Chronologie des Krieges in Nord- und Ost-Syrien und der Revolution in Rojava (2018 – 2020)


Zu allen Abkürzungen und Namen von Organisationen findet ihr eine kurze Beschreibung in der Übersicht zu kurdischen Organisationen und anderen Parteien in Kurdistan oder in der Übersicht zu faschistischen Organisationen in Kurdistan.


JANUAR 2018

Nach mehrmaligen Drohungen und Bombardements fielen islamistische Milizen
mit Hilfe der türkischen Armee und Luftwaffe am 20. Januar in das bis dahin vom Bürgerkrieg nahezu verschont gebliebene Efrîn ein. Damit begann die türkische Militäroperation mit den zynischen Namen „Olivenzweig“. Am 25. Januar rief die Selbstverwaltung des Kantons das syrische Regime auf, seine Grenzen gegen
die türkischen Angreifer zu schützen. Trotz schwerster Bombardierungen
schafften es YPG und YPJ größere Landgewinne der islamistischen und türkischen Truppen zu verhindern.


FEBRUAR UND MÄRZ 2018

Die SDF unterbrachen die Offensive in Richtung Deir ez Zor und verlegte große Teile ihrer Truppen nach Efrîn und Minbic. Der türkische Staat verschaffte mit seinem Angriff auf Êfrin DAIŞ eine Galgenfrist, die tausende IS-Kämpfer nutzten um unterzutauchen, ins Ausland zu gehen oder Schläferzellen aufzubauen,
welche teilweise noch heute existieren.

Turkish-backed FSA fighters hold Turkish national flag and FSA flags at a checkpoint in Azaz on a road leading to Afrin (01.02.2018)

Nach intensiven Kämpfen, in denen die schwer bewaffnete türkische Armee permanent von der Luftwaffe und zehntausenden jihadistischen Söldnern unter-stützt wurde, konnten die Invasionsstreitkräfte schließlich am 18. März die Kon-trolle über ganz Afrîn übernehmen. Mehrere Hunderttausend Menschen flohen in die Region Şahba und andere Teile von Nordsyrien. Man kann davon ausgehen, dass sowohl die USA als auch Russland dem Einmarsch zugestimmt hatten. Während Russland offenbar den Riss zwischen der Türkei und den USA vertiefen und dabei die NATO schwächen will, wollen die USA Erdoğan bei der Stange halten und die Demokratische Föderation zumindest teilweise von sich abhängig machen.

Die YPG und YPJ sowie die Bevölkerung von Afrîn leisteten 58 Tage einen histori-schen Widerstand. Wohl kein Staat der Region hätte so lange einer türkischen Militäraggression standhalten können. Nachdem die äußeren Verteidigungslinien im Gebirge zusammengebrochen waren und international keinerlei Unterstützung zu erwarten war, entschieden sich die YPG und YPJ dazu, sich aus der Stadt zurück-zuziehen. Die türkische Armee war inzwischen dazu übergegangen, zivile Einrich-tungen, u.a. das Krankenhaus von Afrîn, gezielt zu bombardieren, wo hunderte Verletzte untergebracht waren. Erdoğan erklärte wiederholt, dass die Operation auf den gesamten Norden Syriens ausgedehnt werden würde, als auch auf die anderen Kantone Rojavas – mit der Perspektive, sogar in den Irak einzumarschieren. Auch Luftschläge gegen die ezidische Region Şengal und den Nordirak riefen keine internationalen Proteste hervor.

25 ezidische Dörfer in Afrîn wurden durch die Besatzung der Türkei und ihrer Verbündeten im Frühjahr 2018 weitgehend entvölkert. Es war das letzte zusam-menhängende Siedlungsgebiet von Ezid*innen in Syrien. Die Afrîn-Besetzung durch die türkische Armee im März 2018 hat die meisten Ezid*innen in die Flucht getrieben. Die SOHR (Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte) meldete fast täglich Verstöße gegen die Menschenrechtskonvention durch die islamisti-schen Milizen und belegte diese mit Videos aus den Sozialen Netzwerken, in denen auch immer wieder türkische Militäruniformen auftauchen. Die türkische Regierung schweigt zu diesem Thema.

