Chronologie des Krieges in Nord- und Ost-Syrien und der Revolution in Rojava (2018 – 2020)


Zu allen Abkürzungen und Namen von Organisationen findet ihr eine kurze Beschreibung in der Übersicht zu kurdischen Organisationen und anderen Parteien in Kurdistan oder in der Übersicht zu faschistischen Organisationen in Kurdistan.


JANUAR 2018

Nach mehrmaligen Drohungen und Bombardements fielen islamistische Milizen
mit Hilfe der türkischen Armee und Luftwaffe am 20. Januar in das bis dahin vom Bürgerkrieg nahezu verschont gebliebene Efrîn ein. Damit begann die türkische Militäroperation mit den zynischen Namen „Olivenzweig“. Am 25. Januar rief die Selbstverwaltung des Kantons das syrische Regime auf, seine Grenzen gegen
die türkischen Angreifer zu schützen. Trotz schwerster Bombardierungen
schafften es YPG und YPJ größere Landgewinne der islamistischen und türkischen Truppen zu verhindern.


FEBRUAR UND MÄRZ 2018

Die SDF unterbrachen die Offensive in Richtung Deir ez Zor und verlegte große Teile ihrer Truppen nach Efrîn und Minbic. Der türkische Staat verschaffte mit seinem Angriff auf Êfrin DAIŞ eine Galgenfrist, die tausende IS-Kämpfer nutzten um unterzutauchen, ins Ausland zu gehen oder Schläferzellen aufzubauen,
welche teilweise noch heute existieren.

Turkish-backed FSA fighters hold Turkish national flag and FSA flags at a checkpoint in Azaz on a road leading to Afrin (01.02.2018)

Nach intensiven Kämpfen, in denen die schwer bewaffnete türkische Armee permanent von der Luftwaffe und zehntausenden jihadistischen Söldnern unter-stützt wurde, konnten die Invasionsstreitkräfte schließlich am 18. März die Kon-trolle über ganz Afrîn übernehmen. Mehrere Hunderttausend Menschen flohen in die Region Şahba und andere Teile von Nordsyrien. Man kann davon ausgehen, dass sowohl die USA als auch Russland dem Einmarsch zugestimmt hatten. Während Russland offenbar den Riss zwischen der Türkei und den USA vertiefen und dabei die NATO schwächen will, wollen die USA Erdoğan bei der Stange halten und die Demokratische Föderation zumindest teilweise von sich abhängig machen.

Die YPG und YPJ sowie die Bevölkerung von Afrîn leisteten 58 Tage einen histori-schen Widerstand. Wohl kein Staat der Region hätte so lange einer türkischen Militäraggression standhalten können. Nachdem die äußeren Verteidigungslinien im Gebirge zusammengebrochen waren und international keinerlei Unterstützung zu erwarten war, entschieden sich die YPG und YPJ dazu, sich aus der Stadt zurück-zuziehen. Die türkische Armee war inzwischen dazu übergegangen, zivile Einrich-tungen, u.a. das Krankenhaus von Afrîn, gezielt zu bombardieren, wo hunderte Verletzte untergebracht waren. Erdoğan erklärte wiederholt, dass die Operation auf den gesamten Norden Syriens ausgedehnt werden würde, als auch auf die anderen Kantone Rojavas – mit der Perspektive, sogar in den Irak einzumarschieren. Auch Luftschläge gegen die ezidische Region Şengal und den Nordirak riefen keine internationalen Proteste hervor.

25 ezidische Dörfer in Afrîn wurden durch die Besatzung der Türkei und ihrer Verbündeten im Frühjahr 2018 weitgehend entvölkert. Es war das letzte zusam-menhängende Siedlungsgebiet von Ezid*innen in Syrien. Die Afrîn-Besetzung durch die türkische Armee im März 2018 hat die meisten Ezid*innen in die Flucht getrieben. Die SOHR (Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte) meldete fast täglich Verstöße gegen die Menschenrechtskonvention durch die islamisti-schen Milizen und belegte diese mit Videos aus den Sozialen Netzwerken, in denen auch immer wieder türkische Militäruniformen auftauchen. Die türkische Regierung schweigt zu diesem Thema.

Am 24. Feburar beschloss der UN-Sicherheitsrat einstimmig einen 30 Tage dauernden Waffenstillstand, von dem der IS, die al-Nusra-Front, al-Qaida und mit ihr verbündete Gruppierungen, sowie andere vom UN-Sicherheitsrat festgelegte Terrororganisationen, ausgenommen waren. Die Türkei kündigte unterdessen an, ihre Militäroffensive trotz der UNO-Resolution fortzusetzen. Am 13. März standen die türkischen Truppen an der Stadtgrenze von Efrîn. Sie kappten die Wasser und Stromversorgung der Stadt. Ab dem 14. März begann die Evakuierung der Stadt-bevölkerung. Am 18. März zogen sich alle in der Stadt verbliebenen SDF-Kämpfer*innen zurück. Der Co-Vorsitzende der Regionalverwaltung des Kantons verkündet in einer Fernsehansprache den Guerilla-Krieg, der andauern wird, bis sich alle Besatzer aus Efrîn zurückgezogen haben.


MAI BIS OKTOBER 2018

Die „Befreiungskräfte Efrîns“ (HRE) gründeten sich und führen bis heute einen erfolgreichen Guerilla-Krieg gegen die Besatzungstruppen in Efrîn.

Logo der HRE

Im Sommer 2018 haben die DFNS und der MSD mit der syrischen Regierung die bisher umfassendsten Gespräche über einen Frieden und eine politische Lösung in Syrien begonnen. Ohne eine Übereinkunft, dessen sind sich beide Seiten bewusst, kann sich der Krieg weitere Jahre in die Länge ziehen – mit ungewissem Ausgang. Diesen Gesprächen stellen sich die USA und Russland offenbar nicht entgegen, während die Türkei dies verhindern möchte. Ob es wirklich zu einem Friedens-schluss kommt, ist angesichts der vielen Risikofaktoren schwer abzuschätzen.

Es kam zu Gefechten mit dem Regime, wie am 8. September 2018 in Qamişlo
in der Nähe des immer noch vom syrischen Staat kontrollierten Flughafens.
Sieben Mitglieder der Sicherheitskräfte [der Autonomieverwaltung] Asayîş kamen
ums Leben als Soldaten des Regimes versuchten, kurdische Jugendliche zum Militärdienst zu zwingen.

Die Offensive gegen DAIŞ in Richtung Deir ez Zor wurde wieder aufgenommen. Nachdem Ende des Sommers die SDF nahezu das gesamte Gebiet im Norden der Stadt Deir ez Zor vom IS befreit hatten und dieser die Stadt im Süden kaum noch gegen die Regime-Truppen halten konnte, griff die Türkei in der Region um Kobanê an. Dadurch brach die SDF die Offensive abermals ab um sich auf eine mögliche türkische Invasion vorzubereiten.

Am 15. August 2018 wurde Zekî Şengalî aus der Leitung der YBŞ
(Widerstandseinheiten Şengal) im nordirakischen Şengal Ziel des Angriffs
einer türkischen Bayraktar TB2 Drohne.

Sehid Zekî Şengalî

ANF: PKK-Erklärung zum Anschlag auf Zekî Şengalî


DEZEMBER 2018

Am 12. Dezember gab die Türkei bekannt, unter Billigung US-amerikanischer Verluste in die Gebiete der Autonomieverwaltung östlich des Euphrat ein-marschieren zu wollen.

Am 14. Dezember meldeten die SDF die Eroberung von Hadschin, der letzten größeren Ortschaft in Syrien, die noch unter Kontrolle der Terrorgruppe IS stand.


FEBRUAR UND MÄRZ 2019

Nachdem in der Region mehr als 20.000 Zivilisten evakuiert worden waren, starteten die SDF mit US-Unterstützung am 9. Februar eine Offensive gegen die letzten verbliebenen IS-Stellungen mit Schwerpunkt im Ort al-Baghuz Fawqani. Am 16. Februar nahmen die SDF das Dorf al-Baghuz Fawqani ein und reduzierten somit das letzte verbliebene Gebiet in Syrien, das unter Kontrolle von DAIŞ
stand, auf eine Fläche von 5 km².

