Rojava ist Widerstand

BETEILIGUNG VON INTERNATIONALIST*INNEN IN ROJAVA

International Volunteers of the Rojava Revolution
(Unicorn Riot, Feb 2019)

In 2019, Unicorn Riot interviewed three New Yorkers who volunteered to fight alongside the Peoples’ Protection Units (YPG) and Syrian Democratic Forces against ISIS and Turkey. The documentary features their oral accounts overlaid with contributed footage from anonymous sources to bring you a first person point of view of what happened to fighters as they held the front line in defense of Rojava, an autonomous zone in northern Syria. The three men share their perspectives of what they witnessed while playing a small role in the Syrian Civil War as international volunteers for the YPG.

Foreigners Fighting ISIS in Syria: The War of Others
(VICE, April 2016, deutsch, english subtitles)

Atatürk und die Nationalsozialisten

Quelle: ANF – Atatürk und die Nazis

Türkische Handelskammer in Berlin am 26. Februar 1943


Eine blutige Operation

Schätzungsweise 50.000 kurdische Alevit*innen wurden in den Jahren 1937/38 im Zuge des Massakers in Dersim getötet – zuvor hatte die kemalistische Türkei 1937 bei den Nazis in Deutschland Giftgas eingekauft, um es gegen die rebellischen kurdischen Alevit*innen in Dersim einzusetzen. Ein geheimes Dekret über die Bestellung von 20 Tonnen chemischer Kampfstoffe wie Senfgas und Chloracetophenon nebst einer automatischen Abfüllanlage vom 7. August 1937 trägt die Unterschrift Atatürks. Die Bestellung erfolgte, nachdem die türkische Regierung in einem Geheimbeschluss eine „Endlösung“ für die Bergprovinz Dersim beschlossen hatten, deren kurdisch-alevitische Bewohner sich der von Ankara erzwungenen Türkisierung widersetzten und auf althergebrachten Autonomierechten bestanden. Schätzungsweise 50.000 kurdische Aleviten wurden in den Jahren 1937/38 in Dersim, das von der Regierung in den türkischen Namen Tunceli (Bronzefaust) umbenannt worden war, von der türkischen Armee ermordet. Dass damals auch Giftgas zum Einsatz kam, hatten Zeitzeug*innen berichtet. Auch der ehemalige türkische Außenminister Ihsan Sabri Caglayangil bestätigte in einem Tondokument den Einsatz solcher Waffen. „Sie hatten in Höhlen Zuflucht gefunden. Die Armee hat Giftgas benutzt – durch Eingänge der Höhlen. Sie wurden vergiftet wie die Ratten. Sieben- bis siebzigjährige Dersimer Kurd*innen wurden geschlachtet. Es war eine blutige Operation.“

Von türkischen Soldaten gefangen genommene Zivilist*innen in Dersim, 1937


CHP: Reflexartig Gewehr bei Fuß

Die in der ARD-Sendung („Das vergessene Massaker – Wie Kemal Atatürk Aleviten ermorden ließ„) präsentierten Dokumente mit Atatürks Unterschrift waren im Frühjahr 2019 erstmals in der Dersim Gazetesi und anschließend u.a. von Arti Gercek und Yeni Özgür Politika veröffentlicht worden, ohne aber außerhalb linker, kurdischer und alevitischer Kreise größere Wogen zu schlagen. Damals war Oberbürgermeisterwahlkampf in Istanbul und der CHP-Kandidat Ekrem Imamoglu war auf die Stimmen der kurdischen und alevitischen Wähler angewiesen. Über die Vergangenheit wurde daher von Seiten der Kemalist*innen lieber geschwiegen, um diese Wählergruppen nicht wieder zu entfremden. Derartige Rücksichtnahme ist heute, wo ein Großteil der Kemalist*innen einschließlich Imamoglu angesichts des türkischen Angriffskrieges auf die kurdische Selbstverwaltung in Nordsyrien wieder reflexartig Gewehr bei Fuß an der Seite des Staates steht, nicht mehr nötig. Stattdessen wird jetzt der antikurdische Schulterschluss zwischen Kemalist*innen aus CHP und Dogu Perinceks Vaterlandspartei, AKP-, MHP- und IYI-Anhänger*innen geprobt.

