechend. Welche
Rolle spielt die Politik der CDU im Krieg gegen Rojava?

Clara: Die guten Beziehungen der Bundesregierung zum Türkischen Staat, türkisch-nationalistischen und faschistischen Organisationen in der Türkei und in Deutschland ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Besonders hervorzuheben ist die kontinuierliche Zusammenarbeit von Regierungsparteien wie der CDU/CSU und der SPD mit der MHP (also der Partei der Nationalistischen Bewegung) und den Grauen Wölfen, eine Organisation türkischer Rechtsextremis-ten. Durch die Genehmigung von Rüstungsexporten an die Türkei unterstützt die Bundesregierung den Krieg gegen Rojava ideologisch und militärisch. Auch durch umfassende Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und der Türkei spielt die Regierung dem faschistischen Staat in die Hände. Vollständig abhängig gemacht von den politischen Zielen Erdogans hat sich die Regierung und ganz Europa durch das EU-Türkei-Abkommen von 2016. Schlussendlich arbeiten die Repressionsor-gane beider Regierungen eng zusammen. In Deutschland sind laut offizieller Infor-mation über 3000 Mitarbeiter*innen des Türkischen Geheimdienstes MIT statio-niert. Die Bundesregierung unterstützt die faschistische Kurd*innen-Politik der Türkei aktiv durch die Kriminalisierung der kurdischen Freiheitsbewegung. Politische Manöver der Türkei werden traditionell begleitet von massiven Repressionswellen der deutschen Strafverfolgungsbehörden, wie zB in den
90er Jahren nach der Verschleppung von Abdullah Öcalan und auch heute,
im Zuge des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges von Erdogan.


Dieses Lied ist insbesondere der Kämpferin Sara gewidmet, die zusammen mit den beiden anderen Revolutionärinnen Ronahî und Rojbîn im Auftrag des türkischen Geheimdienstes hingerichtet wurden. Am 9. Januar 2013 wurden die kurdischen Politikerinnen Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Saylemez in den Räumen des Kurdischen Informationsbüros in Paris heimtückisch ermordet. Sakine Cansiz (Sara) und Fidan Doĝan (Rojbîn) wurden mit Kopfschüssen, Leyla Saylemez (Ronahî) mit Schüssen in Kopf und Bauch getötet.

Radio T: Was passierte am 25. Oktober im CDU-Büro in Chemnitz?

Clara: Um gegen die kriegerische Zusammenarbeit der Bundesregierung mit der Türkei zu protestieren, besetzten am 25. Oktober 13 Internationalist*innen erfolg-reich das CDU-Wahlkreisbüro am Markt in Chemnitz. Im Verlauf eines simulierten Interviews mit der Kreisvorsitzenden gelangten die Aktivist*innen gewaltfrei und unbewaffnet in das Parteibüro. Drei der Besetzer*innen ketteten sich mit Eisen-schlössern irreversibel an eine Absturzsicherung am Fenster. Aus den Fenstern im zweiten Stock wurde während der ganzen Besetzung mit Passant*innen und der unterstützenden Kundgebung vor dem Haus der CDU-Geschäftsstelle kommuni-ziert. Während den Verhandlungen mit der Polizei und der anschließenden Räu-mung verhielten sich alle Besetzer*innen ruhig und friedlich. Durch Angebote, Provokationen und Beleidigungen von Einsatzleitung und Beamten ließen sich die Internationalist*innen nicht aus dem Konzept bringen. Trotz aller Zurückhaltung wendete die Polizei bei der Räumung permanent Schmerzgriffe und rohe Gewalt an. Nach fast vier Stunden war das CDU-Büro vollständig geräumt. Allen Beset-zer*innen wurde nach der Räumung ein Platzverweis erteilt, eine Internationalistin wurde aus inszenierten Gründenfür mehrere Stunden in der Hauptwache gefangen gehalten. Nach der Aktion suchten zwei Internationalist*innen mit Verletzungen an Kopf, Händen und Rippen einen Notfallchirurgen auf. Im Nachgang der Aktion wurden alle 13 Besetzer*innen beschuldigt, sich strafbar gemacht zu haben des Hausfriedensbruchs, der Nötigung und des Verstoßes gegen das Verbot von
Vermummung u. Schutzwaffen bei Versammlungen.


3. SOLIKAMPAGNE „CDU BESETZEN? UNBEZAHLBAR!“

Radio T: Im Nachgang der CDU-Besetzung wird momentan eine Spendenkampagne unter dem Namen „CDU BESETZEN? UNBEZAHLBAR!“ organisiert. Welche Ziele werden mit der Kampagne verfolgt?

Clara: In der Hoffnung, eine keinesfalls vollständige, jedoch einführende Über-
sicht über die politische Motivation hinter der Besetzung, den Ablauf der Aktion
und die darauffolgende staatliche Repression geben zu können, wurde ein Blog
ins Leben gerufen: cdubesetzen.noblogs.org
Einerseits hoffen wir auf umfangreiche finanzielle, öffentlichkeitswirksame und organisatorische Unterstützung zur Realisierung unserer Spendenkampagne, andererseits ist es uns ein tiefes Anliegen, die Notwendigkeit der Verteidigung dieser einzigartigen Revolution in Rojava präsent zu halten. Der öffentliche
Umgang mit Repression soll somit nicht nur der Unterstützung der Inter-nationalist*innen dienen, sondern vor allem an den barbarischen Krieg
erinnern, der jeden Tag in Rojava tobt!

Radio T: Wie kann die Kampagne „CDU BESETZEN?
UNBEZAHLBAR!“ unterstützt werden?

Clara: Eine Spendenkampagne lebt vor allem durch Vielfältigkeit und
Multiplikator*innen. Auch wenn wir, die Internationalist*innen der CDU-
Besetzung vom 25.10.19 und unser soziopolitisches Umfeld, unser Bestes
geben, um weiterhin gegen den Genozid in Kurdistan vorzugehen, auf den
Komplex der kurdischen Freiheitsbewegung aufmerksam zu machen und die
Repressionskosten für die Verfahren im Nachgang der CDU-Besetzung zu
decken, sind unsere Möglichkeiten in Chemnitz doch begrenzt. Deswegen
brauchen wir die praktische Solidarität von euch! Wir hoffen, mit unserer
Analyse und unseren Aktionen, ein wenig für Inspiration zu sorgen und die
Notwendigkeit einer internationalistischen Intervention in Europa hervor zu
heben. Wir erwarten nicht, dass ihr eure Arbeitsschwerpunkte und sozialen
Kämpfe vernachlässigt, um uns zu unterstützen, aber wir wünschen uns ein
wenig Rückhalt und gedankliche Teilhabe. Wir hoffen darauf, dass ihr unsere
Kampagne und unsere Ziele bei euren Projekten mitdenkt.
Wir freuen uns auf eure Aktionen und Spenden!

Radio T: Auf der Website der Kampagne wurden verschiedene
Möglichkeiten aufgeführt, wie die Kampagne von Einzelpersonen
oder Gruppen, Vereinen und anderen Organisationen unterstützt
werden kann. Könnt ihr das etwas konkretisieren?

Coco: Macht über eure Internetkanäle, analoge Medien und in euren Räumlich-keiten auf den Krieg in Kurdistan, die CDU-Besetzung in Chemnitz und die Soli-kampagne aufmerksam! Schickt unseren Spendenaufrauf an alle befreundete Gruppen / Vereine / Organisationen. Je mehr Menschen von der Kampagne erfahren, desto mehr Spenden können aquiriert werden und umso mehr Men-
schen werden auf den unmenschlichen Krieg in Kurdistan aufmerksam!

Clara: Überlegt, ob in euren Räumlichkeiten oder in anderen Locations Soli-
material (Plakate, Flyer) aufgehängt oder verteilt werden können. Fragt direkt in den Locations, ob das möglich ist oder schickt uns gern eine Liste und wir übernehmen die Kommunikation. Wir bemühen uns, das Solimaterial zeitnah zu verschicken!

Coco: Überlegt, ob ihr als Gruppe / Verein / Organisation, Geld für die Soli-kampagne spenden könnt, um somit die Kampagne und Repressionskosten
teilweise zu finanzieren. Erzählt euren Mitgliedern und eurem Publikum von der Kampagne und bittet sie um eine Spende. Auch kleine Beträge sind wertvoll!

Clara: Überlegt, ob ihr Kapazitäten habt, um Spendenaktionen zu starten. Zum Beispiel könnt ihr bei euren Veranstaltungen Spenden sammeln. Auch in soli-
darischen Clubs oder bei kulturellen – oder Bildungsveranstaltungen können Spendendosen am Einlass aufgestellt werden. Mit einer Essensbude, einer
Cocktailbar oder anderen Verkaufsständen bei Festivals, Stadtfesten oder Nach-barschaftsevents kann schnell und einfach viel Geld eingenommen werden. Durch Solipartys kann in kurzer Zeit sehr viel Geld eingenommen werden. Es gibt viele Möglichkeiten! Schreibt uns gern an, um eure Ideen zu diskutieren oder falls ihr euch organisatorische Hilfe wünscht. Schickt uns gern Fotos von euren Aktionen!

Coco: Wenn ihr Kontakt zu Journalist*innen, Medienschaffenden oder Presse-vertreter*innen habt, oder es in eurer Stadt ein cooles Stadtmagazin gibt, könnt
ihr anfragen, ob die Möglichkeit besteht, unseren Spendenaufruf abzudrucken, ein Interview mit uns zu führen oder auf andere Weise auf die Kampagne aufmerksam zu machen! Andernfalls freuen wir uns auch über die Vermittlung von Kontakten oder Hinweise auf Medien, welche uns unterstützen könnten!


4. AKTUELLE LAGE IN SYRIEN UND AN DEN EU-AUßENGRENZEN

Radio T: Mit der Besetzung wolltet ihr auf den Krieg in Rojava aufmerksam machen, wie ist die Lage aktuell in Nord- und Ost-Syrien?

Coco: Im Januar/Februar 2018 erfolgte die Annexion von Afrin durch die Türkei und ihre dschihadistischen Verbündeten. Seitdem erlebt die lokale Bevölkerung die Er-richtung eines islamischen Kalifats. Damit einher gehen die Durchsetzung der Ge-setze der Sharia (v.a. durch FSA- u. Al-Nusra-Kämpfer, wovon besonders Frauen u. ethn. Minderheiten betroffen sind), Prozesse der ethnischen Säuberung, Vertrei-bung von Kurd*innen u. Armenier*innen, Vergewaltigungen, Entführungen u. Löse-gelderpressung und barbarische Exekutionen. Die Islamisten, welche Afrin beset-zen, widmen sich der Zerstörung von kulturellen u. religiösen Einrichtungen, Bau-werken und Gedenkstätten. Außerdem bemüht sich der türkische Staat um die Ansiedlung von dschihadistischen (meist arabischen) Familien aus der Türkei u. Syrien zur demografischen Veränderung der Region. Mit Befreiung der letzten Hochburg des IS in al-Bagouz wurde ein militäri-scher Sieg der YPG/YPJ über den sog. Islamischen Staat in Rojava errungen. Am 9. Oktober 2019 erfolgte schließlich der Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffs-krieges der Türkei auf die demokratische Selbstverwaltung. Die Angriffe der Türkei auf Nord- und Ostsyrien nahmen nach dem Sieg über IS zu und mündeten schließ-lich in der Invasion, die mit Hilfe islamistischer Proxys im Dienste Ankaras seit knapp 4 Monaten andauert. Der türkische Besatzungsstaat führt gemeinsam mit seinen Dschihadistenmilizen und unter Einsatz von Panzergeschützen, Bodenartil-lerie, Kampfdrohnen und Kriegsflugzeugen entlang der gesamten Grenze zu Nord-syrien und Nordostsyrien genozidale Angriffe durch. Hervorzuheben sind beson-ders Angriffe der türkischen Armee und ihrer dschihadistischen Söldnertruppen auf Gefängnisse und Camps in Rojava, wo besonders viele IS-Kämpfer leben. Infolge dieser Angriffe gelang es hunderten Dschihadisten, zu fliehen – viele von ihnen reorganisierten sich nachweislich in islamistischen Milizen wie Jabhat al-Nusra und der FSA in Syrien. Der Großteil der Bodentruppen Erdogans besteht aus Söldnern der Freien Syrischen Armee, die sich nun „Syrische Nationale Armee“ nennen. Die-se Truppen wurden von der Türkei aus verschiedenen sunnitisch-muslimischen arabischen und turkmenischen bewaffneten Gruppen zusammengestellt. Alle Gruppen, die nun diese neue Bodentruppe bilden, sind in der Vergangenheit durch Kriegsverbrechen bekannt geworden. Die Mehrheit von ihnen hat direkte oder indirekte Beziehungen zum Islamischen Staat (IS). Die Aufstellung und Unterstüt-zung von dschihadistischen Söldnertruppen durch die Türkei, deren Zusammen-arbeit sowie weitreichenden Verbindungen zum IS sind ebenfalls während dieser Invasion dokumentiert worden. Der türkische Staat setzt dabei dschihadistische Gruppen als institutionellen Bestandteil seiner Bodentruppen ein, um die Beset-
zung aufrecht zu erhalten und die Bevölkerung in den eroberten Gebieten zu unterdrücken.