Am 19. Februar unterbrachen die SDF ihre Offensive, um Kämpfern und
Zivilisten die Möglichkeit zur Aufgabe zu bieten. Am 6. März gaben etwa 2000
IS-Kämpfer und ihre Familien auf und ließen sich von der SDF festnehmen. Dazu konnten dutzende Jesid*innen befreit werden, die von DAIŞ als Sklav*innen gehalten worden waren. Am 13. März ergaben sich weitere 3000 Kämpfer
und ihre Familien der SDF.

Am 19. März drangen SDF-Kämpfer*innen auf das Gelände mit der Zeltstadt
vor, das DAIŞ-Kämpfer bis zuletzt verteidigt hatten. Die folgenden Tage kam es
nur noch zu einzelnen Schusswechseln in dem verzweigten Tunnelsystem,
welches der IS angelegt hatte.

Am 21. März, dem kurdischen Newroz-Fest, welches den höchsten Feiertag in der kurdischen Kultur und generell ein wichtiges Datum in Mesopotamien darstellt, konnten die SDF den territorialen Sieg über den „Islamischen Staat“ feiern.


SOMMER 2019

Türkische Agenten legten fast täglich Brände in Weizenfeldern und zerstörten
somit über die Hälfte der Getreideernte. In Efrîn brannten türkische Agenten
tausende Olivenbäume nieder, passend zum Namen des Angriffs auf Efrîn (Operation „Olivenzweig“).

Die Antiterroreinheit der SDF nahmen über 50 Islamisten von
DAIŞ-Schläferzellen gefangen.


9. OKTOBER 2019

Der türkische Staat begann mit Hilfe der aus islamistischen und faschistischen Milizen bestehenden SNA („Syrische National-Armee“) die militärische Invasion „Operation Friedensquelle“ zwischen Girê Spî und Serêkaniyê, nachdem zwei
Tage zuvor der Abzug der dort stationierten US-Truppen begann.

Unter türkischem Oberbefehl nach Nordsyrien entsandte sunnitische Milizen präsentieren im Oktober 2019 die FSA Flagge.


OKTOBER BIS DEZEMBER 2019

Bis zum 12. Oktober haben die türkischen Truppen und ihre Proxys Serêkaniyê und 14 Dörfer eingenommen. Am 13. Oktober eroberten die SDF Serêkaniyê zurück. Am 22. Oktober handelte der russische Präsident mit der AKP-Führung einen Waffenstillstand über Nordsyrien aus. Das Abkommen von Sotschi umfasst den Rückzug der SDF und die Besatzung des Gebietes von Girê Spî bis Serêkaniyê auf eine Tiefe von 30 km durch die Türkei. Am 24. Oktober ziehen sich die letzten SDF-Kämpfer*innen aus Serêkaniyê zurück, um der Einkesselung zu entgehen. Die wichtige Verkehrsstraße „M4“ bleibt durch den entschlossenen Widerstand der SDF unter Kontrolle der Autonomieverwaltung.

Aus dem Gefängnis-Lager Ain Issa flohen mehrere Hundert Frauen, die DAIŞ angehören, mit ihren Kindern.

Die Autonomieverwaltung vereinbarte mit dem Syrischen Regime, dass Regime-Truppen in Kobanê und Minbic zur Sicherung der Grenze und für den Kampf gegen die türkischen Truppen stationiert werden dürfen. Einen Tag später übernahmen die Truppen des Regimes die US-Kasernen in den beiden Städten.

In der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober töten Einheiten der Delta Force zusammen mit Kräften der Antiterror-Einheit der SDF, welche auch die Vor- und Recherchearbeit machten, den „Kalifen des DAIŞ“ Abu Bakr al-Baghdadi.

Die vereinbarte Waffenruhe ist de facto nie in Kraft getreten und so gehen die Angriffe der SNA-Milizen täglich weiter. Infolge der Angriffe sind schätzungsweise 2000 IS-Kämpfer aus mehreren Gefängnissen ausgebrochen und DAIŞ fängt an sich zu reorganisieren. Ab Mitte November kam es täglich zu neuen Anschlägen des IS in Syrien und dem Irak. Die Gefechte um Til-Temir, Ain Issa und südlich von Serêkaniyê zwischen der SNA und der SDF gehen weiter.


JANUAR 2020

Die Gefechte um Til-Temir, Ain Issa und um die Handelsroute M4 gehen weiter. Nahezu 400.000 Binnenflüchtlinge sind durch die türkische Invasion in andere Teile Nord- und Ost-Syriens geflohen. Ca. 600 Zivilisten*innen sind durch die Angriffe der türkischen Armee und die SNA-Truppen umgekommen. Dutzende Schulen und Krankenhäuser wurden durch die türkische Luftwaffe bis zur Vernichtung bombar-diert. Die Trinkwasserversorgung ist in vielen Gebieten zerstört oder nur einge-schränkt möglich. In den besetzten Gebieten herrscht die SNA mit türkischen Beamten und die islamistische Auslegung der Sharia ist als Rechtsprechung eingeführt worden. Alle Errungenschaften der Revolution, wie etwa für die Gleich-stellung der Frau sind abgeschafft worden. Die Selbstverwaltung wird nicht zugelassen. Es kommt, wie in Efrîn, täglich zu Plünderungen, Entführungen mit Lösegelderpressungen, Versklavungen, sexueller Gewalt, Hinrichtungen und Schaustellung von Leichen oder Körperteilen.

Chronologie des Krieges in Nord- und Ost-Syrien und der Revolution in Rojava (2016 – 2017)


Zu allen Abkürzungen und Namen von Organisationen findet ihr eine kurze Beschreibung in der Übersicht zu kurdischen Organisationen und anderen Parteien in Kurdistan oder in der Übersicht zu faschistischen Organisationen in Kurdistan.

In den Jahren 2016 und 2017 waren die SDF immer mehr auf dem Vormarsch, wobei die Befreiung von Minbiç einen besonderen Meilenstein darstellt. Sie konnten im Oktober 2017 schließlich die IS-Hauptstadt Raqqa und die nördlichen Gebiete von Deir Ez-Zor befreien. Damit hat die SDF einen entscheidenden Beitrag für das Verdrängen des IS geleistet, so indirekt auch das Auseinanderbrechen des Baath-Regimes verhindert und den Boden für weitere IS-Massaker im Westen entzogen.


JANUAR 2016

Am 26. Januar begannen die Genf-III-Gespräche mit dem Ziel der Friedens-verhandlungen über den Syrienkrieg. Auf Druck der Türkei wurde die Selbst-verwaltung von Rojava und die PYD explizit von den Verhandlungen ausgeschlos-sen, während als Zugeständnis an die Türkei auf Druck des deutschen Außen-ministers Steinmeier Ahrar aş Şam, der engste Bündnispartner von Jabhat al Nusra und ein Ableger von al-Qaida, eingeladen wurde. Der internationale Delegitimierungsversuch durch die Ausladung der Selbstverwaltung von Rojava von den Genfer Friedensgesprächen und die Protegierung der Türkei durch Deutschland stärkte weiter die Position des NC und dessen antikurdische Haltung.


FEBRUAR 2016

Am 19. Februar 2016 wurde al-Shaddadi, die letzte große Stadt unter
Kontrolle des IS (Al Hasaka), durch die SDF befreit.

Die Angriffe auf Rojava eskalierten im Schatten des am 27. Februar 2016 vereinbarten »Genf-III«-Waffenstillstands immer weiter. Akteure sind dabei
die türkische Armee, die »Istanbuler Opposition« (Nationale Koalition) und
zu ihr gehörenden, im ENKS organisierte kurdische Kräfte (Rojava- Peşmerga), wie auch salafistische Gruppen wie Ahrar as Sham und die in »Genf III« nicht inkludierten Jabhat al-Nusra. Bereits im Jahr 2015, aber vor allem ab dem Frühjahr 2016 intensivierten sich die Angriffe auf die selbstverwalteten Stadtteile in Aleppo. Über 100 Zivilisten starben allein in dem Viertel Şex Maqsud.

Aus Nordkurdistan können mit der Verschärfung des Krieges zwischen dem türkischem Staat und der Kurdischen Freiheitsbewegung ab Anfang 2016
keine (medizinischen) Güter mehr importiert werden.


MÄRZ 2016

Im März wurde der Aufbau der Demokratischen Föderation von Nordsyrien (DFNS) durch Dutzende Parteien und Organisationen ausgerufen. Es geht
dabei nicht um die Annektion ganz Nordsyriens, sondern um die Befreiung
von der Terrorherrschaft der Milizen und der Öffnung eines Raumes zur Selbstorganisierung nach eigenen Bedürfnissen.

