Chronologie des Krieges in Nord- und Ost-Syrien und der Revolution in Rojava (2013)


Zu allen Abkürzungen und Namen von Organisationen findet ihr eine kurze Beschreibung in der Übersicht zu kurdischen Organisationen und anderen Parteien in Kurdistan oder in der Übersicht zu faschistischen Organisationen in Kurdistan.


JANUAR 2013

Am 8. Januar 2013 wurde der MFS (Militärrat der Suryoye) gegründet. Er ist von Anfang an Teil der SDF und operiert überwiegend in den von Suryoye bevölkerten Gegenden. Im Jahr 2013 entstanden auch die ersten Wirtschaftskooperativen in Rojava. Ein Jahr später nahm deren Zahl sprunghaft zu.


FEBRUAR 2013

Am 23. Februar wurden die Frauenselbstverteidigungseinheiten YPJ gegründet.

YPJ (Symbolbild)


FRÜHLING 2013

Rojava ist Ziel verschiedener islamischer Gruppen geworden, deren Angriffe die YPG/YPJ nur mühselig abwehren können. Während generell zwischen DAIŞ,
al-Nusra und FSA im Jahr 2013 ein Konkurrenzverhältnis zu herrschen schien, war ihre gemeinsame Politik gegen Rojava gerichtet.

Die seit 2011 in den, mehrheitlich von Kurd*innen bewohnten, nördlichen Stadtteilen von Aleppo aufgebauten räte- und basisdemokratischen Strukturen, wurden nach bewaffneten Angriffen des syrischen Staates und der Freien Syrischen Armee (FSA) 2013 in großem Maße zurückgedrängt. Im März beschlossen die Räte-strukturen zum ersten Mal seit Jahrzehnten, Newroz nicht groß zu feiern, denn alle Menschenansammlungen wurden vom Staat bombardiert. Sowohl der Staat als auch die FSA gingen zu größeren Angriffen über, um die Schlacht von Aleppo für sich zu entscheiden. Das neutrale Verhalten der Kurd*innen und YPG/YPJ störte beide Kräfte. Die Rätestrukturen wollten sich jedoch von beiden Seiten nicht instrumentalisieren lassen und widersetzten sich. Nach den Angriffen auf die Kommune von Aleppo mussten im April schließlich ein Großteil der Bevölkerung nach Efrîn evakuiert werden.

Im Kanton Cizîrê überrannten Islamisten der al-Nusra-Front im März 2013 die Stadt Til Koçer und die umliegenden Dörfer. Sie besetzten die Stadt mit der wichtigen Grenzstation zum Irak und vertrieben die überwiegend arabische Bevölkerung. Die Menschen flohen in die kurdischen Städte Dêrîk, Qamişlo und Rimelan. Die örtliche Bevölkerung in den Städten des Kantons Cizîrê brachte die Geflüchteten in Schulen, Moscheen, Kirchen oder den Volkshäusern der neu aufgebauten Basisorganisationen der kurdischen Bewegung TEV-DEM unter. Til Koçer und die umliegenden Dörfer wurden zum Zentrum der islamistischen Banden, es kam zu grausamen Exzessen. Leichen mit abgeschnittenen Köpfen tauchten regelmäßig in Internetvideos auf.

Von Januar bis Juni 2013 war Serêkaniyê von Islamisten der al-Nusra-Front besetzt. In diesen Monaten erfolgten heftige Auseinandersetzungen, die von einem Waffenstillstand abgelöst wurden. 35 YPG/YPJ Kämpfer*innen kamen ums Leben. Nach fünf solchen Phasen von Waffenstillstand und offenem Krieg waren die YPG/YPJ schließlich so stark geworden, dass sie zusammen mit der bewaffneten Bevölkerung im Juni 2013 al-Nusra sowie mit ihnen verbündete Banden aus den Reihen der FSA aus der Stadt jagen konnten.

Nach monatelangen Protesten in Nord-Kurdistan – insbesondere in Nisebîn (Nusaybin) – konnten ab Frühjahr 2013 über die offiziellen türkisch-syrischen Grenzübergänge in regelmäßigen Abständen Medizin eingeführt werden.


JULI UND AUGUST 2013

Erdoğans neo-osmanisches Projekt war primär an die von Qatar unterstützte Muslimbruderschaft gebunden. Anfang Juli wurde der ägyptischen Staats-präsident Mursi durch einen Militärputsch von der Macht vertrieben. Dies schwächte die Position der Muslimbruderschaft und der Türkei im Mittleren Osten im Allgemeinen.