(deutsch)

Radio T: Wie geht die Türkei gegen Rojava vor?

Coco: Allgemein setzt die türkische Armee auf unterschiedslose Kriegsführung. Insbesondere entlang der Grenzlinie wurden und werden zivile Siedlungsbiete intensiv bombardiert. Nach QSD-Angaben hat die Türkei seit Beginn des Krieges gegen Nordsyrien über 380 Luftangriffe durchgeführt. Weitere knapp 1.100 Angriffe erfolgten mit Panzern, schweren Waffen und weiterer Bodenartillerie. Die Unter-schiedslosigkeit der türkischen Kriegsführung zeigt sich in Angriffen auf Personen der Zivilgesellschaft, wie zum Beispiel die gezielte Attackierung von zivilen Kon-vois. Ein Beispiel für diese Vorgehensweise ist die Hinrichtung der Politikerin Hervin Khalaf von der Zukunftspartei Syriens und ihrer Begleitpersonen.

Hevrin Khalaf, gewaltvoll ermordet von Dschihadisten von Ahrar al-Sharqiya in der Nähe der Verkehrsstraße M4 am 12. Oktober 2019

Zusätzlich nahmen mit Beginn der Invasion dschihadistische Anschläge in den Gebieten der Selbstverwaltung zu, wie etwa Selbstmordattentate und Autobomben im Zentrum von Städten. Die gezielte Zerstörung von ziviler Infrastruktur, wie der Bombardierung von Krankenhäusern, Trinkwasserversorgungsanlangen und der Stromversorgung, sowie der Begrenzung der Wasserzufuhr nach Syrien durch Stauung und Regulation der Wasserdurchlässigkeit von Staudämmen in der Türkei, verstehen wir als massiven Angriff auf die Zivilgesellschaft. Die Auswirkungen die-ser Kriegsführung äußern sich durch Wasserknappheit in den Städten und Dörfern Rojavas, folglich in der Einschränkung der Möglichkeiten der Landwirtschaft und massiver Versorgungsknappheit durch die Behinderung der autarken Lebensmittel-produktion. Von international anerkannten Wissenschaftler*innen wurde der Einsatz von weißem Phosphor gegen die Zivilgesellschaft bestätigt. Weißer Phosphor ist die gefährlichste Form des Phosphors. In Brandbomben wird die Substanz mit Kautschukgelatine versetzt. Somit bleibt die zähflüssige Masse an der bis dahin noch nicht brennenden Person, die Kontakt mit dem Kampfstoff hatte, haften und wird weiter verteilt. Neben der Brandwirkung und den schwer heilenden Verletzung-en sind weißer Phosphor und seine Dämpfe hochgiftig. Der Einsatz von Phosphor-bomben als Brandwaffen gegen Zivilpersonen ist entsprechend dem Verbot von unterschiedslosen Angriffen in den Zusatzprotokollen zur Genfer Konvention ver-boten. Es wurde dokumentiert, dass türkischen Streitkräfte in bewohnten Regionen wie Serêkaniyê und Girê Spî Chemiewaffen vor allem gegen Frauen und Kinder eingesetzt haben. Die OPCW (Organisation für das Verbot chemischer Waffen) hatte eine Untersuchung der Chemiewaffeneinsätze in Nordsyrien aufgrund fehlen-den Mandats abgelehnt, nachdem sie eine Spende über 30.000 Euro von der Tür-kei erhalten hatte. Die Besatzungstruppen greifen trotz angeblichem Waffenstill-standsabkommen weiterhin großflächig die selbstverwalteten Gebiete in Rojava an. Die Städte Serêkaniyê und Girê Spî, sowie die umliegenden Gebiete sind durch die Absegnung Russlands und der USA vollständig von der Türkei und ihren verbündeten Truppen besetzt worden.

Radio T: Welche demografischen Auswirkungen zeigen sich jetzt, 4 Monate nach Beginn des großangelegten Angriffskrieges der Türkei in Rojava?

Coco: Trotz größter Anstrengung konnte im Zuge des Angriffskrieges nur ein Teilgebiet von Rojava erobert werden. Das besetzte Gebiet entlang der türkisch-syrischen Grenze (also Gire Spi, Serekaniye) erstreckt sich ca 30km von der türkischen Grenze aus nach Süden und ca 170km entlang der Grenze. Dieses Gebiet entspricht ungefähr 10% der Gesamtfläche der Demokratischen Admini-stration Nord- u. Ostsyrien. Es gibt anhaltende Invasionsangriffe seitens der türki-schen Armee und der mit ihr verbündeten Truppen auf die Regionen und Städte von Tel Temer und Ayn Issa sowie an vielen Stellen entlang der internationalen Ver-kehrsstraße M4, um diese Städte zu kontrollieren und zu isolieren. Zudem wird die Bodeninvasion weiterhin durch Luftangriffe von türkischen Kampfflugzeugen und Drohnen (UAV) unterstützt. Infolge dieser Angriffe sind knapp 400.000 Menschen aus ihren Heimatorten vertrieben worden. Ca 500 Zivilist*innen wurden getötet, weitere 2.700 verletzt. Die QSD erwidern jegliche Art von Angriff auf Grundlage der legitimen Selbstverteidigung. Die QSD unterstreichen die besondere Rolle der Frauenverteidigungseinheiten YPJ (Yekîneyên Parastina Jin) beim Widerstand in Rojava. Im Zuge der Verteidigung wurden 1.500 türkische Soldaten und islamisti-sche Proxys getötet. Knapp 300 Angehörige der Invasionstruppen wurden verletzt. Infolge dieser Verstoße ist es bisher zu ca 500 Verlusten in den Reihen der Demo-kratischen Kräfte Syriens gekommen. 1.500 Kämpferinnen und Kämpfer wurden verletzt, weitere 70 Angehörige sind in Gefangenschaft geraten.


In diesem Lied geht es um die Verteidigung Rojavas.

Durch die türkische Invasion in Nordsyrien wurden hunderttausende Menschen zu Geflüchteten und Binnenvertriebenen, die sich noch immerin dem von der autono-men Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens verwalteten Gebiet befinden. Seit dem 2. November wurden ca 400.000 Menschen durch die türkische Invasion vertrie-ben, Frauen und Kinder sind dabei von gravierenderen Auswirkungen betroffen. 150.000 davon befinden sich nun in der Jazeera-Region. Die Geflüchtetenlager in Rojava, welche auch Tausende Menschen aufgenommen haben, die vor den Aus-wirkungen des Syrienkrieges fliehen mussten, sind maßlos überfüllt und erhalten keinerlei humanitäre Unterstützung durch internationale Hilfsorganisationen.

Radio T: Während der CDU-Besetzung wurden von den Internatio-
nalist*innen konkrete Forderungen verlesen. Welche Forderungen
stellt ihr nun in Anbetracht der aktuellen politischen Lage in Rojava
an die Internationale Gemeinschaft?

Clara: Unverzüglich müssen folgende Maßnahmen von der internationalen Gemeinschaft ergriffen werden, um die physische und soziale Krise zu
beenden, die durch die türkische Invasion verursacht wurde und in deren
Rahmen Gewalt, Vertreibung, Kriegsverbrechen, Not und Menschenrechtsverletzungen verübt werden:

• die Einrichtung einer “Flugverbotszone” über Nordsyrien zum Schutz
der Zivilbevölkerung vor willkürlicher Gewalt und Massakern

• der sofortige Rückzug der türkischen Besatzungsarmee und aller mit ihr verbundenen bewaffneten Gruppen aus dem Territorium Syriens, sowie die Beendigung der Besetzung, der Völkermordpraktiken und des Feminizids

• die Einrichtung einer Friedensmission der internationalen Gemeinschaft an
der türkisch-syrischen Grenze zur Verhinderung weiterer Angriffe der türki-
schen Armee und all ihrer verbündeter Milizen

• die umgehende Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei
und die sofortige Einstellung des gesamten Waffenhandels mit der Türkei

• und schließlich Sofortmaßnahmen zur umfangreichen humanitären Unter-stützung der Regionen der Autonomen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens

Radio T: Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der Türkei auf die Selbst-
verwaltung ist nicht das einzige Schlachtfeld Erdogans in Syrien. Seit Februar scheint die militärische Situation um Idlib zu eskalieren. Was
genau bedeuten die Gefechte in der Region nördlich von Aleppo?

Coco: Entsprechend der Versprechungen von Russland und dem syrischen Re-gime zur Erhaltung der Souveränität Syriens befreiten syrische Truppen im Februar die letzten Rebellengebiete nördlich von Aleppo. Durch massive Bom-bardierungen des syrischen Regimes auf Militärstützpunkte von FSA und Al-Nusra wurden türki-sche Soldaten getötet, welche sich in den Stellungen ihrer verbündeten Dschihadis-ten aufhielten. Daraufhin begann die Türkei, massiv Truppen nach Idlib zu verlegen und Vergeltungsschläge gegen syrische Truppen zu verüben. Die Luftschläge der türkischen Armee konnten nur durch die Eröffnung des Luftraumes durch Russland ermöglicht werden, was ein weiteres Anzeichen für die Doppelmoral der russischen Syrienpolitik darstellt. Die schweren Gefechte in Idlib zwischen türkischen Truppen und dem syrischen Regime sind Ausdruck des Scheiterns der internationalen Mächte. Das Scheitern der Türkei drückt sich aus in der inneren politischen und wirtschaftlichen Krise der Türkei (auch durch die Beteiligung der Türkei im syri-schen Bürgerkrieg) und dem Scheitern der politischen Einflussnahme in Syrien durch die Zerschlagung der Rebellenhochburgen von Al-Nusra und FSA. Das Scheitern der Türkei zeigt sich auch in einer zunehmenden Destabilisierung des politischen Ansehens der Türkei in der EU und im Westen durch Verhandlungen mit Russland und kriegerischen Handlungen entgegen internationaler Konventionen u. NATO-Bestimmungen. Auch aufgrund des Verkaufs der S400-Raketensysteme von Russland an die Türkei scheiterten die Hoffnungen Erdogans auf militärische Unterstützung der NATO und der USA in den Kämpfen um Idlib auf der Seite der türkischen Armee. Das Scheitern westlicher Staaten drückt sich aus in dem Ver-sagen bei dem Versuch einer einheitlichen europäischen Syrien-Politik mit dem Ziel der Beendung des Krieges in Syrien zur Auflösung von Fluchtursachen und der Demokratisierung der Region. Der momentane Höhepunkt im Syrienkrieg bewirkt erneut massive Fluchtbewegungen innerhalb von Syrien. Der Westen scheiterte auch bei der Bekämpfung des Terrorismus in Syrien durch Toleranz von Rebellen-hochburgen und der terroristischen Kriegsführung Erdogans, sowie politischer und militärischer Unterstützung an die Türkei.

Radio T: Am 5. März 2020 schlossen Putin und Erdogan einen vorläufigen Waffenstillstand durch das Moskauer Abkommen. Könnte sich dadurch
die Situation zwischen Russland und der Türkei in Syrien entspannen?

Clara: Das Moskauer Abkommen zwischen Putin und Erdogan ist schwammig und widersprüchlich. Es beinhaltet das Ziel der Aufrechterhaltung des Sotschi-
Abkommens vom September 2018. Beide Kriegsparteien haben als Grund für Kampfhandlungen Verletzungen des Sotschi-Abkommens genannt, allerdings scheinen Putin und Erdogan die Bestimmungen des Abkommens unterschiedlich zu interpretieren. Erdogan erklärte, dass die Türkei jeden Angriff des syrischen Regimes erwidern wird u. dass ein „neuer Status in Idlib“ unausweichlich sei. Putin hingegen beruft sich auf den Schutz der Souveränität und der territorialen Gesamt-heit Syriens, was als klare Absage an Erdogans hegemoniale Absichten in Idlib verstanden werden kann. Außerdem konstituierte Putin erneut die Notwendigkeit des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus. Diese Erklärungen deuten darauf hin, dass der ausgehandelte Waffenstillstand zwischen den beiden Groß-mächten nicht von Dauer sein wird. Ebenso werden im Rahmen des Abkommens viele Streitpunkte offen gelassen, wie zum Beispiel der Umgang mit den inter-nationalen Verkehrswegen M4 und M5, sowie den kürzlich von Assad zurück-eroberten Gebieten nördlich von Aleppo. Perspektivisch kann davon ausgegangen werden, dass Erdogan zur Reorganisierung der hegemonialen Macht der Türkei in Syrien weiterhin versuchen wird, Gebiete zu annektieren, vor allem in Rojava. Was Erdogan mit seiner Forderung nach einem neuen Status für Idlib vorschwebt, ist die Aufrechterhaltung seines Einflusses in der Region. Wenn er Idlib nicht vollständig halten kann, will er zumindest einen Teil des Gebiets einschließlich Efrin, Gire Spi und Serekaniye zum Ausbau seiner politischen und wirtschftlichen Interessen in der Hand behalten. Russland wird seine politische Präsenz in Syrien und im Mittleren Osten beibehalten und weiterhin danach streben, seine politische Einflussnahme in dieser Region zu konsolidieren.