Während das Embargo gegen Rojava 2015 kontinuierlich verschärft wurde, erreichte es nach dem 17. März 2016 eine neue Dimension. Zuvor war auf
Druck der Türkei die Selbstverwaltung Rojavas explizit aus den »Genf III« -Verhandlungen ausgeladen worden und sollte so politisch isoliert und kalt-
gestellt werden. Die Selbstverwaltung reagierte mit einem Schritt nach vorn:
mit der Ausrufung der Demokratischen Föderation Nordsyrien, die zugleich ein alternatives Projekt für die gesamte Region darstellt. Daraufhin verschärfte die Türkei und die von ihr abhängige PDK-Regierung ihr Embargo gegenüber Rojava und schloss die Grenzen komplett. Hinzu kamen Verhaftungsoperationen und Übergriffe auf emanzipatorische Aktivist*innen in Südkurdistan, insbesondere
auf kritische Journalist*innen und die kurdische Frauenfreiheitsbewegung.
Sowohl Şengal als auch Rojava sind isoliert, während Hunderttausende Menschen
aus der Region Mosul in Rojava aufgenommen werden. Aufgrund der Ausrufung einer überregionalen Alternative auch zum Assad-Regime hat es Verständigungen zwischen dem Regime und der Türkei gegeben. Rojava wird nun von allen Seiten angegriffen und ökonomisch wie humanitär isoliert. Die Türkei hat im Norden einen Zaun und Mauern um Rojava errichtet, Südkurdistan (Nordirak) hat im Osten einen befestigten Graben gezogen, den es nun mit Militärstützpunkten ausbaut. Nach Süden ist Rojava durch die radikalislamistischen Kampfverbände des IS und der
al-Nusra-Front vom Rest Syriens getrennt.


APRIL 2016

In Qamişlo entflammten erneut Kämpfe zwischen den Regimetruppen Syriens
und der YPG/YPJ. Erstmals bombardierten die Regime-Truppen die Stadt mit Artillerie. Nach vier Tagen wurde ein Waffenstillstand ausgehandelt. Nach einem Scheinangriff auf Rakka begann der Militärrat von Minbic (eine Abteilung der SDF) die Belagerung von Minbic.

Die Gefechte im Dreieck Afrin, Kobanî, Aleppo (Şêx Maqsud) nahmen immer größere Ausmaße an. Unter den am 7. April 2016 getöteten Angreifern waren neben mehreren Mitgliedern von Jabhat al-Nusra und Ahrar al-Scham auch Sultan-Murat-Brigadisten – zwei von ihnen waren Angehörige des türkischen Geheim-dienstes MIT. Insbesondere das nach dem Modell der Demokratischen Autonomie von Rojava selbstverwaltete und den YPG/YPJ verteidigte Stadtviertel Aleppos, Şêx Maqsud, wurde immer wieder zum Ziel von Angriffen. Diese wurden in aller Härte und Erbarmungslosigkeit mit schweren Waffen ausgeübt, was zum Tode zahlreicher unschuldiger Zivilpersonen führte. Mittlerweile gibt es Vorwürfe seitens der YPG, dass bei den am 5. April begonnenen Angriffen der Banden der Nationa-len Koalition und des ENKS auf Şêx Maqsud neben schwerem Geschütz wie Raketen auch Chemiewaffen eingesetzt worden seien. Der vermutete Chemiewaf-fenangriff wurde anscheinend von Jaisch al-Islam verübt, wie der ENKS einräumte.

Am 14. April beschoss die türkische Armee das Dorf Hewar in der Nähe von Azaz. Dabei kamen mindestens 25 Zivilpersonen ums Leben.

Die Grenzstadt Girê Spî wurde am 15. April mit türkischer Artillerie beschossen.

Im April 2016 wurde das erste Zentrum der HPC-Jin, also der Frauen-verteidigungskomitees, in Hesekê aufgebaut.


MAI 2016

Im Mai 2016 starteten die SDF eine Operation zur Befreiung von Rakka. Die
Türkei hatte bis Juni 2016 verhindert, dass die USA und SDF eine gemeinsame Operation auf Rakka durchführen. Die USA unterstützten die Operation der SDF nur, weil sie einen militärischen Sieg in Syrien gegen den IS anstreben. All ihre Bemühungen, selbst eine Anti-IS-Truppe aufzustellen, waren gescheitert. Beide Seiten sind sich bewusst, dass die Beziehungen rein taktischer Natur sind.


AUGUST 2016

Anfang Juni 2016 starteten die SDF eine umfangreiche Befreiungsoperation für die seit Januar 2014 vom IS kontrollierte Region Manbij, zwischen Kobanî und Afrîn gelegen, unter dem Namen »Abu Leyla« im Gedenken an einen der arabisch-stämmigen, sehr beliebten Kommandanten, der in der Befreiung von Kobanî eine wichtige Rolle gespielt hatte.

The Story of Abu Layla


Faisal Abu Layla (1984 – 5 June 2016) was a commander of the Free Syrian Army and the Syrian Democratic Forces. He was regarded by some Kurds as a hero in the battle against Islamic State. Abu Layla was born near Kobanî to Kurdish and Arab parents; he died in a hospital in Sulaymaniyah, Kurdistan Region, Iraq. His death was caused by sniper bullet to the head he received in the Abu Qelqel village during an offensive against the Islamic State in Manbij on 5 June 2016. He was at that time a prominent commander within the Syrian Democratic Forces.

73 Tage dauerte die Befreiung der überwiegend arabischen Stadt. Innerhalb weniger Tage konnten mehr als 100 Dörfer sowie die wichtige Verbindungsstraße zwischen Jarablus und Rakka unter Kontrolle gebracht werden. Die strategisch bedeutsame Stadt Manbij war seit Januar 2014 in der Hand des DAIŞ. Mehr als 200 Kämpfer*innen verloren ihr Leben. Nach wochen-langen Gefechten wurde der IS am 12. August in dieser Stadt vollständig besiegt. Die Bevölkerung begann umgehend mit dem Aufbau der Selbstverwaltung.

Heseke wurde von Truppen des syrischen Regimes angegriffen, welche den Rückzug der SDF aus der Stadt forderten. Erstmals bombardierte die syrische Luftwaffe die Stadt. Nach einer Woche zogen sich aber die Regime-Truppen aufgrund der hohen Verluste und einer Vielzahl an Desertationen aus den
eigenen Reihen zurück.

Der MIT (türkischer Geheimdienst) tötete am 22. August den Kommandanten
der SDF, welcher für die Befreiung der Stadt Cerablus vom IS verantwortlich ist. Zwei Tage später marschierte die türkische Armee mit der Operation „Schutzschild Euphrat“ erstmals in Syrien ein und eroberte Cerablus. Erklärtes Ziel der Operation war es ein „zusammenhängendes Kurdengebiet“ zu verhindern.


NOVEMBER 2016

Die SDF begannen mit der Operation Xezeba Firatê zum Sturm auf Rakka.


DEZEMBER 2016

Das Regime besiegte die islamischen Rebellen in Aleppo und stellte der YPG/YPJ ein Ultimatum, sich bis Jahresende aus der Stadt zurück zu ziehen. YPG und YPJ kamen dieser Forderung aus taktischen Gründen nach.


FEBRUAR UND MÄRZ 2017

Im Frühling 2017 kam es zu immer stärkeren und verlustreicheren Kämpfen zwischen der türkischen Armee und der SDF. Die türkische Armee und die mittlerweile mit ihr verbündeten Teile der FSA konnten die Verbände der SDF sowohl in Minbic als auch in Tall Rifaat aufhalten und kamen ihnen mit der Eroberung von Al-Bab zuvor. So verhinderten sie den Zusammenschluss
der Kantone Efrîn und Kobanê.

Anfang 2017 etablierten Internationalist*innen, unterstützt von der Jugend-bewegung in Rojava (YCR/YJC), die „Internationalistische Kommune“
von Rojava. Diese widmet sich seitdem der Durchführung von Bildungen, Delegationsreisen, Sprachkursen und dem Aufbau der ersten zivilen
Akademie für Internationalist*innen in Rojava.

Am 10. März 2017 begann in der Nähe der Stadt Serêkaniyê der Bau des Frauendorfes Jinwar im Kanton Cizîrê. Ziel ist es, einen Ort jenseits vom
Patriarchat zu schaffen, an dem sich Frauen auf der Basis ökologischer Landwirtschaft selbst versorgen.