Am 23. Juli 2013 genehmigte der US-Kongress Waffenlieferungen an die FSA.

Im Sommer 2013, dem ersten Jahrestag der Revolution, begann der Krieg. Unterstützt von der Türkei griffen die al-Nusra-Front, al-Qaida und Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA) zunächst Serêkaniyê, in der Folge aber auch andere Orte in Afrîn, Kobanî und Hesekê an. Die Dschihadisten nahmen den südlichen Teil der Provinz al Hasaka und Serêkaniyê ein.
In der Region Hesekê wurde im Sommer 2013 eine große Anzahl armenischer Frauen vom IS entführt, vergewaltigt und ermordet. In dieser Region haben Kurd*innen, Araber*innen, Christ*innen, Drus*innen, Sunnit*innen und Alawit*innen friedlich miteinander gelebt. Die radikalislamischen Gruppen griffen zugleich auch dieses friedliche Zusammenleben an. Unter der islamistischen Besatzung litten besonders die Suryoye. Geschäftsleute, Nonnen, Bischöfe und bekannte Persön-lichkeiten wurden gekidnappt und ermordet, daraufhin setzte eine Massenflucht in Richtung Türkei und Europa ein. Die verbliebenen Suryoye schlossen sich größtenteils der TEV-DEM an.

Zwischen dem 31. Juli und dem 1. August 2013 verübten Mitglieder der FSA und al-Nusra zusammen mit der kurdischen Azadî-Brigade, die zur im Kurdischen Nationalrat vertretenen Azadî-Partei gehört, ein Massaker an der Bevölkerung der Dörfer Til Hasil und Til Haran bei Aleppo. Legitimiert wurde der Anschlag Berichten von Augenzeugen zufolge dadurch, dass die Opfer der linken, kurdischen PYD („Partei der demokratischen Union“) naheständen. Die Dschihadisten umstellten Til Hasil und Til Haran, niemand konnte den Ort verlassen. Sie haben Frauen entführt, gefoltert und vergewaltigt, Häuser geplündert, sogar die Kinder getötet. Selbst auf fliehende Zivilist*innen eröffneten Scharfschützen das Feuer. Diesem Massaker fielen etwa 70 Personen zum Opfer, Hunderte wurden entführt.

Nachdem die starken Angriffe von islamistischen und anderen bewaffneten oppositionellen Gruppen, aber auch von Teilen der FSA, auf Afrîn im Sommer und Herbst 2013 abgewehrt wurden, und DAIŞ alle nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen Ende 2013 in einem großen Gebiet nördlich von Aleppo zurückgedrängt hatte, änderte sich einiges in der Konstellation dieser Region. Die Rätestrukturen in Afrîn und die Verteidigung hatten weiter an Stärke und Stabilität gewonnen.

Im August 2013 begann der Siegeszug des IS im Irak und in Syrien.


OKTOBER 2013

Ende Oktober fiel Til Koçer (Serêkaniyê) in die Hände der YPG/YPJ. Die Islamisten hatten die Zugänge zur Stadt Til Koçer vermint, aber die YPG- und YPJ-Einheiten rückten in der Dunkelheit vor und entschärften die Minen. Bewohner*innen der Region führten die vorstoßenden Truppen in die Gegend. Mitglieder der arabischen Şammar kämpften Seite an Seite mit den Volks- und Frauenverteidigungs-einheiten. Insgesamt dauerte die Befreiungsaktion zehn Tage. Die Banden flohen und ließen einige Panzer, schwere Artillerie, Autos und anderes Kriegsmaterial zurück. Mit der Befreiung von Til Koçer gewannen die YPG und YPJ die Herzen der Bewohner*innen, viele schlossen sich ihnen an. Alle erklärten, ihr Land verteidigen zu wollen, egal ob Kurd*innen, Araber*innen, Suryoye oder Ezid*innen.


NOVEMBER 2013

Til Xelef (Serêkaniyê) wurde im November durch die YPG/YPJ von dschihadistischer Besatzung befreit.

Rojava erhielt 2013 in keiner Weise internationale politische oder
anderweitige Unterstützung.