Radio T: Im Zusammenhang mit Erdogans kriegerischen Absichten in Syrien öffnete die Türkei kürzlich die Grenze zu Griechenland für Geflüchtete. Was bedeutet diese Maßnahme für die EU und wie ist die Situation vor Ort?

Coco: Durch die Öffnung der Grenze zu Griechenland durch die Türkei wird das EU-Türkei-Abkommen (2016), der sog. Geflüchtetendeal, faktisch außer Kraft gesetzt. Erdogan benutzt schutzsuchende Menschen als Druckmittel gegen die EU, um militärische Unterstützung und weitere Gelder für die Finanzierung seines Krieges zu erpressen. Derzeit befinden sich ca 13.000 Geflüchtete an der Grenze der Türkei zu Griechenland. Die türkische Regierung betont, dass täglich tausende Menschen hinzukommen können. Die Ereignisse der letzten Tage zeigen, dass die Türkei aktiv und gewaltvoll Menschen dazu drängt, die Grenze zu Griechenland zu passieren. Das griechische Militär hat bereits zwei schutzsuchende Menschen an der Grenze erschossen und geht mit Schusswaffen, Tränengas und körperlicher Gewalt gegen die Geflüchteten vor. Griechenland hat faktisch das europäische Asylrecht außer Kraft gesetzt und bekannt gegeben, für einen unbefristeten Zeit-raum keine Asylanträge zu bearbeiten. Menschen, die es geschafft haben, die Grenze zu passieren, sind der Gefahr ausgesetzt, direkt durch den griechischen Grenzschutz unter Anwendung von menschenunwürdigen Praktiken zurück in die Türkei abgeschoben zu werden oder mit Angriffen militanter Faschist*innen kon-frontiert zu sein. Seit der Grenzöffnung der Türkei wurden mehrere Angriffe von griechischen Neonazis auf Infrastrukturen von Geflüchtetencamps und Hilfsorgani-sationen dokumentiert. Journalist*innen und Mitarbeiter*innen von NGOs wurden bereits wiederholt gewaltsam attackiert. Aufgrund der asylpolitischen Haltung der EU zugunsten der Fluchtursachen und zu missgunsten der Geflüchteten in den letzten Jahrzehnten, sowie der Aussetzung des EU-Türkei-Abkommens durch die kürzliche Grenzöffnung erleben wir ein enormes Erstarken der militanten rechts-extremen Bewegungen in Europa, vor allem in EU-Grenzländern. Durch die gesell-schaftliche Toleranz und Ignoranz gegenüber faschistischen Strukturen in Europa, war es diesen möglich, in den letzten Jahrzehnten umfassende Netzwerke aufzu-bauen und eine gemeinsame Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Gewaltbereite Faschist*innen organisieren nicht nur illegale Aktivitäten im Untergrund, sondern verbreiten unter dem Schutz des Parlamentarismus legal ihre menschenverach-tenden Ideologien. Nun mobilisieren Rechtsextreme in ganz Europa an die Außen-grenzen, um die Abschottungspolitik in europäischer Tradition auf eigene Initiative fortzuführen. Die Reaktionen der Bundesregierung und der EU auf die Ereignisse an der türkisch-griechischen Grenze verstärken diese Entwicklungen ideologisch massiv. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dankte Griechen-land dafür, dass „Europäische Schild“ zu sein und sagte weiterhin: „Die Türkei ist kein Feind und Menschen sind nicht nur ein Mittel, um ein Ziel zu erreichen.“ Basierend auf der Argumentation der Kontrollsicherung und der Verhinderung
von gesellschaftlicher Destabilisierung unterstützt die EU die Abschottungs-
und Aufrüstungsprozesse an der griechischen Grenze. Erst kürzlich bewilligte
die EU 700 Millionen Euro für den griechischen Grenzschutz.

Radio T: Was muss in der Welt passieren, damit der Krieg in Syrien und die neoosmanischen Bestrebungen der Türkei eingedämmt werden können?

Clara: Es gibt keine einfache oder vollständige Antwort auf diese Frage, aber wir teilen die Analyse, dass internationale Phänomene sowohl in ihren Ursachen, als auch in ihren Auswirkungen behandelt werden müssen. Bei der Behandlung von Ursachen des Krieges bedarf es einer grundlegenden Veränderung der politischen Haltung des Westens zum Mittleren Osten, vor allem zur Türkei – hin zu einem lösungsorientierten außenpolitischen Handeln. Es bedarf wirtschaftlicher Konse-quenzen (zum Beispiel der Stoppung laufender Rüstungsexporte u dem Abbruch der Zusammenarbeit mit staatlichen Wirtschaftsakteuren in der Türkei). Bei der Behandlung von Auswirkungen des Krieges bedarf es der sofortigen Öffnung der EU-Grenzen für Schutzsuchende, sowie einer grundlegenden Reorganisierung der europäischen Asylpolitik. Es bedarf einer massiven Verfolgung von IS-Kämpfern und islamistischen Organisationen in Deutschland und auf der ganzen Welt. Allgemein muss jedoch, besonders in Ostdeutschland, der Kampf gegen den Faschismus in den Parlamenten, den Medien und auf Straße kontinuierlich
und ehrgeizig geführt werden.


In diesem Lied geht es um den Widerstand der Guerilla in Kurdistan.


5. BILDUNGSWOCHEN: „ROJAVA – EINE UTOPOIE?

Die Menschen, welche die Veranstaltungen organisieren, wollen gemeinsam mit
den Besucher*innen die verschiedenen Aspekte der Selbstverwaltung und der Freiheitsbewegung kennenlernen und diskutieren. Dazu laden sie alle herzlich ein, zu der Veranstaltungsreihe „ROJAVA – eine Utopie?“, die von März bis Mai an unterschiedlichen soziokulturellen Orten in Chemnitz stattfinden wird.

Themen:
• Einführung Rojava
• Geschichte der kurdischen Bewegung
• Jugendbewegung in der Türkei
• Widerstand in türkischen Foltergefängnissen (Diyabakir)
• Demokratischer Konföderalismus
• Geschichte der Frauenbefreiungsbewegung
• Jineoloji
• Ökologie / Klimagerechtigkeit und Antifaschismus
• BRD und Türkei

Anmerkung: Die Verantstaltungsreihe „Rojava – Eine Utopie?“ wurde aufgrund der Corona-Krise auf unbestimmte Zeit vertagt.

Chronologie des Krieges in Nord- und Ost-Syrien und der Revolution in Rojava (2018 – 2020)


Zu allen Abkürzungen und Namen von Organisationen findet ihr eine kurze Beschreibung in der Übersicht zu kurdischen Organisationen und anderen Parteien in Kurdistan oder in der Übersicht zu faschistischen Organisationen in Kurdistan.


JANUAR 2018

Nach mehrmaligen Drohungen und Bombardements fielen islamistische Milizen
mit Hilfe der türkischen Armee und Luftwaffe am 20. Januar in das bis dahin vom Bürgerkrieg nahezu verschont gebliebene Efrîn ein. Damit begann die türkische Militäroperation mit den zynischen Namen „Olivenzweig“. Am 25. Januar rief die Selbstverwaltung des Kantons das syrische Regime auf, seine Grenzen gegen
die türkischen Angreifer zu schützen. Trotz schwerster Bombardierungen
schafften es YPG und YPJ größere Landgewinne der islamistischen und türkischen Truppen zu verhindern.


FEBRUAR UND MÄRZ 2018

Die SDF unterbrachen die Offensive in Richtung Deir ez Zor und verlegte große Teile ihrer Truppen nach Efrîn und Minbic. Der türkische Staat verschaffte mit seinem Angriff auf Êfrin DAIŞ eine Galgenfrist, die tausende IS-Kämpfer nutzten um unterzutauchen, ins Ausland zu gehen oder Schläferzellen aufzubauen,
welche teilweise noch heute existieren.

Turkish-backed FSA fighters hold Turkish national flag and FSA flags at a checkpoint in Azaz on a road leading to Afrin (01.02.2018)

Nach intensiven Kämpfen, in denen die schwer bewaffnete türkische Armee permanent von der Luftwaffe und zehntausenden jihadistischen Söldnern unter-stützt wurde, konnten die Invasionsstreitkräfte schließlich am 18. März die Kon-trolle über ganz Afrîn übernehmen. Mehrere Hunderttausend Menschen flohen in die Region Şahba und andere Teile von Nordsyrien. Man kann davon ausgehen, dass sowohl die USA als auch Russland dem Einmarsch zugestimmt hatten. Während Russland offenbar den Riss zwischen der Türkei und den USA vertiefen und dabei die NATO schwächen will, wollen die USA Erdoğan bei der Stange halten und die Demokratische Föderation zumindest teilweise von sich abhängig machen.

Die YPG und YPJ sowie die Bevölkerung von Afrîn leisteten 58 Tage einen histori-schen Widerstand. Wohl kein Staat der Region hätte so lange einer türkischen Militäraggression standhalten können. Nachdem die äußeren Verteidigungslinien im Gebirge zusammengebrochen waren und international keinerlei Unterstützung zu erwarten war, entschieden sich die YPG und YPJ dazu, sich aus der Stadt zurück-zuziehen. Die türkische Armee war inzwischen dazu übergegangen, zivile Einrich-tungen, u.a. das Krankenhaus von Afrîn, gezielt zu bombardieren, wo hunderte Verletzte untergebracht waren. Erdoğan erklärte wiederholt, dass die Operation auf den gesamten Norden Syriens ausgedehnt werden würde, als auch auf die anderen Kantone Rojavas – mit der Perspektive, sogar in den Irak einzumarschieren. Auch Luftschläge gegen die ezidische Region Şengal und den Nordirak riefen keine internationalen Proteste hervor.

25 ezidische Dörfer in Afrîn wurden durch die Besatzung der Türkei und ihrer Verbündeten im Frühjahr 2018 weitgehend entvölkert. Es war das letzte zusam-menhängende Siedlungsgebiet von Ezid*innen in Syrien. Die Afrîn-Besetzung durch die türkische Armee im März 2018 hat die meisten Ezid*innen in die Flucht getrieben. Die SOHR (Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte) meldete fast täglich Verstöße gegen die Menschenrechtskonvention durch die islamisti-schen Milizen und belegte diese mit Videos aus den Sozialen Netzwerken, in denen auch immer wieder türkische Militäruniformen auftauchen. Die türkische Regierung schweigt zu diesem Thema.

Am 24. Feburar beschloss der UN-Sicherheitsrat einstimmig einen 30 Tage dauernden Waffenstillstand, von dem der IS, die al-Nusra-Front, al-Qaida und mit ihr verbündete Gruppierungen, sowie andere vom UN-Sicherheitsrat festgelegte Terrororganisationen, ausgenommen waren. Die Türkei kündigte unterdessen an, ihre Militäroffensive trotz der UNO-Resolution fortzusetzen. Am 13. März standen die türkischen Truppen an der Stadtgrenze von Efrîn. Sie kappten die Wasser und Stromversorgung der Stadt. Ab dem 14. März begann die Evakuierung der Stadt-bevölkerung. Am 18. März zogen sich alle in der Stadt verbliebenen SDF-Kämpfer*innen zurück. Der Co-Vorsitzende der Regionalverwaltung des Kantons verkündet in einer Fernsehansprache den Guerilla-Krieg, der andauern wird, bis sich alle Besatzer aus Efrîn zurückgezogen haben.


MAI BIS OKTOBER 2018

Die „Befreiungskräfte Efrîns“ (HRE) gründeten sich und führen bis heute einen erfolgreichen Guerilla-Krieg gegen die Besatzungstruppen in Efrîn.

Logo der HRE

Im Sommer 2018 haben die DFNS und der MSD mit der syrischen Regierung die bisher umfassendsten Gespräche über einen Frieden und eine politische Lösung in Syrien begonnen. Ohne eine Übereinkunft, dessen sind sich beide Seiten bewusst, kann sich der Krieg weitere Jahre in die Länge ziehen – mit ungewissem Ausgang. Diesen Gesprächen stellen sich die USA und Russland offenbar nicht entgegen, während die Türkei dies verhindern möchte. Ob es wirklich zu einem Friedens-schluss kommt, ist angesichts der vielen Risikofaktoren schwer abzuschätzen.

Es kam zu Gefechten mit dem Regime, wie am 8. September 2018 in Qamişlo
in der Nähe des immer noch vom syrischen Staat kontrollierten Flughafens.
Sieben Mitglieder der Sicherheitskräfte [der Autonomieverwaltung] Asayîş kamen
ums Leben als Soldaten des Regimes versuchten, kurdische Jugendliche zum Militärdienst zu zwingen.