MAI 2017

Die SDF eroberten Anfang Mai die Tabqa-Talsperre (40 km westlich von Rakka) von DAIŞ. Im Laufe des Monats befreiten die SDF nahezu alle Dörfer im Norden Rakkas vom IS. Gegen Ende des Monats standen die ersten SDF-Truppen an
der Stadtgrenze zu Rakka.


JUNI BIS OKTOBER 2017

Am Morgen des 6. Juni begannen die SDF mit US-Luftunterstützung mit der Stürmung der Stadt Rakka. Am 29. Juni hatten SDF-Verbände schließlich den
Ring um die Stadt komplett geschlossen. Anfang September gelang es den SDF, die Altstadt von Raqqa zu befreien. Die SDF befreien in den bis dahin schwersten Kämpfen des Syrischen Bürgerkriegs, Straße um Straße und Stadtteil für Stadtteil von DAIŞ. An den Kämpfen beteiligten sich in den Reihen der SDF ca. 500 Internationalist*innen aus der ganzen Welt.

Inside The Fight To Retake Raqqa From ISIS (HBO)
(Vice News, Sep 2017)

Da sich im August das nahende Ende der Kämpfe in Rakka abzeichnet, werden
die meisten Truppen außerhalb der Stadt für eine neue Offensive gegen DAIŞ in Deir ez Zor zusammengezogen. Am 2. September beginnt die Offensive gegen die letzte Hochburg des IS. Am 17. Oktober meldet die Kommandantur der SDF die vollständige Befreiung der Stadt. Auch in Rakka werden anschließend Volksräte gegründet und die Selbstverwaltung aufgebaut.

Übersicht: Kurdische Organisationen und andere Parteien in Kurdistan

Quellen: Civaka Azad, „Revolution in Rojava“ – Flach u.A.

Mit der Auflösung des Osmanischen Reiches und der Gründung der Republik Türkei im Jahre 1923 wurde das kur­dische Siedlungsgebiet von den Sieger-mächten des 1. Weltkriegs auf vier Länder aufgeteilt: Türkei, Syrien, Irak und Iran. Wir geben hier einen kurzen Überblick über Organisationen und Parteien in den verschiedenen Teilen Kurdistans sowie ausgewählte türkische Parteien.

Kurdische Bevölkerung in der Geografie Kurdistans, Januar 2019


1. TÜRKEI / BAKUR / NORDKURDISTAN

PKK = Partiya Karkerên Kurdistanê‎ – Arbeiterpartei Kurdistans
gegründet 1978; kämpft für die Selbstbestimmung und demokratischen Rechte der Kurd*innen in der Türkei, in Syrien, im Iran und Irak. Die PKK begann 1984 den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat. Seit Beginn der 1990er Jahre ist die PKK intensiv um eine politische Lösung bemüht. Gründer und Vorsitzender: Abdullah Öcalan, 1999 mithilfe ver­schiedener Geheimdienste aus Kenia in die Türkei verschleppt, zum Tode verurteilt, aufgrund internationa­ler Proteste in lebens-lange Freiheitsstrafe umgewandelt und befindet sich seitdem auf der Gefängnis-insel Imrali im Marmarameer, wo er 10 Jahre lang als einziger Gefangener von 1 000 Soldaten bewacht wurde. Sitz und Zentrum der PKK sind die Kandil-Berge im Nordirak. In der Türkei ist sie als terroristische Organisation eingestuft und verbo-ten. In Deutschland wurde die Tätigkeit für die PKK am 26. November 1993 ver-boten. Im September 2017 fällte das Brüsseler Berufungsgericht die Entscheidung, dass die PKK keine Terrororganisation, sondern eine Kriegspartei sei.

YJA-Star = Yekîtîya Jinên Azad Star – Einheiten der freien Frauen
autonome Frauenarmee der PKK, gegründet 1995. Als Frauenarmee wird die Gesamtheit der ausschließlich aus Frauen bestehenden Einheiten der kurdischen Volksverteidigungskräfte (HPG) bezeichnet. Bei diesen Organisationen handelt es sich um Kampfverbände der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).

PAJK = Partiya Azadiya Jinan a Kurdistanê –
Partei der Freiheit der Frauen Kurdistans

HPG = Hêzên Parastina Gel – Volksverteidigungskräfte
Selbstverteidigungseinheiten/Guerilla, bewaffnete Einheiten der PKK, gegründet 2000, verstehen sich als Nachfolger*innen der ARGK (Artêşa Rizgariya Gelê Kurdistan – Volksbefreiungsarmee Kurdistans, 1986-2000) und bezeichnen sich
als legitime Verteidigungskraft; HPG und YPG/YPG retteten 2014 Zehntausende Ezid*innen aus dem Sindschar-Gebirge vor dem sicheren Tod durch den IS.

KCK = Koma Civakên Kurdistan – Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans; überstaatlicher Zusammenschluss der Gemeinschaften Kurdistans, in dem sich im Idealfall die radikaldemokratisch selbstverwalteten Strukturen zusam-menfinden. Verfügt über ein System der Gewaltenteilung und dient der Umsetzung der Konzepte des Demokratischen Konföderalismus und der Verteidigung der kur-dischen Bevölkerung. Die KCK wurde 2007 gegründet und ist hervorgegangen aus der PKK. Seit April 2009 wurden unzählige politische Aktivist*innen in der Türkei festgenommen, wegen angeblicher KCK-Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Organisation angeklagt und zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt – unter ihnen Bürgermeister*innen der HDP, Journa-list*innen, Anwält*innen und Gewerkschafter*innen.

HDP = Halkların Demokratik Partisi – Demokratische Partei der Völker
Linke, prokurdische, gesamttürkische Partei, konnte erstmals bei den Parla-mentswahlen am 7. Juni 2015 die 10%-Wahlhürde mit 13% überspringen und in Fraktionsstärke ins Parlament einziehen. Auch in den nachfolgenden Wahlen konnte die HDP, trotz enormer staatlicher Repressionen, stets die Wahlhürde nehmen und ihre Wähler*innen im Parlament vertreten.

DBP = Demokratik Bölgeler Partisi – Demokratische Partei der Regionen
gegründet 2014; sie arbeitet zusammen mit HDP, ist allerdings als politische
Partei lediglich in den kurdischen Provinzen aktiv.

DTK = Demokratik Toplum Kongresi – Demokratischer Gesellschaftskongress; Dachorganisation der Volksratsstrukturen
und der Zivilgesellschaft in Nordkurdistan

KJA = Kongreya Jinên Azad – Kongress der freien Frauen
ist die Dachorganisation der autonomen Frauenstrukturen in Nordkurdistan


2. SÜDKURDISTAN / BASÛRÊ / NORDIRAK

Seit dem 1. Golfkrieg wurde diese Region wegen seines Öl- und Wasser-vorkommens sowie seiner geostrategi­schen Bedeutung wichtig. Die Definition dieses Teils Kurdistans als „safe heaven“ gilt heute noch. Nach dem Fall Saddam Husseins 2003 konnte die ihre Autonomie waren. 2005 wurde sie zur „Kurdistan Re­gion of Iraq“ erklärt, verankert in der irakischen Verfassung.

KRG = Kurdish Regional Government; Regierung von Südkurdistan/Nord irak.

PDK = Partiya Demokratiya Kurdistanê – Demokratische Partei Kurdistans
Regierungspartei in der Kurdischen Autonomie Region im Nordirak, vorwiegend
im Kurmancî-Gebiet, gegründet 1946. Seitdem wird dieser Teil Kurdistans vom Barzanî-Clan dominiert. Die Strukturen sind autokratisch; die Regierung pflegt engste Kontakte mit der Türkei. Verfügt über eigene Sicherheitskräfte und Militär – 16 000 Peschmergas („Die dem Tod ins Auge sehen“) bilden Barzanîs Armee. Die PDK kontrolliert die Region um Hewlêr (Erbil) und verfügt über Ableger in Ostkur-distan (Iran), Rojava (Syrien) und Nordkurdistan (Türkei). Die deutsche Bundes-regierung unterstützt die Autonomiere­gion politisch, rüstet die Peschmergas im „Kampf gegen ISIS“ mit deutschen Waffen aus und leistet militäri­sche Ausbildungs-hilfe. Die PDK befürwortet die Angriffe der türkischen Armee seit Ende Juli 2015 auf die PKK und lehnt die kurdische Autonomieregion Rojava ab.