Am 24. Feburar beschloss der UN-Sicherheitsrat einstimmig einen 30 Tage dauernden Waffenstillstand, von dem der IS, die al-Nusra-Front, al-Qaida und mit ihr verbündete Gruppierungen, sowie andere vom UN-Sicherheitsrat festgelegte Terrororganisationen, ausgenommen waren. Die Türkei kündigte unterdessen an, ihre Militäroffensive trotz der UNO-Resolution fortzusetzen. Am 13. März standen die türkischen Truppen an der Stadtgrenze von Efrîn. Sie kappten die Wasser und Stromversorgung der Stadt. Ab dem 14. März begann die Evakuierung der Stadt-bevölkerung. Am 18. März zogen sich alle in der Stadt verbliebenen SDF-Kämpfer*innen zurück. Der Co-Vorsitzende der Regionalverwaltung des Kantons verkündet in einer Fernsehansprache den Guerilla-Krieg, der andauern wird, bis sich alle Besatzer aus Efrîn zurückgezogen haben.


MAI BIS OKTOBER 2018

Die „Befreiungskräfte Efrîns“ (HRE) gründeten sich und führen bis heute einen erfolgreichen Guerilla-Krieg gegen die Besatzungstruppen in Efrîn.

Logo der HRE

Im Sommer 2018 haben die DFNS und der MSD mit der syrischen Regierung die bisher umfassendsten Gespräche über einen Frieden und eine politische Lösung in Syrien begonnen. Ohne eine Übereinkunft, dessen sind sich beide Seiten bewusst, kann sich der Krieg weitere Jahre in die Länge ziehen – mit ungewissem Ausgang. Diesen Gesprächen stellen sich die USA und Russland offenbar nicht entgegen, während die Türkei dies verhindern möchte. Ob es wirklich zu einem Friedens-schluss kommt, ist angesichts der vielen Risikofaktoren schwer abzuschätzen.

Es kam zu Gefechten mit dem Regime, wie am 8. September 2018 in Qamişlo
in der Nähe des immer noch vom syrischen Staat kontrollierten Flughafens.
Sieben Mitglieder der Sicherheitskräfte [der Autonomieverwaltung] Asayîş kamen
ums Leben als Soldaten des Regimes versuchten, kurdische Jugendliche zum Militärdienst zu zwingen.

Die Offensive gegen DAIŞ in Richtung Deir ez Zor wurde wieder aufgenommen. Nachdem Ende des Sommers die SDF nahezu das gesamte Gebiet im Norden der Stadt Deir ez Zor vom IS befreit hatten und dieser die Stadt im Süden kaum noch gegen die Regime-Truppen halten konnte, griff die Türkei in der Region um Kobanê an. Dadurch brach die SDF die Offensive abermals ab um sich auf eine mögliche türkische Invasion vorzubereiten.

Am 15. August 2018 wurde Zekî Şengalî aus der Leitung der YBŞ
(Widerstandseinheiten Şengal) im nordirakischen Şengal Ziel des Angriffs
einer türkischen Bayraktar TB2 Drohne.

Sehid Zekî Şengalî

ANF: PKK-Erklärung zum Anschlag auf Zekî Şengalî


DEZEMBER 2018

Am 12. Dezember gab die Türkei bekannt, unter Billigung US-amerikanischer Verluste in die Gebiete der Autonomieverwaltung östlich des Euphrat ein-marschieren zu wollen.

Am 14. Dezember meldeten die SDF die Eroberung von Hadschin, der letzten größeren Ortschaft in Syrien, die noch unter Kontrolle der Terrorgruppe IS stand.


FEBRUAR UND MÄRZ 2019

Nachdem in der Region mehr als 20.000 Zivilisten evakuiert worden waren, starteten die SDF mit US-Unterstützung am 9. Februar eine Offensive gegen die letzten verbliebenen IS-Stellungen mit Schwerpunkt im Ort al-Baghuz Fawqani. Am 16. Februar nahmen die SDF das Dorf al-Baghuz Fawqani ein und reduzierten somit das letzte verbliebene Gebiet in Syrien, das unter Kontrolle von DAIŞ
stand, auf eine Fläche von 5 km².

Am 19. Februar unterbrachen die SDF ihre Offensive, um Kämpfern und
Zivilisten die Möglichkeit zur Aufgabe zu bieten. Am 6. März gaben etwa 2000
IS-Kämpfer und ihre Familien auf und ließen sich von der SDF festnehmen. Dazu konnten dutzende Jesid*innen befreit werden, die von DAIŞ als Sklav*innen gehalten worden waren. Am 13. März ergaben sich weitere 3000 Kämpfer
und ihre Familien der SDF.

Am 19. März drangen SDF-Kämpfer*innen auf das Gelände mit der Zeltstadt
vor, das DAIŞ-Kämpfer bis zuletzt verteidigt hatten. Die folgenden Tage kam es
nur noch zu einzelnen Schusswechseln in dem verzweigten Tunnelsystem,
welches der IS angelegt hatte.