Hakenkreuze gegen Halbmond ausgetauscht

Hitler selbst war ein großer Bewunderer Atatürks und unter den Nazis gab es ein regelrechtes „Türkenfieber“. In einem Interview mit der türkischen Zeitung „Milliyet“ erklärte Hitler im Juli 1933, Atatürk sei für ihn in seiner Münchner „Kampfzeit“ ein „leuchtender Stern“ gewesen. Eine Atatürk-Büste des NS-Bildhauers Jose Thorak soll eine von Hitlers liebsten Besitztümern gewesen sein. Und 1933 veranstaltete die SA in Berlin eine Feierstunde zum zehnjährigen Bestehen der türkischen Republik.

Türkischer Armeegeneral Cemil Cahit Toydemir (Mitte) mit Adolf Hitler und Wilhelm Keitel im „Führerhauptquartier Wolfsschanze“, Juni 1943

Umgekehrt beklagte Atatürk nach Aussagen seiner Adoptivtochter Sabiha Gökcen im Jahr 1937, dass Hitler ein „Rassist“ sei. „Er ist ein Wahnsinniger, der die Deutschen als eine besondere, gehobene Rasse betrachtet“ erklärte Atatürk. Da Atatürk schon die Türken als eine solche besondere gehobene Rasse ansah, mussten die Weltanschauungen der Nazis und der Kemalisten in diesem Punkt zwangsläufig kollidieren. Es ist zwar richtig, dass die Regierung in Ankara von den Nazis politisch oder rassisch als Juden verfolgten deutschen Wissenschaftlern Zuflucht bot, um deren Fähigkeiten für den Aufbau des türkischen Staates zu nutzen. Doch gleichzeitig zeigte die kemalistische Führung offene Sympathie mit zentralen Elementen der faschistischen Ideologie, was die Nazis zur Verbesserung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit der Türkei nutzten. Der deutsche Botschafter in Ankara, Franz von Papen, beeinflusste die Panturkisten-Bewegung um Alparslan Türkeş – den späteren Führer der Grauen Wölfe – im Sinne der völkischen Weltanschauung der Nazis. Und deutsche Berater bauten damals den Militärgeheimdienst der Türkei auf. Auch Flugzeuge, die zum Abwurf von Gasbomben über Dersim eingesetzt wurden, kamen zum Teil aus Deutschland. So orderte Ankara 24 zweimotorige Bomber vom Typ He 111 J. Die in den Heinkel-Werken Oranienburg (HWO) gefertigten Flugzeuge wurden ab Oktober 1937 über Bulgarien nach Istanbul geliefert. Es gibt noch Bilder, die zeigen, wie türkische Soldaten die Hakenkreuze an den Flugzeugen gegen den türkischen Halbmond austauschen.

1937: Türkischer Soldat ersetzt Hakenkreuz an einem Heinkel-Bomber durch einen türkischen Halbmond


Seit die Donau ins Schwarze Meer fließt

Das Deutsche Reich wurde zwischen 1933 und 1938 zum größten Rohstoffimporteur und wichtigsten Partner beim Aufbau der türkischen Industrie. Die Beziehungen beider Länder erreichten einen ähnlichen Stand wie vor dem Ersten Weltkrieg. Die offiziell neutrale Türkei hielt unter Atatürks Nachfolger Ismet Inönü dem Deutschen Reich mit Unterzeichnung eines Nichtangriffspaktes vier Tage vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 militärisch den Rücken frei.

Am 18. Juni 1941 unterzeichneten der deutsche Botschafter Franz von Papen und der türkische Außenminister Şükrü Saracoğlu in Ankara den deutsch-türkischen Freundschaftsvertrag und den Nichtangriffspakt.

Dazu kamen umfangreiche Rohstofflieferungen für die deutsche Rüstungsproduktion. „Seit die Donau ins Schwarze Meer fließt, sind die Deutschen und die Türkei gezwungen, in einem sich ergänzenden Wirtschaftsraum zu leben. Die Welt muss der Realität entsprechend gesehen werden“, rechtfertigte Yunus Nadi, Chefredakteur der kemalistische Zeitung Cumhuriyet, 1941 diese Politik. Die Cumhuriyet schmückte ihre Titelseite mit den Bildern Inönüs und des „Führers“. Lediglich von symbolischer Bedeutung war am 23. Februar 1945 die Kriegserklärung Ankaras an das bereits besiegte Deutsche Reich.