YNK / PUK = Yekîtiya Nîştimanî ya Kurdistanê – Patriotische Union Kurdistans; wurde 1975 als Ergebnis der Spaltung von der PDK im Exil gegründet und teilt sich weitgehend die Macht mit der PDK in Südkurdistan, vorwiegend im Soranî-Gebiet. Sie verfügt über Militär und Polizei und kontrolliert die Soranî sprechende Region um die Stadt Sulemaniyya (Hauptsitz). Die YNK hat sich mit Rojava solidarisch erklärt und unterstützt die Kurden im Südosten der Türkei.

Bzutinewey Gorran = Bewegung für Wandel
Die Partei GORAN existiert seit 2010 als Abspaltung von der PUK und fand
2013 großen Zuspruch, insbe­sondere für die von ihr propagierte Bekämpfung
von in Südkurdistan bestehender Korruption und Vettern­wirtschaft.

YBŞ = Yekîneyên Berxwedana Şengalê‎ – Widerstandseinheiten Şengals
Bewaffneten Selbstverteidigungseinheiten der ezidischen Region Şengal.
Die YBŞ wurde 2015 als Reaktion auf das Genozid des IS im an der
ezidischen Bevölkerung im August des Vorjahres gegründet.

YJŞ = Yekinêyen Jinên Şengalê‎ – Fraueneinheiten Şengals
Bewaffnete autonome Fraueneinheiten der ezidischen Region Şengal


3. ROJAVA / WESTKURDISTAN / NORDSYRIEN

Im Jahre 2012 hat die kurdische Bevölkerung in Syrien mit der Umsetzung des Modells des Demokratischen Konföderalismus und der Demokratische Autonomie in Rojava begonnen. Rojava bestand anfangs aus den drei Kantonen: Efrîn im Westen, Kobanê im Nor­den und Cizîrê im Osten. Die AKP-Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdoĝan will mit allen Mitteln eine Etablierung dieses Projektes verhindern. Deshalb hat die türkische Armee gemeinsam mit ihren dschihadistischen Partnern 2018 Efrîn und seit Oktober 2019 weitere Gebiete im Kanton Cizîrê besetzt. Im Zuge des Kampfes gegen den sogenannten Islamischen Staat ist es den Selbstverteidigungskräften Nordsyriens gelungen weitere Gebiete zu befreien. Heute wird das radikaldemokratische Gesellschaftsmodell nicht allein in den kurdisch-dominierten Gebieten Nordsyriens praktiziert, sondern auch in mehrheitlich arabischen Regionen wie Raqqa und Deir ez-Zor umgesetzt.

DFNS = Demokratische Föderation Nordsyrien (früherer Name der Selbstverwaltung in Rojava), jetzt Rêveberiya Xweser a Bakur û Rojhilatê Sûriyeyê – „Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien – Rojava“

QSD / SDF = Quwetên Suriya Dimokratîk – Demokratische Kräfte Syriens – Syrian Democratic Forces; militärisches Bündnis zur Verteidigung der selbst-verwalteten Gebiete in Rojava und Syrien. Militärbündnis von YPG/YPJ sowie mehren arabischen, christlichen, turkmenischen, assyrischen und ezidischen Milizen, offizieller Bestandteil der internationalen Anti-IS Koalition und die einzige Kraft, die am Boden gegen DAIŞ kämpft. Sie sind der Autonomieverwaltung von Nord- und Ost-Syrien unterstellt. Das Militärbündnis SDF besteht derzeit aus den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und den Frauenverteidigungs-einheiten (YPJ),der Kurdischen Front (Dschabhat al-Akrād), der kurdisch-turkmenischen Einheit Katāʾib Schams asch-Schimāl, der sunnitisch-arabischen Armee der Revolutionäre (Dschaisch ath-Thuwwar), der sunnitisch-arabischen Schammar-Stammesmiliz Quwat as-Sanadid und der sunnitischen Rebellen-brigade ar-Raqqa (Liwa Thuwar al-Raqqa), den Al-Dschasira-Brigaden und der Lîwai 99 Muşat sowie dem assyrisch-aramäischen Militärrat der Suryoye (MFS).

YPG = Yekîneyên Parastina Gel – Volksverteidigungseinheiten
Verteidigungskraft von Rojava. Verteidigen mittlerweile auch die ezidische Bevölkerung auf den Şengal-Bergen, besteht aus Frauen und Männern.
Die YPG ist Teil der QSD.

YPJ = Yekîneyên Parastina Jinê – Frauenverteidigungseinheiten
Verteidigungskraft von Rojava. Wie auch die YPG verteidigen mittlerweile
auch sie die ezidische Bevölkerung auf den Şengal-Bergen. Die YPJ ist
als reine Frauenarmee Teil der QSD.

YBŞ = Yekîneyên Berxwedana Şengalê – Widerstandseinheiten Şengals

YJÊ = Yekîneyên Jinên Êzîdxan – Einheiten der ezidischen Frauen

HRE = Hêzên Rizgariya Efrînê – Befreiungskräfte Efrîns – Afrin
Liberation Forces
; erstmalig im Dezember 2018 in Erscheinung getreten,
mit der Ankündigung, eine neue Taktik im Kampf gegen die tükisch-
dschihadistische Besatzung Êfrins anzuwenden. Seitdem haben diverse erfolgreiche Aktionen in Şehba und Efrîn stattgefunden.

IFB = International Freedom Bataillon – Internationaler Freiheitsbataillon
autonome Einheit innerhalb der YPG als Verband aller sich den Kämpfen anschließenden Internationalisten*innen

HPC = Hêzên Parastina Cewherî – Selbstschutzeinheiten
Aufgaben sind bspw., die Straßen und Stadtviertel zu kontrollieren. In den HPC
sind Zivilist*innen aller Altersstufen. Sie unterstützen die Asayîş (polizeiähnliche Schutzkräfte der Selbstverwaltung mit ca 15.000 Mitarbeiter*innen) und sind Teil des systematischen Verteidigungsnetzes Rojavas. Die autonome Frauenstruktur bei den HPC sind die HPC-Jin (Frauenverteidigungskomitees).

MFS = Mawtbo Folhoyo Suryoyo – Militärrat der Suryoye
Verteidigungskraft von Rojava, assoziiert mit YPG und YPJ.

TEV-DEM = Tevgera Cîvaka Dimokratîk – Bewegung für eine demokratische Gesellschaft ist die Organisierung der Selbstverwaltung (Kommunen, Räte, Koordination) sowie ihrer Exekutivinstitutionen in Rojava und das koordinierende Organ des Volksrats Westkurdistan (MGRK). Die TEV-DEM gibt es auf der Gebietsebene und für ganz Rojava. Sie umfasst auch die sie unterstützenden politischen Parteien, diverse NGOs, soziale Bewegungen und Berufsverbände.

MGRK = Meclîsa Gel a Rojavayê Kurdistanê – Volksrat Westkurdistan
im Jahr 2011 gegründete Rätestruktur in Rojava und Syrien. Die Initiative ging
von der PYD aus, inzwischen unterstützen mindestens fünf weitere Parteien
den MGRK. Der MGRK besteht aus vier Ebenen. Die TEV-DEM ist seine
Koordination auf den beiden oberen Ebenen.

Kongreya Star = Dachorganisation der autonomen Frauenstrukturen in Nordsyrien/Rojava; 2005 gegründet unter dem Namen Yekîtiya Star
(Verband der Frauen Star); Frauenorganisation in Rojava, welche die
Frauenräte organisiert, Frauenakademien und andere Fraueneinrichtungen
betreibt (Organisationsmuster wie TEV-DEM).

YCR / YJC = Jugendbewegung in Rojava

PYD = Partiya Yekitîya Demokrat – Partei der demokratischen Einheit
aktiv in Rojava/Westkurdistan-Nordsyrien; 2003 gegründet. Die PYD ist
die größte politische Partei der Kurd*innen in Rojava/Syrien und ist eine
Vertreterin der Demokratischen Autonomie.

MSD = Meclîsa Suriya Dimokratîk – Rat des demokratischen Syriens
Politisches Bündnis verschiedener Volks- und Religionsgemeinschaften in Syrien, die sich im Sinne eines demokratischen und föderalen Syriens organisieren.