Die Offensive gegen DAIŞ in Richtung Deir ez Zor wurde wieder aufgenommen. Nachdem Ende des Sommers die SDF nahezu das gesamte Gebiet im Norden der Stadt Deir ez Zor vom IS befreit hatten und dieser die Stadt im Süden kaum noch gegen die Regime-Truppen halten konnte, griff die Türkei in der Region um Kobanê an. Dadurch brach die SDF die Offensive abermals ab um sich auf eine mögliche türkische Invasion vorzubereiten.

Am 15. August 2018 wurde Zekî Şengalî aus der Leitung der YBŞ
(Widerstandseinheiten Şengal) im nordirakischen Şengal Ziel des Angriffs
einer türkischen Bayraktar TB2 Drohne.

Sehid Zekî Şengalî

ANF: PKK-Erklärung zum Anschlag auf Zekî Şengalî


DEZEMBER 2018

Am 12. Dezember gab die Türkei bekannt, unter Billigung US-amerikanischer Verluste in die Gebiete der Autonomieverwaltung östlich des Euphrat ein-marschieren zu wollen.

Am 14. Dezember meldeten die SDF die Eroberung von Hadschin, der letzten größeren Ortschaft in Syrien, die noch unter Kontrolle der Terrorgruppe IS stand.


FEBRUAR UND MÄRZ 2019

Nachdem in der Region mehr als 20.000 Zivilisten evakuiert worden waren, starteten die SDF mit US-Unterstützung am 9. Februar eine Offensive gegen die letzten verbliebenen IS-Stellungen mit Schwerpunkt im Ort al-Baghuz Fawqani. Am 16. Februar nahmen die SDF das Dorf al-Baghuz Fawqani ein und reduzierten somit das letzte verbliebene Gebiet in Syrien, das unter Kontrolle von DAIŞ
stand, auf eine Fläche von 5 km².

Am 19. Februar unterbrachen die SDF ihre Offensive, um Kämpfern und
Zivilisten die Möglichkeit zur Aufgabe zu bieten. Am 6. März gaben etwa 2000
IS-Kämpfer und ihre Familien auf und ließen sich von der SDF festnehmen. Dazu konnten dutzende Jesid*innen befreit werden, die von DAIŞ als Sklav*innen gehalten worden waren. Am 13. März ergaben sich weitere 3000 Kämpfer
und ihre Familien der SDF.

Am 19. März drangen SDF-Kämpfer*innen auf das Gelände mit der Zeltstadt
vor, das DAIŞ-Kämpfer bis zuletzt verteidigt hatten. Die folgenden Tage kam es
nur noch zu einzelnen Schusswechseln in dem verzweigten Tunnelsystem,
welches der IS angelegt hatte.

Am 21. März, dem kurdischen Newroz-Fest, welches den höchsten Feiertag in der kurdischen Kultur und generell ein wichtiges Datum in Mesopotamien darstellt, konnten die SDF den territorialen Sieg über den „Islamischen Staat“ feiern.


SOMMER 2019

Türkische Agenten legten fast täglich Brände in Weizenfeldern und zerstörten
somit über die Hälfte der Getreideernte. In Efrîn brannten türkische Agenten
tausende Olivenbäume nieder, passend zum Namen des Angriffs auf Efrîn (Operation „Olivenzweig“).

Die Antiterroreinheit der SDF nahmen über 50 Islamisten von
DAIŞ-Schläferzellen gefangen.


9. OKTOBER 2019

Der türkische Staat begann mit Hilfe der aus islamistischen und faschistischen Milizen bestehenden SNA („Syrische National-Armee“) die militärische Invasion „Operation Friedensquelle“ zwischen Girê Spî und Serêkaniyê, nachdem zwei
Tage zuvor der Abzug der dort stationierten US-Truppen begann.

Unter türkischem Oberbefehl nach Nordsyrien entsandte sunnitische Milizen präsentieren im Oktober 2019 die FSA Flagge.


OKTOBER BIS DEZEMBER 2019

Bis zum 12. Oktober haben die türkischen Truppen und ihre Proxys Serêkaniyê und 14 Dörfer eingenommen. Am 13. Oktober eroberten die SDF Serêkaniyê zurück. Am 22. Oktober handelte der russische Präsident mit der AKP-Führung einen Waffenstillstand über Nordsyrien aus. Das Abkommen von Sotschi umfasst den Rückzug der SDF und die Besatzung des Gebietes von Girê Spî bis Serêkaniyê auf eine Tiefe von 30 km durch die Türkei. Am 24. Oktober ziehen sich die letzten SDF-Kämpfer*innen aus Serêkaniyê zurück, um der Einkesselung zu entgehen. Die wichtige Verkehrsstraße „M4“ bleibt durch den entschlossenen Widerstand der SDF unter Kontrolle der Autonomieverwaltung.

Aus dem Gefängnis-Lager Ain Issa flohen mehrere Hundert Frauen, die DAIŞ angehören, mit ihren Kindern.

Die Autonomieverwaltung vereinbarte mit dem Syrischen Regime, dass Regime-Truppen in Kobanê und Minbic zur Sicherung der Grenze und für den Kampf gegen die türkischen Truppen stationiert werden dürfen. Einen Tag später übernahmen die Truppen des Regimes die US-Kasernen in den beiden Städten.

In der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober töten Einheiten der Delta Force zusammen mit Kräften der Antiterror-Einheit der SDF, welche auch die Vor- und Recherchearbeit machten, den „Kalifen des DAIŞ“ Abu Bakr al-Baghdadi.

Die vereinbarte Waffenruhe ist de facto nie in Kraft getreten und so gehen die Angriffe der SNA-Milizen täglich weiter. Infolge der Angriffe sind schätzungsweise 2000 IS-Kämpfer aus mehreren Gefängnissen ausgebrochen und DAIŞ fängt an sich zu reorganisieren. Ab Mitte November kam es täglich zu neuen Anschlägen des IS in Syrien und dem Irak. Die Gefechte um Til-Temir, Ain Issa und südlich von Serêkaniyê zwischen der SNA und der SDF gehen weiter.


JANUAR 2020

Die Gefechte um Til-Temir, Ain Issa und um die Handelsroute M4 gehen weiter. Nahezu 400.000 Binnenflüchtlinge sind durch die türkische Invasion in andere Teile Nord- und Ost-Syriens geflohen. Ca. 600 Zivilisten*innen sind durch die Angriffe der türkischen Armee und die SNA-Truppen umgekommen. Dutzende Schulen und Krankenhäuser wurden durch die türkische Luftwaffe bis zur Vernichtung bombar-diert. Die Trinkwasserversorgung ist in vielen Gebieten zerstört oder nur einge-schränkt möglich. In den besetzten Gebieten herrscht die SNA mit türkischen Beamten und die islamistische Auslegung der Sharia ist als Rechtsprechung eingeführt worden. Alle Errungenschaften der Revolution, wie etwa für die Gleich-stellung der Frau sind abgeschafft worden. Die Selbstverwaltung wird nicht zugelassen. Es kommt, wie in Efrîn, täglich zu Plünderungen, Entführungen mit Lösegelderpressungen, Versklavungen, sexueller Gewalt, Hinrichtungen und Schaustellung von Leichen oder Körperteilen.

Chronologie des Krieges in Nord- und Ost-Syrien und der Revolution in Rojava (2016 – 2017)


Zu allen Abkürzungen und Namen von Organisationen findet ihr eine kurze Beschreibung in der Übersicht zu kurdischen Organisationen und anderen Parteien in Kurdistan oder in der Übersicht zu faschistischen Organisationen in Kurdistan.

In den Jahren 2016 und 2017 waren die SDF immer mehr auf dem Vormarsch, wobei die Befreiung von Minbiç einen besonderen Meilenstein darstellt. Sie konnten im Oktober 2017 schließlich die IS-Hauptstadt Raqqa und die nördlichen Gebiete von Deir Ez-Zor befreien. Damit hat die SDF einen entscheidenden Beitrag für das Verdrängen des IS geleistet, so indirekt auch das Auseinanderbrechen des Baath-Regimes verhindert und den Boden für weitere IS-Massaker im Westen entzogen.


JANUAR 2016

Am 26. Januar begannen die Genf-III-Gespräche mit dem Ziel der Friedens-verhandlungen über den Syrienkrieg. Auf Druck der Türkei wurde die Selbst-verwaltung von Rojava und die PYD explizit von den Verhandlungen ausgeschlos-sen, während als Zugeständnis an die Türkei auf Druck des deutschen Außen-ministers Steinmeier Ahrar aş Şam, der engste Bündnispartner von Jabhat al Nusra und ein Ableger von al-Qaida, eingeladen wurde. Der internationale Delegitimierungsversuch durch die Ausladung der Selbstverwaltung von Rojava von den Genfer Friedensgesprächen und die Protegierung der Türkei durch Deutschland stärkte weiter die Position des NC und dessen antikurdische Haltung.


FEBRUAR 2016

Am 19. Februar 2016 wurde al-Shaddadi, die letzte große Stadt unter
Kontrolle des IS (Al Hasaka), durch die SDF befreit.

Die Angriffe auf Rojava eskalierten im Schatten des am 27. Februar 2016 vereinbarten »Genf-III«-Waffenstillstands immer weiter. Akteure sind dabei
die türkische Armee, die »Istanbuler Opposition« (Nationale Koalition) und
zu ihr gehörenden, im ENKS organisierte kurdische Kräfte (Rojava- Peşmerga), wie auch salafistische Gruppen wie Ahrar as Sham und die in »Genf III« nicht inkludierten Jabhat al-Nusra. Bereits im Jahr 2015, aber vor allem ab dem Frühjahr 2016 intensivierten sich die Angriffe auf die selbstverwalteten Stadtteile in Aleppo. Über 100 Zivilisten starben allein in dem Viertel Şex Maqsud.

Aus Nordkurdistan können mit der Verschärfung des Krieges zwischen dem türkischem Staat und der Kurdischen Freiheitsbewegung ab Anfang 2016
keine (medizinischen) Güter mehr importiert werden.


MÄRZ 2016

Im März wurde der Aufbau der Demokratischen Föderation von Nordsyrien (DFNS) durch Dutzende Parteien und Organisationen ausgerufen. Es geht
dabei nicht um die Annektion ganz Nordsyriens, sondern um die Befreiung
von der Terrorherrschaft der Milizen und der Öffnung eines Raumes zur Selbstorganisierung nach eigenen Bedürfnissen.

Während das Embargo gegen Rojava 2015 kontinuierlich verschärft wurde, erreichte es nach dem 17. März 2016 eine neue Dimension. Zuvor war auf
Druck der Türkei die Selbstverwaltung Rojavas explizit aus den »Genf III« -Verhandlungen ausgeladen worden und sollte so politisch isoliert und kalt-
gestellt werden. Die Selbstverwaltung reagierte mit einem Schritt nach vorn:
mit der Ausrufung der Demokratischen Föderation Nordsyrien, die zugleich ein alternatives Projekt für die gesamte Region darstellt. Daraufhin verschärfte die Türkei und die von ihr abhängige PDK-Regierung ihr Embargo gegenüber Rojava und schloss die Grenzen komplett. Hinzu kamen Verhaftungsoperationen und Übergriffe auf emanzipatorische Aktivist*innen in Südkurdistan, insbesondere
auf kritische Journalist*innen und die kurdische Frauenfreiheitsbewegung.
Sowohl Şengal als auch Rojava sind isoliert, während Hunderttausende Menschen
aus der Region Mosul in Rojava aufgenommen werden. Aufgrund der Ausrufung einer überregionalen Alternative auch zum Assad-Regime hat es Verständigungen zwischen dem Regime und der Türkei gegeben. Rojava wird nun von allen Seiten angegriffen und ökonomisch wie humanitär isoliert. Die Türkei hat im Norden einen Zaun und Mauern um Rojava errichtet, Südkurdistan (Nordirak) hat im Osten einen befestigten Graben gezogen, den es nun mit Militärstützpunkten ausbaut. Nach Süden ist Rojava durch die radikalislamistischen Kampfverbände des IS und der
al-Nusra-Front vom Rest Syriens getrennt.


APRIL 2016

In Qamişlo entflammten erneut Kämpfe zwischen den Regimetruppen Syriens
und der YPG/YPJ. Erstmals bombardierten die Regime-Truppen die Stadt mit Artillerie. Nach vier Tagen wurde ein Waffenstillstand ausgehandelt. Nach einem Scheinangriff auf Rakka begann der Militärrat von Minbic (eine Abteilung der SDF) die Belagerung von Minbic.