„Innige Gratulationen zwischen unserem Nationalen Oberhaupt („Millî Şef“) und dem Führer” , Titeilseite der Cumhuriyet am 21. Juni 1941

Ethnische Säuberung zur Lösung der „Flüchtlingsfrage“

Quelle: Civaka Azad: Ethnische Säuberung zur Lösung der „Flüchtlingsfrage“?

„Erdogan plant neuen Flüchtlings-Gipfel mit Merkel“, „Erdogan trifft Putin und Rohani“, „Turkey’s Erdogan attends Trump reception“ – diese Schlagzeilen machen deutlich: In diesen Tagen mischt der türkische Staatspräsident auf der ganz großen Bühne der internationalen Diplomatie mit. Erdogan hat Gesprächsbedarf. Er will mit den internationalen Machthabern über Syrien sprechen, insbesondere über den Norden Syriens. Damit zusammenhängend geht es auch um Idlib, dem syrischen al-Kaida Ableger Tahrir al-Sham, um die Frage der Geflüchteten und natürlich um die Demokratische Föderation Nordsyriens, das eigentliche Anliegen des türkischen Staatspräsidenten.

Denn der türkische Staatspräsident macht keinen Hehl daraus, dass er die Errungenschaften der Bevölkerung im Norden Syriens zunichtemachen will. Seine Interventionsdrohungen konnten nur durch anstrengende Verhandlungen mit den USA unterbunden werden. Doch kurz nach der Einigung zwischen beiden Parteien zeigte sich der türkische Staatspräsident erneut unzufrieden und begann von Neuem seine Kriegsdrohungen lautwerden zu lassen. Und um diese Pläne wahr werden zu lassen dreht Erdogan nun gleich an mehreren Schaltern.

Mit der Flüchtlingsfrage die EU erpressen

Der türkische Staatschef hat nämlich gelernt, wie leicht er die gesamte Europäische Union unter Druck setzen kann. Spätestens als in der Nacht des 17. Septembers plötzlich 791 syrische Geflüchtete auf mehreren griechischen Inseln ankamen, war die Message in Brüssel angekommen. Erdogan entsandte eine unmissverständliche Drohung: Entweder ihr unterstützt meinen Kurs in der Frage der syrischen Geflüchteten oder ihr könnt euch selbst mit ihnen rumschlagen.

Mit dieser Drohung hat Erdogan bereits mindestens sechs Milliarden Euro Hilfsgelder aus Europa erhalten. Nun tischt er dieselbe Drohung nochmals auf, um Unterstützung für seine Interventionspläne in Nordsyrien zu generieren. Denn seit wenigen Wochen hat sich die Sprachwahl in der türkischen Politik bzgl. der Interventionsbestrebungen verändert: Nun geht es weniger um die „Vernichtung eines Terrorkorridors“, sondern eher um eine „Lösung der Flüchtlingsfrage, welche die Türkei nicht länger alleine schultern kann.“

Erdogan will also, dass seine Truppen in den Norden Syriens einmarschieren und anschließend die rund drei Millionen syrischen Geflüchteten dort ansiedeln. Bei dem Vorhaben gibt es nur zwei Probleme: Einmal stammen die wenigsten syrischen Geflüchteten in der Türkei tatsächlich aus den Gebieten, welche Erdogan besetzen will. Und zum Zweiten ist die Region Nordsyriens kein menschenleeres Gebiet.

Assads arabischer Gürtel soll von Erdogan vollendet werden

Wenn wir verstehen wollen wie das Vorhaben Erdogans genau aussieht, reicht ein Blick auf die seit März 2018 von der Türkei besetzte Provinz Efrîn aus. Auch dort hat der türkische Staatschef Syrerinnen und Syrer ansiedeln lassen. Nur hat er zuvor erst einmal die eigentliche Bevölkerung der Region vertrieben. Während hunderttausende Kurdinnen und Kurden aus Efrîn ihre Heimat hinter sich lassen mussten und bis heute unter schwierigsten Bedingungen in der Region Shehba verweilen, siedelte der türkische Staat islamistische Milizen, die mit der Türkei kooperieren, und ihre Familienangehörigen, in der Provinz an. Diejenigen Einwohner Efrîns, die bis heute versuchen in ihrer Heimat zu bleiben, sind immer wieder Opfer von Entführungen, Raubüberfällen oder Vergewaltigungen. Die Urheber dieser Verbrechen sind türkeitreue Milizen, die aus Aleppo, Idlib und anderen Regionen abgezogen und in Efrîn stationiert worden sind. Ein solches Vorgehens nennt man eine ethnische Säuberung.