Jabhat al Akrad = Kurdische Front
Kurdische Verteidigungseinheit, welche die kurdische Bevölkerung außerhalb Rojavas schützen soll und versucht mit der FSA stellenweise zusammen zu arbeiten. Unter anderem bei der Vertreibung des IS aus Azaz. Am 16.8.2013 wurde Jabhat al Akrad wegen der angeblichen Beziehung zur PKK aus dem Militärrat der FSA von Aleppo ausgeschlossen, nachdem FSA und dschihadistische Gruppen eng gegen die Selbstverwaltung in Rojava kollaboriert hatten.

NCC oder NCB = National Coordination Body – Nationales Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel
ein Oppositionsblock, der aus zehn linksgerichteten politischen Parteien und drei kurdischen Parteien sowie unabhängigen politischen Aktivist*innen einschließlich von Jugendaktivist*innen besteht. Das NCC und der SNC bilden zusammen die zwei Hauptfraktionen der syrischen Opposition. Der NCC steht in Konkurrenz zum SNC und NC, möchte eine friedliche Überwindung des Regimes und stellt sich gegen Konfessionalität und Nationalismus. Insgesamt umfasst das Komitee vor allem säkulare und nationalistische Gruppen, unabhängige Dissidenten und kurdi-sche Parteien, die alle ihre Basis innerhalb Syriens haben. Zu jenen gehören die PYD und ein Ableger der Syrischen Kommunistischen Partei.

ENKS = Encûmena Niştimanî ya Kurdî li Sûriyeyê – Kurdischer Nationalrat in Syrien; im Oktober 2011 gegründetes Bündnis, das von der PDK Barzanîs und nahestehenden Parteien dominiert wird.

PDK-S = Partiya Demokrata Kurdistan a Sûriye – Demokratische Partei Kurdistan-Syrien
; gegründet 1956, ist die größte Mitgliedspartei im Kurdischen Nationalrat (ENKS), welche mit der Demokratischen Unionspartei (PYD) Teile Nordsyriens regiert. Derzeitiger Vorsitzender ist Abdulhakim Bashar, welcher
auch im Vorstand der Nationalen Koalition der Syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte (NC) ist. Die Partei steht der von Masud Barzani geführten Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) im Nordirak nahe.


4. ROJHILAT / OSTKURDISTAN / IRAN


PJAK = Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê – Partei für ein freies Leben in Kurdistan
; militante kurdische Untergrundorganisation im Iran mit Stützpunkten im Nordirak; eine Schwesterorganisation der PKK. Sie führt einen bewaffneten Kampf für mehr Autonomie der Kurden im Iran und wurde im April 2004 in den Kandil-Bergen des Nordirak gegründet. Sie ge­hört dem Dachverband der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) an. Sie strebt eine Zusammenarbeit mit der iranischen Opposition an, was sich bis heute schwierig gestaltet. Zahlreiche PJAK-Kämpfer*innen wurden in den vergangenen Jahren zum Tode verurteilt und hingerichtet. 2009 wurde die PJAK auf die US-Terrorliste gesetzt.

KODAR = Demokratische und freie Gesellschaft Ostkurdistans
Organisierung der Selbstverwaltung (Kommunen, Räte, Koordination)
sowie ihrer Exekutivinstitutionen in Ostkurdistan.

5. DIASPORA – Kurdische Gemeinschaft außerhalb von Kurdistan

KNK = Kongreya Neteweyî ya Kurdistanê – Kurdischer Nationalkongress
im Mai 1999 gegründet, Sitz in Brüssel; Bündnis Kurdischer Parteien, zivilgesellschaftlicher Organisationen und Exilorganisationen.

Warum braucht Rojava unsere internationale Solidarität?


Zu allen Abkürzungen und Namen von Organisationen findet ihr eine kurze Beschreibung in der Übersicht zu kurdischen Organisationen und anderen Parteien in Kurdistan oder in der Übersicht zu faschistischen Organisationen in Kurdistan.


1. DIE ORGANISIERUNG DER MENSCHEN IN ROJAVA IST EINE RADIKALE ABSAGE AN NATIONALISTISCHE, PATRIARCHALE, KAPITALISTISCHE UND FUNDAMENTALISTISCHE IDEOLOGIEN

Rojava (kurd. für Westen) bezeichnet einen in Nordsyrien liegenden Teil Kurdistans. Im Zuge des Zerfalls des Osmanischen Reiches und der Besetzung großer Teile des Mittleren und Nahen Ostens durch Großbritannien und Frankreich (1918) so-wie Gründung der Türkei (1923) kam es zu weitgehenden territorial-politischen Veränderungen in Kurdistan. Kurdistan wurde zwischen Iran, Türkei und europäi-schen Mächten, sowie später Syrien und Irak aufgeteilt. In allen der vier Länder erfuhr der kurdische Teil der Bevölkerung Unterdrückung, Leugnung seiner Exis-tenz, Vertreibung und Gewalt. Diese Zeit kann bezeichnet werden als Geburt der sog. „kurdischen Frage“ und markiert den Beginn des Aufstiegs des Nationalismus und institutionalisierter kapitalistischer Ausbeutung der Region durch westliche Staaten im Mittleren Osten.

Der ideologische Vorläufer des türkischen Nationalismus entstand bereits in der späten Periode des Osmanischen Reichs als Idee des Turanismus. Angestrebt wurde eine sog. „Wiedervereinigung aller Turkvölker“, als Basis wurde ein gemein-samer Ursprungsmythos konstruiert. Seit der Machtergreifung der türkischen Be-freiungsbewegung (1920) wurde im Wesentlichen von Kemal Atatürk die Idee des bürgerlich-völkischen Nationalismus geprägt, die den Tyrranismus in Teilen ein-schloss (Kemalismus). Infolgedessen kam es in den späten Jahren des Reichs zum Genozid an den Armenier*innen und in den frühen Jahren der Republik zu ethnischen Säuberungen in Kurdistan sowie dem Verbot kurdischer Identität und Sprache. Heute greifen sowohl die türkische Regierungspartei AKP als auch die ultra-nationalistische MHP auf diese Ideologien zurück, um Kriege gegen die eigene Bevölkerung und Angriffskriege auf die kurdischen Gebiete in Nordirak und Nord-syrien zu legitimieren.

Der arabische Nationalismus entstand als Folge des osmanischen und europäi-schen Expansionismus in der Region. So wurden mit dem antikolonialen Befrei-ungsanspruch der arabischen Bevölkerung durch nationale Bewegungen zahl-reiche arabische Nationen konstituiert. Der ideologische Charakter des Nationa-lismus konnte jedoch der realen Situation im Mittleren Osten seinen vielfältigen Ethnien, Religionen und Kulturen nicht gerecht werden und führte zur Verbreitung eines menschenfeindlichen Weltbildes. Er trug zugleich zur Bildung des Nährbo-dens für fundamentalistische Bewegungen bei. Als Folge der nationalistischen Politik des Baath-Regimes wurde die kurdische Bevölkerung in Syrien umfang-reicher Ausgrenzung unterworfen. So wurde ihnen die Berechtigung zum Leben in Syrien oder gar ihre Existenz abgesprochen, indem Volkszählung politisch mani-puliert (Volkszählung in Dschazira / Cizire, 1962) und ihre Staatsangehörigkeit entzogen wurde. Bürgerrechte somit staatenloser Kurd*innen wurden stark einge-schränkt. So konnten die meisten von ihnen keine Hochschulausbildung genießen und durften sich nicht politisch betätigen.

Der sog. „Arabische Frühling“, eine internationale Protestwelle gegen die autoritären Regime arabischer Staaten, endete in Syrien im Jahr 2011 in einem Bürgerkrieg, welcher bis heute andauert. Dem Regime Assads, der das politische System in Syrien mittlerweile in eine Autokratie verwandelt hat, gelang es immer weniger, die Kontrolle über Syrien zu behalten. Den in Nordsyrien politisch organisierten Struktu-ren, wie der Partei PYD und der syrisch-kurdischen Frauenbewegung Kongra Star, gelang es, zu einer weitgehenden demokratischen gesellschaftlichen Organisierung und Stabilität in der Region beizutragen. Seit dem Sommer 2012 werden schrittwei-se vielfältige gesellschaftliche Organisationen, Kommunen, Räte sowie Frauenor-ganisationen, die konföderal miteinander verflochten sind, aufgebaut und entwickelt. Zusammen mit den christlichen Assyrer*innen, der arabischen Bevölkerung und anderen gesellschaftlichen Gruppen in Nordsyrien hat die überwiegend kurdischen Bevölkerung von Nordsyrien am Rande des Bürgerkriegs eine regionale autonome Selbstverwaltung auszurufen: Demokratische Föderation Nord- und Ost-Syrien (Rojava). Seitdem wird in Rojava das Gesellschaftsmodell des Demokratischen Konföderalismus erprobt, welches sowohl für den Mittleren Osten ein Vorbild sein kann, als auch weltweit neue Hoffnung und Perspektiven entstehen lässt.