Chronologie des Krieges in Nord- und Ost-Syrien und der Revolution in Rojava (2012)


Zu allen Abkürzungen und Namen von Organisationen findet ihr eine kurze Beschreibung in der Übersicht zu kurdischen Organisationen und anderen Parteien in Kurdistan oder in der Übersicht zu faschistischen Organisationen in Kurdistan.


FRÜHJAHR 2012

Im Frühjahr nahm die Angst in den kurdischen Stadtteilen Aleppos vor Angriffen anderer Kräfte zu. Manchmal schossen Soldaten des Baath-Regimes oder die FSA ohne Vorwarnung wahllos in die Stadtteile hinein und es kam zu Toten und Verletzten.

So begannen die Menschen, mittels der Rätestrukturen einen Teil der Jugendlichen zu bewaffnen. Im Jahr 2012 kehrten viele Aktivist*innen aus Rojava, die zuvor in der PKK oder der PAJK aktiv gewesen waren, zurück und unterstützten den Aufbau der Volksverteidigungseinheiten YPG.


JUNI 2012

Das Ökonomiekomitee der Frauenbewegung Kongreya Star versammelte sich erstmals im Juni 2012 in Qamişlo. Infolge eines Beschlusses dieser Versammlung wurden in allen Städten Frauenwirtschaftskomitees aufgebaut, welche die Gründung von Frauenkooperativen unterstützen und daran mitwirken. Somit wird Frauen in Rojava die Möglichkeit eröffnet, sich aus oftmals patriarchal-feudal geprägten Familienstrukturen heraus wirtschaftlich mehr Selbstbestimmung einzuräumen.


JULI 2012

Mit der großen Angriffswelle der FSA und anderer oppositioneller bewaffneter Kräfte im Juli 2012 änderte sich die Lage fast schlagartig. Parallel zum Angriff auf Damaskus wurde nun auch Aleppo zur Zielscheibe. Die Rebellen der FSA drangen aus den umliegenden ländlichen Gebieten in mehrere (meist sunnitisch-arabische) Stadtteile ein und begannen, diese zu kontrollieren. In den kommenden Tagen wurden an allen Einfahrten zu Aşrafiye, Şêx Maqsud, Midan und Haydariye Straßensperren aufgestellt, die von bewaffneten YPG Kämpfer*innen bewacht wurden. Diese konnten nun das unkontrollierte Eindringen sowohl der Kräfte der FSA als auch des Regimes verhindern. Die Zahl der YPG-Einheiten stieg in wenigen Wochen von wenigen Hundert auf eine vierstellige Zahl.

Der Prozess der radikalen Demokratisierung Rojavas, also die Übergabe der Souveränität an die Bevölkerung, beginnt am 19. Juli 2012, als der Volksaufstand in Kobanî losbricht. Als am 18. Juli 2012 die FSA und andere syrische bewaffnete Organisationen Damaskus und Aleppo angriffen, griff erstere auch den Ort Şexler im Westen Kobanîs an. Innerhalb von wenigen Stunden trafen die TEV-DEM und YPG die Entscheidung, insbesondere Kobanî und Afrîn, aber auch andere Städte in Rojava vom Assad-Regime zu befreien.

In der Nacht vom 18. auf den 19. Juli brachten die Volksverteidigungskräfte der YPG die Zufahrtsstraßen von Kobanî unter ihre Kontrolle. Die Bevölkerung begann zeitgleich alle staatlichen Institutionen der Stadt einzunehmen und zu belagern. Schließlich versammelte sich die Bevölkerung vor dem Militärstützpunkt der Assad-Armee in Kobanî. Eine Delegation aus der Bevölkerung verhandelte mit den Militärs. Sie sollten ihre Waffen abgeben und man werde für ihre Sicherheit garantieren, war das Angebot der kurdischen Seite. Angesichts der Ausweglosigkeit gegenüber den Volksmassen willigten die Soldaten ein. Die TEV-DEM wurde dadurch die politisch bestimmende Kraft in den befreiten Orten. Nun musste sie mit ihren diversen Strukturen die Grundversorgung sicherstellen, ein mögliches Chaos abwenden und anschließend für die gesellschaftlichen Fragen Lösungen entwickeln. Die Bevölkerung beginnt mit dem Aufbau von multiidentitären Räten, Gerichten, Sicherheitskräften, Militäreinheiten, Frauenorganisationen und einer kooperativen Ökonomie. Von Kobanî aus weitete sich die Revolution in den darauffolgenden Tagen auf weitere Städte Westkurdistans aus.