Die Gefechte im Dreieck Afrin, Kobanî, Aleppo (Şêx Maqsud) nahmen immer größere Ausmaße an. Unter den am 7. April 2016 getöteten Angreifern waren neben mehreren Mitgliedern von Jabhat al-Nusra und Ahrar al-Scham auch Sultan-Murat-Brigadisten – zwei von ihnen waren Angehörige des türkischen Geheim-dienstes MIT. Insbesondere das nach dem Modell der Demokratischen Autonomie von Rojava selbstverwaltete und den YPG/YPJ verteidigte Stadtviertel Aleppos, Şêx Maqsud, wurde immer wieder zum Ziel von Angriffen. Diese wurden in aller Härte und Erbarmungslosigkeit mit schweren Waffen ausgeübt, was zum Tode zahlreicher unschuldiger Zivilpersonen führte. Mittlerweile gibt es Vorwürfe seitens der YPG, dass bei den am 5. April begonnenen Angriffen der Banden der Nationa-len Koalition und des ENKS auf Şêx Maqsud neben schwerem Geschütz wie Raketen auch Chemiewaffen eingesetzt worden seien. Der vermutete Chemiewaf-fenangriff wurde anscheinend von Jaisch al-Islam verübt, wie der ENKS einräumte.

Am 14. April beschoss die türkische Armee das Dorf Hewar in der Nähe von Azaz. Dabei kamen mindestens 25 Zivilpersonen ums Leben.

Die Grenzstadt Girê Spî wurde am 15. April mit türkischer Artillerie beschossen.

Im April 2016 wurde das erste Zentrum der HPC-Jin, also der Frauen-verteidigungskomitees, in Hesekê aufgebaut.


MAI 2016

Im Mai 2016 starteten die SDF eine Operation zur Befreiung von Rakka. Die
Türkei hatte bis Juni 2016 verhindert, dass die USA und SDF eine gemeinsame Operation auf Rakka durchführen. Die USA unterstützten die Operation der SDF nur, weil sie einen militärischen Sieg in Syrien gegen den IS anstreben. All ihre Bemühungen, selbst eine Anti-IS-Truppe aufzustellen, waren gescheitert. Beide Seiten sind sich bewusst, dass die Beziehungen rein taktischer Natur sind.


AUGUST 2016

Anfang Juni 2016 starteten die SDF eine umfangreiche Befreiungsoperation für die seit Januar 2014 vom IS kontrollierte Region Manbij, zwischen Kobanî und Afrîn gelegen, unter dem Namen »Abu Leyla« im Gedenken an einen der arabisch-stämmigen, sehr beliebten Kommandanten, der in der Befreiung von Kobanî eine wichtige Rolle gespielt hatte.

The Story of Abu Layla


Faisal Abu Layla (1984 – 5 June 2016) was a commander of the Free Syrian Army and the Syrian Democratic Forces. He was regarded by some Kurds as a hero in the battle against Islamic State. Abu Layla was born near Kobanî to Kurdish and Arab parents; he died in a hospital in Sulaymaniyah, Kurdistan Region, Iraq. His death was caused by sniper bullet to the head he received in the Abu Qelqel village during an offensive against the Islamic State in Manbij on 5 June 2016. He was at that time a prominent commander within the Syrian Democratic Forces.

73 Tage dauerte die Befreiung der überwiegend arabischen Stadt. Innerhalb weniger Tage konnten mehr als 100 Dörfer sowie die wichtige Verbindungsstraße zwischen Jarablus und Rakka unter Kontrolle gebracht werden. Die strategisch bedeutsame Stadt Manbij war seit Januar 2014 in der Hand des DAIŞ. Mehr als 200 Kämpfer*innen verloren ihr Leben. Nach wochen-langen Gefechten wurde der IS am 12. August in dieser Stadt vollständig besiegt. Die Bevölkerung begann umgehend mit dem Aufbau der Selbstverwaltung.

Heseke wurde von Truppen des syrischen Regimes angegriffen, welche den Rückzug der SDF aus der Stadt forderten. Erstmals bombardierte die syrische Luftwaffe die Stadt. Nach einer Woche zogen sich aber die Regime-Truppen aufgrund der hohen Verluste und einer Vielzahl an Desertationen aus den
eigenen Reihen zurück.

Der MIT (türkischer Geheimdienst) tötete am 22. August den Kommandanten
der SDF, welcher für die Befreiung der Stadt Cerablus vom IS verantwortlich ist. Zwei Tage später marschierte die türkische Armee mit der Operation „Schutzschild Euphrat“ erstmals in Syrien ein und eroberte Cerablus. Erklärtes Ziel der Operation war es ein „zusammenhängendes Kurdengebiet“ zu verhindern.


NOVEMBER 2016

Die SDF begannen mit der Operation Xezeba Firatê zum Sturm auf Rakka.


DEZEMBER 2016

Das Regime besiegte die islamischen Rebellen in Aleppo und stellte der YPG/YPJ ein Ultimatum, sich bis Jahresende aus der Stadt zurück zu ziehen. YPG und YPJ kamen dieser Forderung aus taktischen Gründen nach.


FEBRUAR UND MÄRZ 2017

Im Frühling 2017 kam es zu immer stärkeren und verlustreicheren Kämpfen zwischen der türkischen Armee und der SDF. Die türkische Armee und die mittlerweile mit ihr verbündeten Teile der FSA konnten die Verbände der SDF sowohl in Minbic als auch in Tall Rifaat aufhalten und kamen ihnen mit der Eroberung von Al-Bab zuvor. So verhinderten sie den Zusammenschluss
der Kantone Efrîn und Kobanê.

Anfang 2017 etablierten Internationalist*innen, unterstützt von der Jugend-bewegung in Rojava (YCR/YJC), die „Internationalistische Kommune“
von Rojava. Diese widmet sich seitdem der Durchführung von Bildungen, Delegationsreisen, Sprachkursen und dem Aufbau der ersten zivilen
Akademie für Internationalist*innen in Rojava.

Am 10. März 2017 begann in der Nähe der Stadt Serêkaniyê der Bau des Frauendorfes Jinwar im Kanton Cizîrê. Ziel ist es, einen Ort jenseits vom
Patriarchat zu schaffen, an dem sich Frauen auf der Basis ökologischer Landwirtschaft selbst versorgen.


MAI 2017

Die SDF eroberten Anfang Mai die Tabqa-Talsperre (40 km westlich von Rakka) von DAIŞ. Im Laufe des Monats befreiten die SDF nahezu alle Dörfer im Norden Rakkas vom IS. Gegen Ende des Monats standen die ersten SDF-Truppen an
der Stadtgrenze zu Rakka.


JUNI BIS OKTOBER 2017

Am Morgen des 6. Juni begannen die SDF mit US-Luftunterstützung mit der Stürmung der Stadt Rakka. Am 29. Juni hatten SDF-Verbände schließlich den
Ring um die Stadt komplett geschlossen. Anfang September gelang es den SDF, die Altstadt von Raqqa zu befreien. Die SDF befreien in den bis dahin schwersten Kämpfen des Syrischen Bürgerkriegs, Straße um Straße und Stadtteil für Stadtteil von DAIŞ. An den Kämpfen beteiligten sich in den Reihen der SDF ca. 500 Internationalist*innen aus der ganzen Welt.

Inside The Fight To Retake Raqqa From ISIS (HBO)
(Vice News, Sep 2017)

Da sich im August das nahende Ende der Kämpfe in Rakka abzeichnet, werden
die meisten Truppen außerhalb der Stadt für eine neue Offensive gegen DAIŞ in Deir ez Zor zusammengezogen. Am 2. September beginnt die Offensive gegen die letzte Hochburg des IS. Am 17. Oktober meldet die Kommandantur der SDF die vollständige Befreiung der Stadt. Auch in Rakka werden anschließend Volksräte gegründet und die Selbstverwaltung aufgebaut.

Chronologie des Krieges in Nord- und Ost-Syrien und der Revolution in Rojava (2013)


Zu allen Abkürzungen und Namen von Organisationen findet ihr eine kurze Beschreibung in der Übersicht zu kurdischen Organisationen und anderen Parteien in Kurdistan oder in der Übersicht zu faschistischen Organisationen in Kurdistan.


JANUAR 2013

Am 8. Januar 2013 wurde der MFS (Militärrat der Suryoye) gegründet. Er ist von Anfang an Teil der SDF und operiert überwiegend in den von Suryoye bevölkerten Gegenden. Im Jahr 2013 entstanden auch die ersten Wirtschaftskooperativen in Rojava. Ein Jahr später nahm deren Zahl sprunghaft zu.


FEBRUAR 2013

Am 23. Februar wurden die Frauenselbstverteidigungseinheiten YPJ gegründet.

YPJ (Symbolbild)


FRÜHLING 2013

Rojava ist Ziel verschiedener islamischer Gruppen geworden, deren Angriffe die YPG/YPJ nur mühselig abwehren können. Während generell zwischen DAIŞ,
al-Nusra und FSA im Jahr 2013 ein Konkurrenzverhältnis zu herrschen schien, war ihre gemeinsame Politik gegen Rojava gerichtet.

Die seit 2011 in den, mehrheitlich von Kurd*innen bewohnten, nördlichen Stadtteilen von Aleppo aufgebauten räte- und basisdemokratischen Strukturen, wurden nach bewaffneten Angriffen des syrischen Staates und der Freien Syrischen Armee (FSA) 2013 in großem Maße zurückgedrängt. Im März beschlossen die Räte-strukturen zum ersten Mal seit Jahrzehnten, Newroz nicht groß zu feiern, denn alle Menschenansammlungen wurden vom Staat bombardiert. Sowohl der Staat als auch die FSA gingen zu größeren Angriffen über, um die Schlacht von Aleppo für sich zu entscheiden. Das neutrale Verhalten der Kurd*innen und YPG/YPJ störte beide Kräfte. Die Rätestrukturen wollten sich jedoch von beiden Seiten nicht instrumentalisieren lassen und widersetzten sich. Nach den Angriffen auf die Kommune von Aleppo mussten im April schließlich ein Großteil der Bevölkerung nach Efrîn evakuiert werden.

Im Kanton Cizîrê überrannten Islamisten der al-Nusra-Front im März 2013 die Stadt Til Koçer und die umliegenden Dörfer. Sie besetzten die Stadt mit der wichtigen Grenzstation zum Irak und vertrieben die überwiegend arabische Bevölkerung. Die Menschen flohen in die kurdischen Städte Dêrîk, Qamişlo und Rimelan. Die örtliche Bevölkerung in den Städten des Kantons Cizîrê brachte die Geflüchteten in Schulen, Moscheen, Kirchen oder den Volkshäusern der neu aufgebauten Basisorganisationen der kurdischen Bewegung TEV-DEM unter. Til Koçer und die umliegenden Dörfer wurden zum Zentrum der islamistischen Banden, es kam zu grausamen Exzessen. Leichen mit abgeschnittenen Köpfen tauchten regelmäßig in Internetvideos auf.

Von Januar bis Juni 2013 war Serêkaniyê von Islamisten der al-Nusra-Front besetzt. In diesen Monaten erfolgten heftige Auseinandersetzungen, die von einem Waffenstillstand abgelöst wurden. 35 YPG/YPJ Kämpfer*innen kamen ums Leben. Nach fünf solchen Phasen von Waffenstillstand und offenem Krieg waren die YPG/YPJ schließlich so stark geworden, dass sie zusammen mit der bewaffneten Bevölkerung im Juni 2013 al-Nusra sowie mit ihnen verbündete Banden aus den Reihen der FSA aus der Stadt jagen konnten.

Nach monatelangen Protesten in Nord-Kurdistan – insbesondere in Nisebîn (Nusaybin) – konnten ab Frühjahr 2013 über die offiziellen türkisch-syrischen Grenzübergänge in regelmäßigen Abständen Medizin eingeführt werden.


JULI UND AUGUST 2013

Erdoğans neo-osmanisches Projekt war primär an die von Qatar unterstützte Muslimbruderschaft gebunden. Anfang Juli wurde der ägyptischen Staats-präsident Mursi durch einen Militärputsch von der Macht vertrieben. Dies schwächte die Position der Muslimbruderschaft und der Türkei im Mittleren Osten im Allgemeinen.

Am 23. Juli 2013 genehmigte der US-Kongress Waffenlieferungen an die FSA.

Im Sommer 2013, dem ersten Jahrestag der Revolution, begann der Krieg. Unterstützt von der Türkei griffen die al-Nusra-Front, al-Qaida und Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA) zunächst Serêkaniyê, in der Folge aber auch andere Orte in Afrîn, Kobanî und Hesekê an. Die Dschihadisten nahmen den südlichen Teil der Provinz al Hasaka und Serêkaniyê ein.
In der Region Hesekê wurde im Sommer 2013 eine große Anzahl armenischer Frauen vom IS entführt, vergewaltigt und ermordet. In dieser Region haben Kurd*innen, Araber*innen, Christ*innen, Drus*innen, Sunnit*innen und Alawit*innen friedlich miteinander gelebt. Die radikalislamischen Gruppen griffen zugleich auch dieses friedliche Zusammenleben an. Unter der islamistischen Besatzung litten besonders die Suryoye. Geschäftsleute, Nonnen, Bischöfe und bekannte Persön-lichkeiten wurden gekidnappt und ermordet, daraufhin setzte eine Massenflucht in Richtung Türkei und Europa ein. Die verbliebenen Suryoye schlossen sich größtenteils der TEV-DEM an.