Der Demokratische Konföderalismus muss im Zusammenhang der Neufindung sozialistisch-linker Ideen und Bewegungen seit dem Zusammenbruch des Real-sozialismus betrachtet werden. Nach der Niederlage des Realsozialismus ge-genüber dem kapitalistischen Liberalismus haben linke Denker*innen und Theo-retiker*innen Ieen zu entwickeln versucht, die “Politik jenseits von Staat, politische Oganisation jenseits von Partei und politische Subjektivität jenseits von Klasse“ (Badiou) ermögichen sollten. Der libertäre Kommunalismus (Murray Bookchin und Janet Biehl), das Konzept der Maltitrude und des Commonwealth (Antonio Negri und Micheal Hardt) oder der Demokratische Konföderalismus (Abdullah Öcalan) sind Beispiele dieser Versuche.

Der demokratische Konföderalismus betrachtet đie Bedeutung von Frauenbefrei-ung als Voraussetzung für die Befreiung der gesamten Gesellschaft. Dieses Para-digma basiert auf der kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte der Zivili-sation und damit einhergehenden Herrschaftsverhältnissen, von denen das Patriar-chat – also die Herrschaft des Mannes über die Frau* – als der grundlegende Wi-derspruch der Gesellschaft angenommen wird. Die Herausbildung der Ideologie des Patriarchats hätte demnach erst die Entstehung und Festigung weiterer Herr-schaftstrukturen ermöglicht (mehr dazu bei „Jenseits von Staat, Macht und Gewalt“ von A. Öcalan). Basierend auf dieser Gesellschaftskritik hat die demokratische Be-wegung in Rojava ein Konzept der gesellschaftlichen Organisierung ausgearbeitet, bei dem es parallel zu allen Entscheidungsgremien auch autonome Frauen*räte gibt. Solche Räte werden als notwendig gesehen, da sie Räume jenseits von patri-archaler Herrschaft schaffen und als Voraussetzung für Selbstermächtigung von Frauen gesehen werden. Teile der europäischen feministischen Bewegung organi-sieren sich nach ähnlichen Prinzipien.


2. ROJAVA IST EIN FEMINISTISCHES UND ANTIRASSISTISCHES PROJEKT

Neben der Frauenverteidigungseinheiten der YPJ, die spätestens seit der Befreiung von Kobane vom sog. IS bekannt geworden sind, sind Frauen* auch im zivilen Be-reich ein integrativer Bestandteil der gesellschaftlichen Organisation. So existiert, zusätzlich zu separaten autonomen Frauen*strukturen, entsprechend der paradig-matischen Bedeutung der Frauen*befreiung als Basis für die Befreiung der Gesell-schaft, in allen geschlechtlich gemischten Strukturen der Selbstverwaltung eine Frauenquote von 40% und jeweils ein quotiert besetzter Vorstand (Prinzip der Dop-pelspitze: immer eine Frau und ein Mann). Die Umsetzung dessen wird bedingt durch enorme Brüche mit traditionellen, patriarchalen Unterdrückungsmechanis-men und gewährleistet eine aktive Rolle und öffentliche Präsenz der Frauen bei allen gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen.

Gleichzeitig garantiert die Verfassung ein angemessenes Verhāltnis an Vertreter*-innen verschiedener ethnischer und religiöser Minderheiten in allen Entscheidungs-gremien. Dazu gibt es prozentuale Vorgaben, denn in Nordsyrien leben neben Kurd*innen, Menschen mit arabischer, armenischer, aramäischer, assyrischer, tscherkessischer, turkmenischer und jezidischer Identität. Das Bildungssystem bietet zudem Möglichkeiten zum Unterricht in der jeweiligen Muttersprache.


3. DAS DEMOKRATISCHE PROJEKT IN NORDSYRIEN
STREBT NACH EINER EGALITÄREN GESELLSCHAFT

Der Nationalstaat, basierend auf der Idee der ethnisch-kulturell gleichförmigen Nation und Patriotismus, wird in der Freiheitsbewegung Kurdistans als rückschritt-lich betrachtet. Dieser Kritik zugrunde liegt die Annahme, dass die exklusiven Merkmale der Nation eine Voraussetzung für nationalistisches Denken bilden und zur Verschleierung der Ungleichheit und Herrschaftsverhältnisse innerhalb der Gesellschaft führen. Dem widerstehend soll eine inklusive Gesellschaft, die von Vielfalt und geteilten Werten geprägt ist, aufgebaut werden. Entgegen irrtümlicher Annahmen, stellt die Föderation keine nationale oder separatistische Bewegung dar, sondern möchte eine Perspektive auf ein demokratisches Syrien eröffnen, die den vielen dort lebenden Menschen, Ethnien und Kulturen gerecht wird. Bezüglich einer gesamtgesellschaftlichen Lösung der Konflikte in Kurdistan wird seitens der Föderation immer wieder das Gespräch gesucht.


4. DAS DEMOKRATISCHE PROJEKT IN NORDSYRIEN SPIELT EINE SCHLÜSSELROLLE BEI DER TERRITORIALEN UND IDEOLOGISCHEN BEKÄMPFUNG DES IS

Die Kurdischen Volks-/Frauenverteidungseinheiten YPG/YPJ waren als Teil der SDF (Syrian Democratic Forces / Demokratische Kräfte Syriens) maßgeblich an der territorialen Befreiung Syriens vom IS beteiligt. Der IS hat jedoch in ehemals von Dschihadisten besetzen Gebieten eine Ideologie hinterlassen, die weiterhin aufgearbeitet und bekämpft werden muss. Im Falle eines Wiedererstarkens des Daesh (IS), dem Fortbestand autoritärer Regime in Kurdistan und weiterer neoko-lonialistischer Ausbeutung der Region, würde die Situation in Syrien jedoch umso anfälliger für fundamentalistische Bewegungen. Dagegen schafft das demokrati-sche Projekt in Rojava gesellschaftliche Voraussetzungen für eine emanzipatori-sche Praxis, friedliche und demokratische Austragung sozialer Konflikte und eine kritisch-analytische Haltung gegenüber Ideologien und Dogmatismus. Die von kapi-talistischen Krisen und politischem Rechtsruck erschütterte Welt befindet sich im Umbruch. Eine Lösung kann nur eine emanzipatorische Praxis bieten. Das demo-kratische Projekt in Rojava ist ein Teil davon.


5. VERSCHLECHTERUNG DER HUMANITÄREN LAGE

Lokale und internationale Beobachter*innen vor Ort beschreiben eine desaströse und höchst unsichere humanitäre Lage. Trotz des vereinbarten Waffenstillstands- abkommens sind Wohngebiete sowie Teile der zivilen Infrastruktur durch Luftan-griffe der Türkei gezielt zerstört worden. Betroffen sind Strukturen der medizini-schen, Nahrungs- und Wasserversorgung. Es findet willkürliche Ermordung von Zivilist*innen durch türkeitreue dschihadistische Söldnermilizen statt. Außerdem wurde durch ein Schweizer Institut der Einsatz von verbotenem Chemiewaffen aus weißen Phosphor durch die Türkei nachgewiesen, welche gegen Zivilist*innen ein-gesetzt wurden. Es ist zu befürchten, dass in den von der Türkei eroberten Gebie-ten weitere Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen begangen werden.


6. DEMOGRAFISCHE VERÄNDERUNG DER BEVÖLKERUNGSSTRUKTUR

Nach den UN wurden durch den Angriff der Türkei knapp 300.000 Menschen ver-trieben. Aktuell leben in Rojava ca. 2 Millionen Menschen (Stand 2018), Sollten die Pläne des türkischen Staates umgesetzt werden, also knapp 3,6 Millionen aus an-deren Teilen Syriens stammende Geflüchtete nach Rojava abgeschoben werden, ist zu erwarten, dass die gesamte Region dafür entvölkert werden muss.