Nach der im Juli 2012 begonnenen Revolution in Rojava wurden die befreiten Gebiete vom türkischen Staat, den islamistischen Terrorgruppen wie IS und al-Nusra und auch der südkurdischen Regionalregierung mit einem systematischen Embargo belegt. Dies wirkt sich auf die medizinische Versorgung von vielen Hundertausenden Menschen innerhalb Rojavas dramatisch aus.


19. AUGUST 2012

In Aleppo gab es Verhandlungen mit der FSA, in deren Folge sie sich von Şêx Maqsud nach Aşrafiye zurückziehen sollten. Beim Ramadan-Fest am 19. August demonstrierten über 3.000 Menschen für diese Forderung. Doch die FSA schoss von Gebäuden auf die Bevölkerung. Daraufhin griff die YPG ein; es kam zu stundenlangen Kämpfen. Bei diesem Massaker wurden 13 Zivilist*innen getötet. Auch mehrere FSA-Kämpfer starben. Dieser Tag stellte eine Zäsur dar, um sich fortan besser politisch und militärisch zu organisieren.


SOMMER UND HERBST 2012

Weitere kurdische Orte folgen den Beispiel von Kobanê, darunter Amûdê, Derbesiye, Serêkaniyê, Tirbespiyê, Girkê Legê, Dêrik und Efrîn. In Aleppo übernehmen die YPG die Kontrolle über zwei kurdische Stadtteile. Die PYD („Partei der demokratischen Union“) und die Zivilgesellschaft beginnen mit dem Aufbau provisorischer Volksräte zur Verwaltung der befreiten Gebiete. Die Prinzipien des demokratischen Konföderalismus werden eingeführt.


NOVEMBER 2012

Im November 2012 überschritten etwa 3.000 schwerbewaffnete Kämpfer von Al-Qaida, der al-Nusra-Front des „IS“ (DAIŞ) und der FSA die türkische Grenze nach Serêkaniyê und besetzten nach viertägigen Kämpfen die Stadt – zu einer Zeit, in der die deutsche Bundeswehr in Nordkurdistan auf Syrien gerichtete Patriot-Raketen stationiert hat. Ziel der Angriffe auf die Stadt war es, nach Qamişlo vorzudringen und so die Selbstverwaltung des Kantons Cizîrê zu Fall zu bringen.
Zu diesem Zeitpunkt waren nur 39 Kämpfer*innen der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG in Serêkaniyê. Die YPG entschieden sich zunächst, Zurückhaltung zu üben, da sie nicht auf der Seite des Regimes im Kampf gegen die FSA gesehen werden wollten. Der syrische Staat zog sich jedoch zurück. Große Teile der Bevölkerung waren geflohen. Über den Rest errichtete die al-Nusra-Front eine Terrorherrschaft nach islamistischer Auslegung der Sharia-Gesetze. Vermeintliche und reale Anhänger*innen des Regimes wurden öffentlich hingerichtet, die Bevölkerung wurde drangsaliert und misshandelt. Es kam zu Massakern und Verwüstungen. An vielen Wänden stand, teilweise in Blut, geschrieben: »Wir sind gekommen, um zu schlachten.« Nur das östlichste Viertel von Serêkaniyê, Sinah, leistete weiter entschlossen Widerstand. Am 18. November kam es zu einem Angriff von al-Nusra auf einen Kontrollpunkt der YPG, wobei die al-Nusra-Anhänger eine Fahne des Kurdischen Hohen Rates verbrannten. Daraufhin sollte es zu Gesprächen kommen, aber der Vertreter des Volksrates, Hevalê Abid, wurde bei diesem Treffen von Jihadisten ermordet. Daraufhin erklärten die YPG den Krieg gegen al-Nusra.

Chronologie des Krieges in Nord- und Ost-Syrien und der Revolution in Rojava (2011)


Zu allen Abkürzungen und Namen von Organisationen findet ihr eine kurze Beschreibung in der Übersicht zu kurdischen Organisationen und anderen Parteien in Kurdistan oder in der Übersicht zu faschistischen Organisationen in Kurdistan.