Sollte die Türkei ihre Drohungen hinsichtlich einer weiteren Intervention in Nordsyrien verwirklichen, so wird sie ohne Zweifel versuchen, ihr Vorgehen von Efrîn in einem größeren Maßstab zu wiederholen. Um drei Millionen Syrerinnen und Syrer in der Region anzusiedeln, sollen wohl ebenso viele Menschen aus der Region vertrieben werden. Die Opfer eines solchen Szenarios wären natürlich in erster Linie die Kurdinnen und Kurden, die in diesen Regionen beheimatet sind. Knickt also Deutschland und die EU vor Erdogans Drohungen ein, so macht sich Deutschland in der Konsequenz auch für die Kriegsverbrechen und ethnischen Säuberungen mitverantwortlich, die der türkische Staatschef im Norden Syriens anordnen wird, um die „Flüchtlingsfrage zu lösen“.

Geht sein Plan auf, wäre Erdogan die syrischen Flüchtlinge los und hätte das Selbstverwaltungsprojekt in Nordsyrien zerschlagen. Zugleich hätte er einen Plan verwirklicht, den bereits 1963 ein gewisser Muhammad Talab al-Hilal, ein syrischer Geheimdienstchef, der syrischen Regierung vorgelegt hatte. Um die „kurdische Gefahr“ zu bändigen, bedürfe es einer umfassenden Umsiedlungspolitik. Nur so ließe sich die „Vernichtung dieses Tumors“ bewerkstelligen. Die Pläne al-Hilals sollten im Rahmen der Politik des arabischen Gürtels später vom Baath-Regime aufgegriffen werden. Auch wenn tausende kurdische Familien in den Süden Syriens deportiert und ebenso viele arabische Familien bis Mitte der 70er Jahre in Nordsyrien angesiedelt wurden, ist der Plan nie in voller Gänze umgesetzt worden.

Nun will Erdogan genau das verwirklichen, was dem Baath-Regime nie gelungen ist: Ein arabischer (Bevölkerungs-)Gürtel, der als Puffer zwischen der kurdischen Bevölkerung in Nordkurdistan und Rojava dienen soll. Ob er das verwirklichen kann, hängt aber nicht nur von seiner Durchsetzungskraft gegenüber der EU, den USA oder Russland ab. Am Ende werden die Verteidigungskräfte Nord- und Ostsyriens auch ein Wort mitzureden haben.

Gesellschaftsvertrag von Rojava

Quelle: Civaka Azad – Der Gesellschaftsvertrag der Demokratischen Föderation von Nordsyrien

Ein Beispiel für ein friedliches Syrien der Zukunft – Der Gesellschaftsvertrag der Demokratischen Föderation von Nordsyrien, 25.11.2017

Logo der Selbstverwaltung ab 2018

Die Revolution von Rojava steht im krassen Kontrast zu den monistischen Staaten des Mittleren Ostens, die auf eine Identität, eine Nation und eine Sprache und eine Religion setzen und jede Abweichung diskriminieren oder gar zu vernichten versuchen. Rojava umfasst viele Ethnien, viele Identitäten, viele Religionen und Weltanschauungen und zielte von Beginn der Revolution darauf ab, durch direkte Repräsentation aller gesellschaftlichen Gruppen ein Modell von pluralistischer, radikaler Demokratie zu schaffen. Dieses Denken schlägt sich auch im Namen wieder – Rojava ist ein kurdischer Name, doch die Demokratische Föderation Nordsyrien repräsentiert nicht nur Kurdinnen und Kurden, daher reichte die ursprüngliche Bezeichnung der Region nicht aus. Die Demokratische Föderation Nordsyrien grenzt sich von Staatlichkeit und Nation scharf ab, was sich auch in der Präambel des Gesellschaftsvertrags niederschlägt.