7. SCHAFFEN WEITERER FLUCHTURSACHEN UND MIGRATIONSSTRÖME

Der Vernichtungskrieg der Türkei gegen die Völker in Rojava hat bereits seit der Invasion im Oktober 2019 über 300.000 Menschen in die Flucht getrieben. Bereits zuvor hat Rojava knapp zwei Millionen Binnengeflüchtete aus dem syrischen Bür-gerkrieg aufgenommen. In dem 2018 von der Türkei annektierten Êfrin geschieht bereits der demographische Wandel, den Erdogan auch für den Rest der kurdi-schen Region im Norden und Osten Syriens geplant hat: Die Türkei lässt neu an-gesiedelte Dschihadisten und Türkische Soldaten ein Islamistisches Kalifat errich-ten, in welchem die Gesetze der Sharia gelten. Die Menschen, welche nicht aus Êfrin fliehen konnten oder wollten, sind der Unterdrückung und Gewalt der selbster-nannten „Gotteskrieger“ ausgesetzt. Jeden Tag verschwinden Menschen, Frauen und Kinder werden versklavt und misshandelt. Alle Errungenschaften der Revolu-tion und kulturelles Welterbe werden systematisch zerstört. (Oftmals arabische) Geflüchtete aus dem syrischen Bürgerkrieg werden von der Türkei aus nach Êfrin zwangsdeportiert und umgesiedelt – in eine Region, welche durch den Krieg infra-strukturell sowie sicherheitsmäßig weitgehend destabilisiert ist.

Die kriegerische Innen- und Außenpolitik der Türkei, welche seit Beginn der Inva-sion in Syrien (Oktober 2019) auch wieder massiv gegen die kurdische Bevölke-rung im eigenen Staatsgebiet (Nordkurdistan / Bakur) vorgeht, treibt Hunderttau-sende in die Flucht. Die Europäische Union zeigt kaum Reaktionen und scheint auch weiterhin auf die eurozentristische Abschottungspolitik zu setzen. Insbeson-dere in Europa, das derart rasanten Zuwachs rechtspopulistischer und faschisti-scher Bewegungen erlebt, werden dadurch bestehende rechte Strukturen befeuert. Der Rechtsterrorismus wird in Europa voraussichtlich zunehmen, wenn weiterhin rechten Stimmen und rassistischem Denken in die Hände gespielt wird.


8. BEDROHUNG DER FRAUENBEWEGUNG: VERSCHLECHTERUNG DER SITUATION VON FRAUEN UND MINDERHEITEN

Es ist zu befürchten, dass die Zerstörung der in Rojava aufgebauten Strukturen der Selbstverwaltung, worin Frauen, sowie ethnische und religiöse Minderheiten eine besondere politische Rolle einnehmen, eine Verschlechterung der Situation dersel-ben hervorrufen wird. Die von Frauenorganisationen als höchst frauenfeindlich be-schriebene patriarchale Gesellschaftsordnung in Syrien und der Türkei wird weitge-henden Einfluss auf die Sicherheit von Frauen in Nordsyrien haben. Zudem ist das potenzielle Wiedererstarken des IS eine Gefahr, die insbesondere für Frauen* und Minderheiten eine existenzielle Bedrohung darstellt. Durch die Destabilisierung der Region wird die konfliktträchtige Situation in Syrien eine Fortsetzung des Kriegszu-standes im Land zur Folge haben. Zahlreiche Studien bestätigen, dass insbeson-dere die Sicherheit von Frauen* in Kriegssituationen am stärksten gefährdet ist. Zudem steht der Angriff auf feministische Ideen und Errungenschaften im Zeichen der Angriffe auf das Selbstbestimmungsrecht der Frauen durch rückständige Kräfte weltweit – sei es der Angriff auf die Strukturen der Selbstverwaltung in Rojava, die Zwangsehen minderjähriger Mädchen in der Türkei, das Abtreibungsgesetz in Eu-ropa oder die täglichen Morde an Frauen* weltweit.


9. WIEDERERSTARKEN DES IS

Anhand der Analyse zahlreicher Dokumentationen über die Unterstützung des IS durch den türkischen Staat lässt sich vermuten, dass es zahlreiche aktivierbare IS-Schläferzellen gibt, die in einer günstigen Situation wie z.B. durch die türkische Kontrolle über Nordsyrien zum Wiedererstarken des IS führen könnten. Diese Be-fürchtung hat sich in Ansätzen bereits bestätigt: laut Rojava Information Center haben seit dem 9. Oktober 2019 Anschläge der IS-Schläferzellen in nordsyrischen Städten rasant zugenommen. Hinzu kommen die in der Föderation (Rojava) inhaf-tierten IS-Kämpfer und deren Familien. Im Zuge der türkischen Invasion wurden nicht nur permanent Dschihadisten über die türkische Grenze nach Syrien ge-schleust, von türkischen Soldaten ausgebildet und mit schweren Waffen versorgt, sondern auch Camps und Gefängnisse in Rojava bombardiert, um IS-Kämpfer zu befreien. Bisher konnten aufgrund der türkischen Luftschläge hunderte Islamisten fliehen.

Reorganisierung des IS unter MIT-Schirmherrschaft, ANF Februar 2020
https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/reorganisierung-des-is-unter-mit-schirmherrschaft-17278

All dies stellt nicht nur für die Zivilbevölkerung in Syrien und ganz Kurdistan eine lebensbedrohliche Situation dar, sondern hat auch für die gesamte Welt schwer-wiegende Folgen. Weitere militärische Einsätze in bedrohten Regionen, konkrete terroristische Gefahr durch den Islamischen Staat im Verlauf einer weltweiten Ausbreitung und ein umfassender Ausbau der Überwachungsapparate europäi-scher Staaten sind nur einige davon.


10. RÜCKKEHR UND FORTBESTAND AUTORITÄRER REGIME

Vom aktuellen Angriffskrieg in Syrien profitieren vor allem höchst autokratische, autoritäre und militaristische Regime wie die von Erdogan (Türkei), Chamenei (Iran), Assad (Syrien) und Putin (Russland). Durch den Rückzug der USA, sowie weitgehendes Fernbleiben der EU aus dem Konflikt, entsteht eine neue multipolare Weltordnung, die zur Folge haben wird, dass immer mehr rückständige politische Kräfte Bestätigung der internationalen Gemeinschaft finden und die Schicksale der Weltgemeinschaft bestimmen werden. Diese Entwicklungen werden zwangsläufig weiteren Widerstand der unterdrückten Bevölkerung verursachen. Der Fortbestand geduldeter kapitalistischer und neo-kolonialer Ausbeutung der Region durch repres-sive Regierungen würde die Situation in Syrien politisch und ökonomisch weiter destabilisieren und sie umso anfälliger für fundamentalistische Gedanken machen.


11. WELTWEITES ERSTARKEN DES FASCHISMUS

Im Zusammenhang mit der Stabilisierung autoritärer Regime in Westasien muss insbesondere kritisiert werden, dass in einer Welt, in der selbst vermeintlich demo-kratische Staaten völkerrechtswidrigen Kriegseinsätzen nicht mit Widerspruch be-gegnen, da dem wirtschaftlichen Wachstum und den Umsatzbedürfnissen globaler Konzerne mehr Relevanz zugesprochen wird als Menschenleben und fundamen-talen Menschenrechten, der Faschismus immer mehr Bestätigung finden wird. Allein am Beispiel der Zusammenarbeit der BRD mit der Türkei wird diese politi-sche Linie deutlich. Die Rückwirkung einer solchen Kooperation äußert sich auch in der Menschenrechtssituation in der BRD und Europa, indem Meinungsfreiheit ein-geschränkt wird, staatliche Überwachungsapparate weiter ausgebaut werden, Poli-zei uneingeschränkte Befugnisse erhält, emanzipatorischen Bewegungen mit zu-nehmender Repression begegnet wird und Schutzsuchende an Europas Grenzen sterben gelassen oder in Kriegsgebiete abgeschoben werden.


12. EINE UTOPIE WENIGER

Die Bedeutung alternativer gesellschaftlicher Projekte jenseits von Staat und Nation ist vor dem Hintergrund sozialer, ökologischer und ökonomischer Konflikte weltweit höher denn je. Durch die Akzeptanz der Angriffe auf das demokratische Projekt in Rojava nimmt sich die Menschheit selbst die Möglichkeit, eine praktikable Lösung zu suchen, für einen gemeinschaftlichen Ausweg aus dem Patriarchat, der kapita-listischen Krise und nationalstaatlicher Abhängigkeit.

Rojava ist eine konkrete Utopie, die verteidigt werden muss!
People Defend Rojava!

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