Zwischen dem 31. Juli und dem 1. August 2013 verübten Mitglieder der FSA und al-Nusra zusammen mit der kurdischen Azadî-Brigade, die zur im Kurdischen Nationalrat vertretenen Azadî-Partei gehört, ein Massaker an der Bevölkerung der Dörfer Til Hasil und Til Haran bei Aleppo. Legitimiert wurde der Anschlag Berichten von Augenzeugen zufolge dadurch, dass die Opfer der linken, kurdischen PYD („Partei der demokratischen Union“) naheständen. Die Dschihadisten umstellten Til Hasil und Til Haran, niemand konnte den Ort verlassen. Sie haben Frauen entführt, gefoltert und vergewaltigt, Häuser geplündert, sogar die Kinder getötet. Selbst auf fliehende Zivilist*innen eröffneten Scharfschützen das Feuer. Diesem Massaker fielen etwa 70 Personen zum Opfer, Hunderte wurden entführt.

Nachdem die starken Angriffe von islamistischen und anderen bewaffneten oppositionellen Gruppen, aber auch von Teilen der FSA, auf Afrîn im Sommer und Herbst 2013 abgewehrt wurden, und DAIŞ alle nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen Ende 2013 in einem großen Gebiet nördlich von Aleppo zurückgedrängt hatte, änderte sich einiges in der Konstellation dieser Region. Die Rätestrukturen in Afrîn und die Verteidigung hatten weiter an Stärke und Stabilität gewonnen.

Im August 2013 begann der Siegeszug des IS im Irak und in Syrien.


OKTOBER 2013

Ende Oktober fiel Til Koçer (Serêkaniyê) in die Hände der YPG/YPJ. Die Islamisten hatten die Zugänge zur Stadt Til Koçer vermint, aber die YPG- und YPJ-Einheiten rückten in der Dunkelheit vor und entschärften die Minen. Bewohner*innen der Region führten die vorstoßenden Truppen in die Gegend. Mitglieder der arabischen Şammar kämpften Seite an Seite mit den Volks- und Frauenverteidigungs-einheiten. Insgesamt dauerte die Befreiungsaktion zehn Tage. Die Banden flohen und ließen einige Panzer, schwere Artillerie, Autos und anderes Kriegsmaterial zurück. Mit der Befreiung von Til Koçer gewannen die YPG und YPJ die Herzen der Bewohner*innen, viele schlossen sich ihnen an. Alle erklärten, ihr Land verteidigen zu wollen, egal ob Kurd*innen, Araber*innen, Suryoye oder Ezid*innen.


NOVEMBER 2013

Til Xelef (Serêkaniyê) wurde im November durch die YPG/YPJ von dschihadistischer Besatzung befreit.

Rojava erhielt 2013 in keiner Weise internationale politische oder
anderweitige Unterstützung.

Chronologie des Krieges in Nord- und Ost-Syrien und der Revolution in Rojava (2012)


Zu allen Abkürzungen und Namen von Organisationen findet ihr eine kurze Beschreibung in der Übersicht zu kurdischen Organisationen und anderen Parteien in Kurdistan oder in der Übersicht zu faschistischen Organisationen in Kurdistan.


FRÜHJAHR 2012

Im Frühjahr nahm die Angst in den kurdischen Stadtteilen Aleppos vor Angriffen anderer Kräfte zu. Manchmal schossen Soldaten des Baath-Regimes oder die FSA ohne Vorwarnung wahllos in die Stadtteile hinein und es kam zu Toten und Verletzten.

So begannen die Menschen, mittels der Rätestrukturen einen Teil der Jugendlichen zu bewaffnen. Im Jahr 2012 kehrten viele Aktivist*innen aus Rojava, die zuvor in der PKK oder der PAJK aktiv gewesen waren, zurück und unterstützten den Aufbau der Volksverteidigungseinheiten YPG.


JUNI 2012

Das Ökonomiekomitee der Frauenbewegung Kongreya Star versammelte sich erstmals im Juni 2012 in Qamişlo. Infolge eines Beschlusses dieser Versammlung wurden in allen Städten Frauenwirtschaftskomitees aufgebaut, welche die Gründung von Frauenkooperativen unterstützen und daran mitwirken. Somit wird Frauen in Rojava die Möglichkeit eröffnet, sich aus oftmals patriarchal-feudal geprägten Familienstrukturen heraus wirtschaftlich mehr Selbstbestimmung einzuräumen.


JULI 2012

Mit der großen Angriffswelle der FSA und anderer oppositioneller bewaffneter Kräfte im Juli 2012 änderte sich die Lage fast schlagartig. Parallel zum Angriff auf Damaskus wurde nun auch Aleppo zur Zielscheibe. Die Rebellen der FSA drangen aus den umliegenden ländlichen Gebieten in mehrere (meist sunnitisch-arabische) Stadtteile ein und begannen, diese zu kontrollieren. In den kommenden Tagen wurden an allen Einfahrten zu Aşrafiye, Şêx Maqsud, Midan und Haydariye Straßensperren aufgestellt, die von bewaffneten YPG Kämpfer*innen bewacht wurden. Diese konnten nun das unkontrollierte Eindringen sowohl der Kräfte der FSA als auch des Regimes verhindern. Die Zahl der YPG-Einheiten stieg in wenigen Wochen von wenigen Hundert auf eine vierstellige Zahl.

Der Prozess der radikalen Demokratisierung Rojavas, also die Übergabe der Souveränität an die Bevölkerung, beginnt am 19. Juli 2012, als der Volksaufstand in Kobanî losbricht. Als am 18. Juli 2012 die FSA und andere syrische bewaffnete Organisationen Damaskus und Aleppo angriffen, griff erstere auch den Ort Şexler im Westen Kobanîs an. Innerhalb von wenigen Stunden trafen die TEV-DEM und YPG die Entscheidung, insbesondere Kobanî und Afrîn, aber auch andere Städte in Rojava vom Assad-Regime zu befreien.

In der Nacht vom 18. auf den 19. Juli brachten die Volksverteidigungskräfte der YPG die Zufahrtsstraßen von Kobanî unter ihre Kontrolle. Die Bevölkerung begann zeitgleich alle staatlichen Institutionen der Stadt einzunehmen und zu belagern. Schließlich versammelte sich die Bevölkerung vor dem Militärstützpunkt der Assad-Armee in Kobanî. Eine Delegation aus der Bevölkerung verhandelte mit den Militärs. Sie sollten ihre Waffen abgeben und man werde für ihre Sicherheit garantieren, war das Angebot der kurdischen Seite. Angesichts der Ausweglosigkeit gegenüber den Volksmassen willigten die Soldaten ein. Die TEV-DEM wurde dadurch die politisch bestimmende Kraft in den befreiten Orten. Nun musste sie mit ihren diversen Strukturen die Grundversorgung sicherstellen, ein mögliches Chaos abwenden und anschließend für die gesellschaftlichen Fragen Lösungen entwickeln. Die Bevölkerung beginnt mit dem Aufbau von multiidentitären Räten, Gerichten, Sicherheitskräften, Militäreinheiten, Frauenorganisationen und einer kooperativen Ökonomie. Von Kobanî aus weitete sich die Revolution in den darauffolgenden Tagen auf weitere Städte Westkurdistans aus.

Nach der im Juli 2012 begonnenen Revolution in Rojava wurden die befreiten Gebiete vom türkischen Staat, den islamistischen Terrorgruppen wie IS und al-Nusra und auch der südkurdischen Regionalregierung mit einem systematischen Embargo belegt. Dies wirkt sich auf die medizinische Versorgung von vielen Hundertausenden Menschen innerhalb Rojavas dramatisch aus.


19. AUGUST 2012

In Aleppo gab es Verhandlungen mit der FSA, in deren Folge sie sich von Şêx Maqsud nach Aşrafiye zurückziehen sollten. Beim Ramadan-Fest am 19. August demonstrierten über 3.000 Menschen für diese Forderung. Doch die FSA schoss von Gebäuden auf die Bevölkerung. Daraufhin griff die YPG ein; es kam zu stundenlangen Kämpfen. Bei diesem Massaker wurden 13 Zivilist*innen getötet. Auch mehrere FSA-Kämpfer starben. Dieser Tag stellte eine Zäsur dar, um sich fortan besser politisch und militärisch zu organisieren.


SOMMER UND HERBST 2012

Weitere kurdische Orte folgen den Beispiel von Kobanê, darunter Amûdê, Derbesiye, Serêkaniyê, Tirbespiyê, Girkê Legê, Dêrik und Efrîn. In Aleppo übernehmen die YPG die Kontrolle über zwei kurdische Stadtteile. Die PYD („Partei der demokratischen Union“) und die Zivilgesellschaft beginnen mit dem Aufbau provisorischer Volksräte zur Verwaltung der befreiten Gebiete. Die Prinzipien des demokratischen Konföderalismus werden eingeführt.


NOVEMBER 2012

Im November 2012 überschritten etwa 3.000 schwerbewaffnete Kämpfer von Al-Qaida, der al-Nusra-Front des „IS“ (DAIŞ) und der FSA die türkische Grenze nach Serêkaniyê und besetzten nach viertägigen Kämpfen die Stadt – zu einer Zeit, in der die deutsche Bundeswehr in Nordkurdistan auf Syrien gerichtete Patriot-Raketen stationiert hat. Ziel der Angriffe auf die Stadt war es, nach Qamişlo vorzudringen und so die Selbstverwaltung des Kantons Cizîrê zu Fall zu bringen.
Zu diesem Zeitpunkt waren nur 39 Kämpfer*innen der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG in Serêkaniyê. Die YPG entschieden sich zunächst, Zurückhaltung zu üben, da sie nicht auf der Seite des Regimes im Kampf gegen die FSA gesehen werden wollten. Der syrische Staat zog sich jedoch zurück. Große Teile der Bevölkerung waren geflohen. Über den Rest errichtete die al-Nusra-Front eine Terrorherrschaft nach islamistischer Auslegung der Sharia-Gesetze. Vermeintliche und reale Anhänger*innen des Regimes wurden öffentlich hingerichtet, die Bevölkerung wurde drangsaliert und misshandelt. Es kam zu Massakern und Verwüstungen. An vielen Wänden stand, teilweise in Blut, geschrieben: »Wir sind gekommen, um zu schlachten.« Nur das östlichste Viertel von Serêkaniyê, Sinah, leistete weiter entschlossen Widerstand. Am 18. November kam es zu einem Angriff von al-Nusra auf einen Kontrollpunkt der YPG, wobei die al-Nusra-Anhänger eine Fahne des Kurdischen Hohen Rates verbrannten. Daraufhin sollte es zu Gesprächen kommen, aber der Vertreter des Volksrates, Hevalê Abid, wurde bei diesem Treffen von Jihadisten ermordet. Daraufhin erklärten die YPG den Krieg gegen al-Nusra.

Chronologie des Krieges in Nord- und Ost-Syrien und der Revolution in Rojava (2011)


Zu allen Abkürzungen und Namen von Organisationen findet ihr eine kurze Beschreibung in der Übersicht zu kurdischen Organisationen und anderen Parteien in Kurdistan oder in der Übersicht zu faschistischen Organisationen in Kurdistan.


DER ARABISCHE FRÜHLING UND SYRIEN

Die Revolution in Rojava ist nicht ohne den Kontext des syrischen Aufstands von 2011 zu erklären. Anfang 2011 begannen Aufstände in zahlreichen Ländern Nord-afrikas und des Nahen und Mittleren Ostens. Die Ereignisse und Entwicklungen in der Region wurden unter der Bezeichnung »Arabischer Frühling« bekannt. Vor allem die Ereignisse in Tunesien und Ägypten können als Volksaufstände gegen
die Diktaturen im eigenen Land bezeichnet werden. Sie öffneten auch die Türen
für ähnliche Entwicklungen in den anderen Ländern der Region. Dort setzte sich
die Opposition, auf die innere Dynamik bauend, für einen demokratischen Wandel
ein, was wiederum für die umliegenden Länder zur Inspirationsquelle wurde.

In Syrien begannen die Auseinandersetzungen, als die syrische Polizei in Dara‘ā zwei Jugendliche, die Parolen gesprüht haben sollen, inhaftierte und misshandelte. Angaben zufolge wurde einer dieser Jugendlichen in Gewahrsam zu Tode gefoltert. Es kam zu Protesten und Demonstrationen, denen sich große Teile der Bevölker-ung anschlossen. Die Forderungen gingen über die Freilassung der beiden Jugendlichen hinaus. Es wurden ein Ende der Korruption, soziale Veränderungen und politische Reformen gefordert. Polizei und Geheimdienst griffen die Demonstrationen mit Waffengewalt an. Sie eröffneten das Feuer, woraufhin mehrere Demonstrant*innen starben. Die Beerdigung der Getöteten am nächsten Tag ließ eine noch größere Demonstration folgen.