DER ARABISCHE FRÜHLING UND SYRIEN

Die Revolution in Rojava ist nicht ohne den Kontext des syrischen Aufstands von 2011 zu erklären. Anfang 2011 begannen Aufstände in zahlreichen Ländern Nord-afrikas und des Nahen und Mittleren Ostens. Die Ereignisse und Entwicklungen in der Region wurden unter der Bezeichnung »Arabischer Frühling« bekannt. Vor allem die Ereignisse in Tunesien und Ägypten können als Volksaufstände gegen
die Diktaturen im eigenen Land bezeichnet werden. Sie öffneten auch die Türen
für ähnliche Entwicklungen in den anderen Ländern der Region. Dort setzte sich
die Opposition, auf die innere Dynamik bauend, für einen demokratischen Wandel
ein, was wiederum für die umliegenden Länder zur Inspirationsquelle wurde.

In Syrien begannen die Auseinandersetzungen, als die syrische Polizei in Dara‘ā zwei Jugendliche, die Parolen gesprüht haben sollen, inhaftierte und misshandelte. Angaben zufolge wurde einer dieser Jugendlichen in Gewahrsam zu Tode gefoltert. Es kam zu Protesten und Demonstrationen, denen sich große Teile der Bevölker-ung anschlossen. Die Forderungen gingen über die Freilassung der beiden Jugendlichen hinaus. Es wurden ein Ende der Korruption, soziale Veränderungen und politische Reformen gefordert. Polizei und Geheimdienst griffen die Demonstrationen mit Waffengewalt an. Sie eröffneten das Feuer, woraufhin mehrere Demonstrant*innen starben. Die Beerdigung der Getöteten am nächsten Tag ließ eine noch größere Demonstration folgen.

Demonstrant*innen in Daraa, März 2011, Tage nach der Inhaftierung von Bashir Abazad

Diese Proteste weiteten sich über das ganze Land aus. Das Regime bemühte sich darum, zu beschwichtigen, aber die Demonstrationswelle ließ sich nicht mehr aufhalten. Die Kritik am Vorgehen in Dara‘ā fand auf allen Ebenen statt, sie kam sogar aus der regierenden Baath-Partei selbst. Der Sicherheitsapparat ließ die Situation aber weiter eskalieren und unterließ es selbst entgegen anders lautenden Befehlen nicht, auf die Demonstrant*innen zu schießen. Dieses Vorgehen trieb die Bevölkerung in einen militärischen Konflikt.


MÄRZ 2011

In Westkurdistan, das zu dieser Zeit noch vom syrischen Staat kontrolliert wurde, fanden in Kobanê und Afrin die ersten Demonstrationen gegen das Regime statt. Besonders am 12. März, in Gedenken an die Unruhen in Qamischli von 2004, bei denen das Regime mindestens 30 Menschen ermor-dete, 160 Weitere verletzte und hunderte Menschen, überwiegend Kurd*innen, verhaften ließ, gingen die Menschen auf die Straßen. Ebenso am 21. März (Newroz, wichtigster kurdischer Feiertag) demonstrierten viele Menschen in Westkurdistan gegen die Regierung. Die PKK hatte, als die Revolution in Syrien begann, schon 30 Jahre lang Organi-sierungsarbeit geleistet. Schon vor den Aufständen in Syrien gab es in den kurdi-schen Gebieten erste Räte und Komitees. Außerdem wurde damit begonnen, eine radikaldemokratische Organisierung zunächst der gesamten kurdischen Bevölker-ung von Rojava voranzutreiben. Im Aufstand gegen das Regime von 2011 zeigt sich deutlich die Stärke der Organisierung der Bevölkerung und es wird sichtbar, dass die Bevölkerungsmehrheit bereit ist, das Assad-Regime zu vertreiben.

Am 15. März wurde schließlich die Revolution in Rojava ausgerufen. Dann hat die PYD („Partei der demokratischen Union“) den Volksrat (MGRK) aufgebaut. In ganz Rojava wurden Wahlen durchgeführt und 300 Personen in den Volksrat gewählt, um die Politik von Rojava zu gestalten. Mit dem Beginn des syrischen Aufstandes im März 2011 entschied sich die PYD, in Rojava und Syrien systematisch Räte-strukturen und in den verschiedenen Sektoren der Gesellschaft Massenorgani-sationen aufzubauen. Ab 2011 gelang es binnen weniger Monate, in allen Gebieten Rojavas und in Aleppo eine relativ gut funktionierende Selbstverwaltungs-struktur zu errichten. Die Rätestrukturen bildeten sich als eine Parallelstruktur zum Staat heraus, der diese zunächst gewähren ließ.