Am 21. März, dem kurdischen Newroz-Fest, welches den höchsten Feiertag in der kurdischen Kultur und generell ein wichtiges Datum in Mesopotamien darstellt, konnten die SDF den territorialen Sieg über den „Islamischen Staat“ feiern.


SOMMER 2019

Türkische Agenten legten fast täglich Brände in Weizenfeldern und zerstörten
somit über die Hälfte der Getreideernte. In Efrîn brannten türkische Agenten
tausende Olivenbäume nieder, passend zum Namen des Angriffs auf Efrîn (Operation „Olivenzweig“).

Die Antiterroreinheit der SDF nahmen über 50 Islamisten von
DAIŞ-Schläferzellen gefangen.


9. OKTOBER 2019

Der türkische Staat begann mit Hilfe der aus islamistischen und faschistischen Milizen bestehenden SNA („Syrische National-Armee“) die militärische Invasion „Operation Friedensquelle“ zwischen Girê Spî und Serêkaniyê, nachdem zwei
Tage zuvor der Abzug der dort stationierten US-Truppen begann.

Unter türkischem Oberbefehl nach Nordsyrien entsandte sunnitische Milizen präsentieren im Oktober 2019 die FSA Flagge.


OKTOBER BIS DEZEMBER 2019

Bis zum 12. Oktober haben die türkischen Truppen und ihre Proxys Serêkaniyê und 14 Dörfer eingenommen. Am 13. Oktober eroberten die SDF Serêkaniyê zurück. Am 22. Oktober handelte der russische Präsident mit der AKP-Führung einen Waffenstillstand über Nordsyrien aus. Das Abkommen von Sotschi umfasst den Rückzug der SDF und die Besatzung des Gebietes von Girê Spî bis Serêkaniyê auf eine Tiefe von 30 km durch die Türkei. Am 24. Oktober ziehen sich die letzten SDF-Kämpfer*innen aus Serêkaniyê zurück, um der Einkesselung zu entgehen. Die wichtige Verkehrsstraße „M4“ bleibt durch den entschlossenen Widerstand der SDF unter Kontrolle der Autonomieverwaltung.

Aus dem Gefängnis-Lager Ain Issa flohen mehrere Hundert Frauen, die DAIŞ angehören, mit ihren Kindern.

Die Autonomieverwaltung vereinbarte mit dem Syrischen Regime, dass Regime-Truppen in Kobanê und Minbic zur Sicherung der Grenze und für den Kampf gegen die türkischen Truppen stationiert werden dürfen. Einen Tag später übernahmen die Truppen des Regimes die US-Kasernen in den beiden Städten.

In der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober töten Einheiten der Delta Force zusammen mit Kräften der Antiterror-Einheit der SDF, welche auch die Vor- und Recherchearbeit machten, den „Kalifen des DAIŞ“ Abu Bakr al-Baghdadi.

Die vereinbarte Waffenruhe ist de facto nie in Kraft getreten und so gehen die Angriffe der SNA-Milizen täglich weiter. Infolge der Angriffe sind schätzungsweise 2000 IS-Kämpfer aus mehreren Gefängnissen ausgebrochen und DAIŞ fängt an sich zu reorganisieren. Ab Mitte November kam es täglich zu neuen Anschlägen des IS in Syrien und dem Irak. Die Gefechte um Til-Temir, Ain Issa und südlich von Serêkaniyê zwischen der SNA und der SDF gehen weiter.


JANUAR 2020

Die Gefechte um Til-Temir, Ain Issa und um die Handelsroute M4 gehen weiter. Nahezu 400.000 Binnenflüchtlinge sind durch die türkische Invasion in andere Teile Nord- und Ost-Syriens geflohen. Ca. 600 Zivilisten*innen sind durch die Angriffe der türkischen Armee und die SNA-Truppen umgekommen. Dutzende Schulen und Krankenhäuser wurden durch die türkische Luftwaffe bis zur Vernichtung bombar-diert. Die Trinkwasserversorgung ist in vielen Gebieten zerstört oder nur einge-schränkt möglich. In den besetzten Gebieten herrscht die SNA mit türkischen Beamten und die islamistische Auslegung der Sharia ist als Rechtsprechung eingeführt worden. Alle Errungenschaften der Revolution, wie etwa für die Gleich-stellung der Frau sind abgeschafft worden. Die Selbstverwaltung wird nicht zugelassen. Es kommt, wie in Efrîn, täglich zu Plünderungen, Entführungen mit Lösegelderpressungen, Versklavungen, sexueller Gewalt, Hinrichtungen und Schaustellung von Leichen oder Körperteilen.