Demonstrant*innen in Daraa, März 2011, Tage nach der Inhaftierung von Bashir Abazad

Diese Proteste weiteten sich über das ganze Land aus. Das Regime bemühte sich darum, zu beschwichtigen, aber die Demonstrationswelle ließ sich nicht mehr aufhalten. Die Kritik am Vorgehen in Dara‘ā fand auf allen Ebenen statt, sie kam sogar aus der regierenden Baath-Partei selbst. Der Sicherheitsapparat ließ die Situation aber weiter eskalieren und unterließ es selbst entgegen anders lautenden Befehlen nicht, auf die Demonstrant*innen zu schießen. Dieses Vorgehen trieb die Bevölkerung in einen militärischen Konflikt.


MÄRZ 2011

In Westkurdistan, das zu dieser Zeit noch vom syrischen Staat kontrolliert wurde, fanden in Kobanê und Afrin die ersten Demonstrationen gegen das Regime statt. Besonders am 12. März, in Gedenken an die Unruhen in Qamischli von 2004, bei denen das Regime mindestens 30 Menschen ermor-dete, 160 Weitere verletzte und hunderte Menschen, überwiegend Kurd*innen, verhaften ließ, gingen die Menschen auf die Straßen. Ebenso am 21. März (Newroz, wichtigster kurdischer Feiertag) demonstrierten viele Menschen in Westkurdistan gegen die Regierung. Die PKK hatte, als die Revolution in Syrien begann, schon 30 Jahre lang Organi-sierungsarbeit geleistet. Schon vor den Aufständen in Syrien gab es in den kurdi-schen Gebieten erste Räte und Komitees. Außerdem wurde damit begonnen, eine radikaldemokratische Organisierung zunächst der gesamten kurdischen Bevölker-ung von Rojava voranzutreiben. Im Aufstand gegen das Regime von 2011 zeigt sich deutlich die Stärke der Organisierung der Bevölkerung und es wird sichtbar, dass die Bevölkerungsmehrheit bereit ist, das Assad-Regime zu vertreiben.

Am 15. März wurde schließlich die Revolution in Rojava ausgerufen. Dann hat die PYD („Partei der demokratischen Union“) den Volksrat (MGRK) aufgebaut. In ganz Rojava wurden Wahlen durchgeführt und 300 Personen in den Volksrat gewählt, um die Politik von Rojava zu gestalten. Mit dem Beginn des syrischen Aufstandes im März 2011 entschied sich die PYD, in Rojava und Syrien systematisch Räte-strukturen und in den verschiedenen Sektoren der Gesellschaft Massenorgani-sationen aufzubauen. Ab 2011 gelang es binnen weniger Monate, in allen Gebieten Rojavas und in Aleppo eine relativ gut funktionierende Selbstverwaltungs-struktur zu errichten. Die Rätestrukturen bildeten sich als eine Parallelstruktur zum Staat heraus, der diese zunächst gewähren ließ.


JULI UND AUGUST 2011

Die Freie Syrische Armee (FSA) gab ihre Gründung am 29. Juli 2011 bekannt und wurde zu einem rasant wachsenden Bündnis verschiedenster Kräfte. Die FSA proklamierte kein anderes Projekt als den Sturz von Assad.

Im Juli wurde die Bewegung für eine demokratische Gesellschaft (TEV-DEM) ins Leben gerufen. Wenig später im August 2011 kamen insgesamt 300 Delegierte aus allen Gebieten Rojavas und den organisierten Teilen Syriens zusammen, um den Volksrat Westkurdistans (MGRK) zu gründen. Es wurde ein System von mehreren Ebenen, also Kommunen, Volksräten und Kommissionen mit diversen Verbin-dungen untereinander geschaffen, was als eine Kombination von Basis- und Rätedemokratie betrachtet werden konnte.

Im Sommer und Herbst 2011 schwächte sich langsam die Position des syrischen Staates in Rojava. Doch die staatliche Verwaltung organisierte immer noch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die öffentliche Daseinsvorsorge. Diesen schrittweisen Bedeutungsverlust füllte sukzessiv die TEV-DEM aus. So übernah-men die Komitees immer mehr Aufgaben in den Straßenzügen, Stadtteilen und Dörfern. Sie entwickelten sich langsam zu einer Alternative zum Staat und die Bevölkerung wandte sich zunehmend an die Räte zur Problem- und Konfliktlösung. Dies geschah zunächst vor allem in Fragen von Rechtsprechung und Sicherheit.


HERBST 2011

In Qamischli fanden größere Demonstrationen im Nachgang der Ermordung des kurdischen Politikers Maschaal Tammo (Zukunftsbewegung Syriens) statt.

Shooting claims at Syrian opposition funeral (english) euronews, Oct 8 – 2011


Syrian activists say mourners at the funeral of a murdered opposition leader came under fire in Qamishli in the north east of the country. The Syrian Observatory for Human Rights, which is based in the UK, said 50,000 people had turned out to bury Mashaal al-Tammo, a charismatic Kurdish opposition leader who was a critic of President Assad and his Kurdish rivals.

In der zweiten Hälfte des Jahres 2011 begannen sich die Gegner des Assad-Regimes verstärkt zu bewaffnen und gegen die regulären Streitkräfte zu kämpfen. Ehemalige Soldaten gründeten die besonders von der sunnitischen Mehrheit Syriens getragene Freie Syrische Armee (FSA), die sich als bewaffneter Arm der syrischen Opposition sieht. Die FSA stand von Beginn an unter starkem Einfluss westlicher und türkischer Geheimdienste und versuchte, die Dominanz über die Verteidigungskomitees in den verschiedenen syrischen Städten zu erlangen. Der Iran, die libanesische Hizbullah und Russland unterstützten gleich von Anfang das Baath-Regime. Damit wurde Syrien zu einem Austragungsort des Hegemonial-konflikts zwischen den NATO-Staaten mit ihren sunnitischen Verbündeten auf der einen Seite und Russland, China, Iran und Syrien mit ihren schiitischen Verbündeten auf der anderen Seite.

Durch die Zuspitzung der Auseinandersetzung hin zu einem Bürgerkrieg und massiven Massakern durch die syrische Regierung bekam die FSA immer stärkeren Zulauf. Nachdem sich ihr im September 2011 die Bewegung
Freier Offiziere angeschlossen hatte, war die FSA zur größten bewaffneten
Oppositionsbewegung geworden. Sie rekrutierte sich vor allem aus ehemaligen Militärs, aber auch aus Kämpfern aus der Türkei, Arabien, dem Maghreb und vielen anderen Regionen. Die Muslimbrüder gelten als am besten organisierte Kraft in den Reihen der FSA. Die syrische Muslimbruderschaft steht besonders stark in der Tradition des militanten Islamismus. Immer wieder war die FSA mit Angriffen seitens der syrischen Regierung niedergeschlagen worden und immer wieder ging sie als Reaktion darauf mit Massakern und Terrorakten vor.

Auch aufgrund dieser Entwicklungen gündeten einige hundert kurdische und arabische Jugendliche über ganz Rojava verteilt die „Volks-Selbstverteidigungs-Einheiten“ YXG (Yekîtiya Xweparastina Gel, Anfang 2012 Umbenennung in YPG („Volks-Verteidigungs-Einheiten“)).

YPG (Symbolbild)

*

Übersicht: Kurdische Organisationen und andere Parteien in Kurdistan

Quellen: Civaka Azad, „Revolution in Rojava“ – Flach u.A.

Mit der Auflösung des Osmanischen Reiches und der Gründung der Republik Türkei im Jahre 1923 wurde das kur­dische Siedlungsgebiet von den Sieger-mächten des 1. Weltkriegs auf vier Länder aufgeteilt: Türkei, Syrien, Irak und Iran. Wir geben hier einen kurzen Überblick über Organisationen und Parteien in den verschiedenen Teilen Kurdistans sowie ausgewählte türkische Parteien.

Kurdische Bevölkerung in der Geografie Kurdistans, Januar 2019


1. TÜRKEI / BAKUR / NORDKURDISTAN

PKK = Partiya Karkerên Kurdistanê‎ – Arbeiterpartei Kurdistans
gegründet 1978; kämpft für die Selbstbestimmung und demokratischen Rechte der Kurd*innen in der Türkei, in Syrien, im Iran und Irak. Die PKK begann 1984 den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat. Seit Beginn der 1990er Jahre ist die PKK intensiv um eine politische Lösung bemüht. Gründer und Vorsitzender: Abdullah Öcalan, 1999 mithilfe ver­schiedener Geheimdienste aus Kenia in die Türkei verschleppt, zum Tode verurteilt, aufgrund internationa­ler Proteste in lebens-lange Freiheitsstrafe umgewandelt und befindet sich seitdem auf der Gefängnis-insel Imrali im Marmarameer, wo er 10 Jahre lang als einziger Gefangener von 1 000 Soldaten bewacht wurde. Sitz und Zentrum der PKK sind die Kandil-Berge im Nordirak. In der Türkei ist sie als terroristische Organisation eingestuft und verbo-ten. In Deutschland wurde die Tätigkeit für die PKK am 26. November 1993 ver-boten. Im September 2017 fällte das Brüsseler Berufungsgericht die Entscheidung, dass die PKK keine Terrororganisation, sondern eine Kriegspartei sei.

YJA-Star = Yekîtîya Jinên Azad Star – Einheiten der freien Frauen
autonome Frauenarmee der PKK, gegründet 1995. Als Frauenarmee wird die Gesamtheit der ausschließlich aus Frauen bestehenden Einheiten der kurdischen Volksverteidigungskräfte (HPG) bezeichnet. Bei diesen Organisationen handelt es sich um Kampfverbände der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).

PAJK = Partiya Azadiya Jinan a Kurdistanê –
Partei der Freiheit der Frauen Kurdistans

HPG = Hêzên Parastina Gel – Volksverteidigungskräfte
Selbstverteidigungseinheiten/Guerilla, bewaffnete Einheiten der PKK, gegründet 2000, verstehen sich als Nachfolger*innen der ARGK (Artêşa Rizgariya Gelê Kurdistan – Volksbefreiungsarmee Kurdistans, 1986-2000) und bezeichnen sich
als legitime Verteidigungskraft; HPG und YPG/YPG retteten 2014 Zehntausende Ezid*innen aus dem Sindschar-Gebirge vor dem sicheren Tod durch den IS.

KCK = Koma Civakên Kurdistan – Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans; überstaatlicher Zusammenschluss der Gemeinschaften Kurdistans, in dem sich im Idealfall die radikaldemokratisch selbstverwalteten Strukturen zusam-menfinden. Verfügt über ein System der Gewaltenteilung und dient der Umsetzung der Konzepte des Demokratischen Konföderalismus und der Verteidigung der kur-dischen Bevölkerung. Die KCK wurde 2007 gegründet und ist hervorgegangen aus der PKK. Seit April 2009 wurden unzählige politische Aktivist*innen in der Türkei festgenommen, wegen angeblicher KCK-Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Organisation angeklagt und zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt – unter ihnen Bürgermeister*innen der HDP, Journa-list*innen, Anwält*innen und Gewerkschafter*innen.

HDP = Halkların Demokratik Partisi – Demokratische Partei der Völker
Linke, prokurdische, gesamttürkische Partei, konnte erstmals bei den Parla-mentswahlen am 7. Juni 2015 die 10%-Wahlhürde mit 13% überspringen und in Fraktionsstärke ins Parlament einziehen. Auch in den nachfolgenden Wahlen konnte die HDP, trotz enormer staatlicher Repressionen, stets die Wahlhürde nehmen und ihre Wähler*innen im Parlament vertreten.

DBP = Demokratik Bölgeler Partisi – Demokratische Partei der Regionen
gegründet 2014; sie arbeitet zusammen mit HDP, ist allerdings als politische
Partei lediglich in den kurdischen Provinzen aktiv.

DTK = Demokratik Toplum Kongresi – Demokratischer Gesellschaftskongress; Dachorganisation der Volksratsstrukturen
und der Zivilgesellschaft in Nordkurdistan

KJA = Kongreya Jinên Azad – Kongress der freien Frauen
ist die Dachorganisation der autonomen Frauenstrukturen in Nordkurdistan


2. SÜDKURDISTAN / BASÛRÊ / NORDIRAK

Seit dem 1. Golfkrieg wurde diese Region wegen seines Öl- und Wasser-vorkommens sowie seiner geostrategi­schen Bedeutung wichtig. Die Definition dieses Teils Kurdistans als „safe heaven“ gilt heute noch. Nach dem Fall Saddam Husseins 2003 konnte die ihre Autonomie waren. 2005 wurde sie zur „Kurdistan Re­gion of Iraq“ erklärt, verankert in der irakischen Verfassung.