JULI UND AUGUST 2011

Die Freie Syrische Armee (FSA) gab ihre Gründung am 29. Juli 2011 bekannt und wurde zu einem rasant wachsenden Bündnis verschiedenster Kräfte. Die FSA proklamierte kein anderes Projekt als den Sturz von Assad.

Im Juli wurde die Bewegung für eine demokratische Gesellschaft (TEV-DEM) ins Leben gerufen. Wenig später im August 2011 kamen insgesamt 300 Delegierte aus allen Gebieten Rojavas und den organisierten Teilen Syriens zusammen, um den Volksrat Westkurdistans (MGRK) zu gründen. Es wurde ein System von mehreren Ebenen, also Kommunen, Volksräten und Kommissionen mit diversen Verbin-dungen untereinander geschaffen, was als eine Kombination von Basis- und Rätedemokratie betrachtet werden konnte.

Im Sommer und Herbst 2011 schwächte sich langsam die Position des syrischen Staates in Rojava. Doch die staatliche Verwaltung organisierte immer noch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die öffentliche Daseinsvorsorge. Diesen schrittweisen Bedeutungsverlust füllte sukzessiv die TEV-DEM aus. So übernah-men die Komitees immer mehr Aufgaben in den Straßenzügen, Stadtteilen und Dörfern. Sie entwickelten sich langsam zu einer Alternative zum Staat und die Bevölkerung wandte sich zunehmend an die Räte zur Problem- und Konfliktlösung. Dies geschah zunächst vor allem in Fragen von Rechtsprechung und Sicherheit.


HERBST 2011

In Qamischli fanden größere Demonstrationen im Nachgang der Ermordung des kurdischen Politikers Maschaal Tammo (Zukunftsbewegung Syriens) statt.

Shooting claims at Syrian opposition funeral (english) euronews, Oct 8 – 2011


Syrian activists say mourners at the funeral of a murdered opposition leader came under fire in Qamishli in the north east of the country. The Syrian Observatory for Human Rights, which is based in the UK, said 50,000 people had turned out to bury Mashaal al-Tammo, a charismatic Kurdish opposition leader who was a critic of President Assad and his Kurdish rivals.

In der zweiten Hälfte des Jahres 2011 begannen sich die Gegner des Assad-Regimes verstärkt zu bewaffnen und gegen die regulären Streitkräfte zu kämpfen. Ehemalige Soldaten gründeten die besonders von der sunnitischen Mehrheit Syriens getragene Freie Syrische Armee (FSA), die sich als bewaffneter Arm der syrischen Opposition sieht. Die FSA stand von Beginn an unter starkem Einfluss westlicher und türkischer Geheimdienste und versuchte, die Dominanz über die Verteidigungskomitees in den verschiedenen syrischen Städten zu erlangen. Der Iran, die libanesische Hizbullah und Russland unterstützten gleich von Anfang das Baath-Regime. Damit wurde Syrien zu einem Austragungsort des Hegemonial-konflikts zwischen den NATO-Staaten mit ihren sunnitischen Verbündeten auf der einen Seite und Russland, China, Iran und Syrien mit ihren schiitischen Verbündeten auf der anderen Seite.

Durch die Zuspitzung der Auseinandersetzung hin zu einem Bürgerkrieg und massiven Massakern durch die syrische Regierung bekam die FSA immer stärkeren Zulauf. Nachdem sich ihr im September 2011 die Bewegung
Freier Offiziere angeschlossen hatte, war die FSA zur größten bewaffneten
Oppositionsbewegung geworden. Sie rekrutierte sich vor allem aus ehemaligen Militärs, aber auch aus Kämpfern aus der Türkei, Arabien, dem Maghreb und vielen anderen Regionen. Die Muslimbrüder gelten als am besten organisierte Kraft in den Reihen der FSA. Die syrische Muslimbruderschaft steht besonders stark in der Tradition des militanten Islamismus. Immer wieder war die FSA mit Angriffen seitens der syrischen Regierung niedergeschlagen worden und immer wieder ging sie als Reaktion darauf mit Massakern und Terrorakten vor.

Auch aufgrund dieser Entwicklungen gündeten einige hundert kurdische und arabische Jugendliche über ganz Rojava verteilt die „Volks-Selbstverteidigungs-Einheiten“ YXG (Yekîtiya Xweparastina Gel, Anfang 2012 Umbenennung in YPG („Volks-Verteidigungs-Einheiten“)).

YPG (Symbolbild)

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