KRG = Kurdish Regional Government; Regierung von Südkurdistan/Nord irak.

PDK = Partiya Demokratiya Kurdistanê – Demokratische Partei Kurdistans
Regierungspartei in der Kurdischen Autonomie Region im Nordirak, vorwiegend
im Kurmancî-Gebiet, gegründet 1946. Seitdem wird dieser Teil Kurdistans vom Barzanî-Clan dominiert. Die Strukturen sind autokratisch; die Regierung pflegt engste Kontakte mit der Türkei. Verfügt über eigene Sicherheitskräfte und Militär – 16 000 Peschmergas („Die dem Tod ins Auge sehen“) bilden Barzanîs Armee. Die PDK kontrolliert die Region um Hewlêr (Erbil) und verfügt über Ableger in Ostkur-distan (Iran), Rojava (Syrien) und Nordkurdistan (Türkei). Die deutsche Bundes-regierung unterstützt die Autonomiere­gion politisch, rüstet die Peschmergas im „Kampf gegen ISIS“ mit deutschen Waffen aus und leistet militäri­sche Ausbildungs-hilfe. Die PDK befürwortet die Angriffe der türkischen Armee seit Ende Juli 2015 auf die PKK und lehnt die kurdische Autonomieregion Rojava ab.

YNK / PUK = Yekîtiya Nîştimanî ya Kurdistanê – Patriotische Union Kurdistans; wurde 1975 als Ergebnis der Spaltung von der PDK im Exil gegründet und teilt sich weitgehend die Macht mit der PDK in Südkurdistan, vorwiegend im Soranî-Gebiet. Sie verfügt über Militär und Polizei und kontrolliert die Soranî sprechende Region um die Stadt Sulemaniyya (Hauptsitz). Die YNK hat sich mit Rojava solidarisch erklärt und unterstützt die Kurden im Südosten der Türkei.

Bzutinewey Gorran = Bewegung für Wandel
Die Partei GORAN existiert seit 2010 als Abspaltung von der PUK und fand
2013 großen Zuspruch, insbe­sondere für die von ihr propagierte Bekämpfung
von in Südkurdistan bestehender Korruption und Vettern­wirtschaft.

YBŞ = Yekîneyên Berxwedana Şengalê‎ – Widerstandseinheiten Şengals
Bewaffneten Selbstverteidigungseinheiten der ezidischen Region Şengal.
Die YBŞ wurde 2015 als Reaktion auf das Genozid des IS im an der
ezidischen Bevölkerung im August des Vorjahres gegründet.

YJŞ = Yekinêyen Jinên Şengalê‎ – Fraueneinheiten Şengals
Bewaffnete autonome Fraueneinheiten der ezidischen Region Şengal


3. ROJAVA / WESTKURDISTAN / NORDSYRIEN

Im Jahre 2012 hat die kurdische Bevölkerung in Syrien mit der Umsetzung des Modells des Demokratischen Konföderalismus und der Demokratische Autonomie in Rojava begonnen. Rojava bestand anfangs aus den drei Kantonen: Efrîn im Westen, Kobanê im Nor­den und Cizîrê im Osten. Die AKP-Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdoĝan will mit allen Mitteln eine Etablierung dieses Projektes verhindern. Deshalb hat die türkische Armee gemeinsam mit ihren dschihadistischen Partnern 2018 Efrîn und seit Oktober 2019 weitere Gebiete im Kanton Cizîrê besetzt. Im Zuge des Kampfes gegen den sogenannten Islamischen Staat ist es den Selbstverteidigungskräften Nordsyriens gelungen weitere Gebiete zu befreien. Heute wird das radikaldemokratische Gesellschaftsmodell nicht allein in den kurdisch-dominierten Gebieten Nordsyriens praktiziert, sondern auch in mehrheitlich arabischen Regionen wie Raqqa und Deir ez-Zor umgesetzt.

DFNS = Demokratische Föderation Nordsyrien (früherer Name der Selbstverwaltung in Rojava), jetzt Rêveberiya Xweser a Bakur û Rojhilatê Sûriyeyê – „Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien – Rojava“

QSD / SDF = Quwetên Suriya Dimokratîk – Demokratische Kräfte Syriens – Syrian Democratic Forces; militärisches Bündnis zur Verteidigung der selbst-verwalteten Gebiete in Rojava und Syrien. Militärbündnis von YPG/YPJ sowie mehren arabischen, christlichen, turkmenischen, assyrischen und ezidischen Milizen, offizieller Bestandteil der internationalen Anti-IS Koalition und die einzige Kraft, die am Boden gegen DAIŞ kämpft. Sie sind der Autonomieverwaltung von Nord- und Ost-Syrien unterstellt. Das Militärbündnis SDF besteht derzeit aus den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und den Frauenverteidigungs-einheiten (YPJ),der Kurdischen Front (Dschabhat al-Akrād), der kurdisch-turkmenischen Einheit Katāʾib Schams asch-Schimāl, der sunnitisch-arabischen Armee der Revolutionäre (Dschaisch ath-Thuwwar), der sunnitisch-arabischen Schammar-Stammesmiliz Quwat as-Sanadid und der sunnitischen Rebellen-brigade ar-Raqqa (Liwa Thuwar al-Raqqa), den Al-Dschasira-Brigaden und der Lîwai 99 Muşat sowie dem assyrisch-aramäischen Militärrat der Suryoye (MFS).

YPG = Yekîneyên Parastina Gel – Volksverteidigungseinheiten
Verteidigungskraft von Rojava. Verteidigen mittlerweile auch die ezidische Bevölkerung auf den Şengal-Bergen, besteht aus Frauen und Männern.
Die YPG ist Teil der QSD.

YPJ = Yekîneyên Parastina Jinê – Frauenverteidigungseinheiten
Verteidigungskraft von Rojava. Wie auch die YPG verteidigen mittlerweile
auch sie die ezidische Bevölkerung auf den Şengal-Bergen. Die YPJ ist
als reine Frauenarmee Teil der QSD.

YBŞ = Yekîneyên Berxwedana Şengalê – Widerstandseinheiten Şengals

YJÊ = Yekîneyên Jinên Êzîdxan – Einheiten der ezidischen Frauen

HRE = Hêzên Rizgariya Efrînê – Befreiungskräfte Efrîns – Afrin
Liberation Forces
; erstmalig im Dezember 2018 in Erscheinung getreten,
mit der Ankündigung, eine neue Taktik im Kampf gegen die tükisch-
dschihadistische Besatzung Êfrins anzuwenden. Seitdem haben diverse erfolgreiche Aktionen in Şehba und Efrîn stattgefunden.

IFB = International Freedom Bataillon – Internationaler Freiheitsbataillon
autonome Einheit innerhalb der YPG als Verband aller sich den Kämpfen anschließenden Internationalisten*innen

HPC = Hêzên Parastina Cewherî – Selbstschutzeinheiten
Aufgaben sind bspw., die Straßen und Stadtviertel zu kontrollieren. In den HPC
sind Zivilist*innen aller Altersstufen. Sie unterstützen die Asayîş (polizeiähnliche Schutzkräfte der Selbstverwaltung mit ca 15.000 Mitarbeiter*innen) und sind Teil des systematischen Verteidigungsnetzes Rojavas. Die autonome Frauenstruktur bei den HPC sind die HPC-Jin (Frauenverteidigungskomitees).

MFS = Mawtbo Folhoyo Suryoyo – Militärrat der Suryoye
Verteidigungskraft von Rojava, assoziiert mit YPG und YPJ.

TEV-DEM = Tevgera Cîvaka Dimokratîk – Bewegung für eine demokratische Gesellschaft ist die Organisierung der Selbstverwaltung (Kommunen, Räte, Koordination) sowie ihrer Exekutivinstitutionen in Rojava und das koordinierende Organ des Volksrats Westkurdistan (MGRK). Die TEV-DEM gibt es auf der Gebietsebene und für ganz Rojava. Sie umfasst auch die sie unterstützenden politischen Parteien, diverse NGOs, soziale Bewegungen und Berufsverbände.

MGRK = Meclîsa Gel a Rojavayê Kurdistanê – Volksrat Westkurdistan
im Jahr 2011 gegründete Rätestruktur in Rojava und Syrien. Die Initiative ging
von der PYD aus, inzwischen unterstützen mindestens fünf weitere Parteien
den MGRK. Der MGRK besteht aus vier Ebenen. Die TEV-DEM ist seine
Koordination auf den beiden oberen Ebenen.

Kongreya Star = Dachorganisation der autonomen Frauenstrukturen in Nordsyrien/Rojava; 2005 gegründet unter dem Namen Yekîtiya Star
(Verband der Frauen Star); Frauenorganisation in Rojava, welche die
Frauenräte organisiert, Frauenakademien und andere Fraueneinrichtungen
betreibt (Organisationsmuster wie TEV-DEM).

YCR / YJC = Jugendbewegung in Rojava

PYD = Partiya Yekitîya Demokrat – Partei der demokratischen Einheit
aktiv in Rojava/Westkurdistan-Nordsyrien; 2003 gegründet. Die PYD ist
die größte politische Partei der Kurd*innen in Rojava/Syrien und ist eine
Vertreterin der Demokratischen Autonomie.

MSD = Meclîsa Suriya Dimokratîk – Rat des demokratischen Syriens
Politisches Bündnis verschiedener Volks- und Religionsgemeinschaften in Syrien, die sich im Sinne eines demokratischen und föderalen Syriens organisieren.

Jabhat al Akrad = Kurdische Front
Kurdische Verteidigungseinheit, welche die kurdische Bevölkerung außerhalb Rojavas schützen soll und versucht mit der FSA stellenweise zusammen zu arbeiten. Unter anderem bei der Vertreibung des IS aus Azaz. Am 16.8.2013 wurde Jabhat al Akrad wegen der angeblichen Beziehung zur PKK aus dem Militärrat der FSA von Aleppo ausgeschlossen, nachdem FSA und dschihadistische Gruppen eng gegen die Selbstverwaltung in Rojava kollaboriert hatten.

NCC oder NCB = National Coordination Body – Nationales Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel
ein Oppositionsblock, der aus zehn linksgerichteten politischen Parteien und drei kurdischen Parteien sowie unabhängigen politischen Aktivist*innen einschließlich von Jugendaktivist*innen besteht. Das NCC und der SNC bilden zusammen die zwei Hauptfraktionen der syrischen Opposition. Der NCC steht in Konkurrenz zum SNC und NC, möchte eine friedliche Überwindung des Regimes und stellt sich gegen Konfessionalität und Nationalismus. Insgesamt umfasst das Komitee vor allem säkulare und nationalistische Gruppen, unabhängige Dissidenten und kurdi-sche Parteien, die alle ihre Basis innerhalb Syriens haben. Zu jenen gehören die PYD und ein Ableger der Syrischen Kommunistischen Partei.

ENKS = Encûmena Niştimanî ya Kurdî li Sûriyeyê – Kurdischer Nationalrat in Syrien; im Oktober 2011 gegründetes Bündnis, das von der PDK Barzanîs und nahestehenden Parteien dominiert wird.

PDK-S = Partiya Demokrata Kurdistan a Sûriye – Demokratische Partei Kurdistan-Syrien
; gegründet 1956, ist die größte Mitgliedspartei im Kurdischen Nationalrat (ENKS), welche mit der Demokratischen Unionspartei (PYD) Teile Nordsyriens regiert. Derzeitiger Vorsitzender ist Abdulhakim Bashar, welcher
auch im Vorstand der Nationalen Koalition der Syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte (NC) ist. Die Partei steht der von Masud Barzani geführten Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) im Nordirak nahe.


4. ROJHILAT / OSTKURDISTAN / IRAN


PJAK = Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê – Partei für ein freies Leben in Kurdistan
; militante kurdische Untergrundorganisation im Iran mit Stützpunkten im Nordirak; eine Schwesterorganisation der PKK. Sie führt einen bewaffneten Kampf für mehr Autonomie der Kurden im Iran und wurde im April 2004 in den Kandil-Bergen des Nordirak gegründet. Sie ge­hört dem Dachverband der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) an. Sie strebt eine Zusammenarbeit mit der iranischen Opposition an, was sich bis heute schwierig gestaltet. Zahlreiche PJAK-Kämpfer*innen wurden in den vergangenen Jahren zum Tode verurteilt und hingerichtet. 2009 wurde die PJAK auf die US-Terrorliste gesetzt.

KODAR = Demokratische und freie Gesellschaft Ostkurdistans
Organisierung der Selbstverwaltung (Kommunen, Räte, Koordination)
sowie ihrer Exekutivinstitutionen in Ostkurdistan.

5. DIASPORA – Kurdische Gemeinschaft außerhalb von Kurdistan

KNK = Kongreya Neteweyî ya Kurdistanê – Kurdischer Nationalkongress
im Mai 1999 gegründet, Sitz in Brüssel; Bündnis Kurdischer Parteien, zivilgesellschaftlicher Organisationen und Exilorganisationen.