Frauenbefreiung, Ökologie und Demokratie stehen als Grundprinzipien gleich am Anfang des Gesetzeswerkes. Insbesondere die Hervorhebung der lokalen Selbstverwaltung der Menschen in Räten und zivilgesellschaftlichen Organisationen hebt dieses Werk von anderen Verfassungen deutlich ab. Im Rahmen des Gesellschaftsvertrages haben alle Menschen in den Kantonen das Recht, über ihre eigenen Anliegen zu entscheiden: Die Macht liegt in der Region und nicht im Zentrum. Das gibt der Bevölkerung die Möglichkeit, sich selbst zu repräsentieren und über ihr Leben zu entscheiden.

Auch menschenrechtlich ist dieser Vertrag beispielhaft. So dürfen Asylsuchende nicht gegen ihren Willen abgeschoben werden und jeder Bürger und jede Bürgerin haben das Recht auf medizinische Versorgung, Arbeit und Wohnraum. Sicher ist es ein langer Weg, bis eine Realität geschaffen ist, in der die Menschen ihre im Gesellschaftsvertrag verankerten Rechte vollkommen in Anspruch nehmen können. Dass die Menschen in Nordsyrien in dieser Situation ein solche Verabredung treffen und sich auf ein solches Dokument einigen, untermauert die immense Bedeutung ihres Projekts – Friede bedeutet nicht nur die Abwesenheit von Krieg, sondern gesellschaftliche Versöhnung, Demokratie, Ökologie, Frauenbefreiung und soziale Gerechtigkeit.

Die Demokratische Föderation Nordsyrien sieht sich ganz klar im Kontext einer zukünftigen Demokratischen Föderation Syrien – jenseits des Baath-Regimes und imperialistischer Einflussnahme der Großmächte. So sollen die Bodenschätze gerecht geteilt und eine gemeinsame Verfassung ausgearbeitet werden. Dieser Gesellschaftsvertrag stellt ein Beispiel für eine mögliches friedliches Syrien der Zukunft dar und gibt Hoffnung, dass eine demokratischen Alternative zur kapitalistischen Moderne und nationalstaatlicher Barbarei in die Welt ausstrahlen kann.

PDF: Der Gesellschaftsvertrag der Demokratischen Föderation von Nordsyrien

PDF: Social Contract of the Democratic Federalism of Northern Syria

Repression der Türkei gegen Kurd*innen

Norman Paech : Krieg der Türkei gegen die Kurden
(weltnetzTV, Dez 2018)

Die Kritik hierzulande gegen Recep Erdoğan und den türkischen Staat konzentriert sich hauptsächlich auf die Unterdrückung der Pressefreiheit und Massenverhaftungen von politischen Gegnern. Übersehen wird dabei zumeist der Krieg gegen die Kurden. Seit der Beendigung des Dialoges mit Abdullah Öcalan im Jahre 2015 bekämpft Erdoğan die Kurden wieder militärisch. Norman Paech, Jurist und emeritierter Professor für Politikwissenschaft und für Öffentliches Recht, kommentiert auf weltnetz.tv die Unterdrückung der Kurden durch die Türkei und das Zuschauen der Bundesregierung sowie der NATO-Staaten.

Kurzer Umriss der Kurdischen Frage

1. Die Teilung Kurdistans durch imperialistische Mächte

Die folgende Ausführung handelt von einer spezifischen Periode der kurdischen Geschichte, die eine wichtige Markierung darstellt und die gegenwärtige Situation der Kurden, die Ausprägung der Kurdenfrage sowie den damit zusammenhängenden Kurdenkonflikt umfasst. Sie kennzeichnet die Aufteilung und Zersplitterung Kurdistans und die weitreichende Umwälzung der traditionellen kurdischen Gesellschaft. Die Zeiträume 1915 bis 1925 und 1925 bis in unsere Gegenwart markieren die zeitlichen Abschnitte der benannten Phase, in der die Quellen und Ursachen des gegenwärtigen Kurdenkonflikts und der Kurdenfrage liegen. Sie inkludiert aus regionaler und globaler Sicht den Zusammenbruch des Osmanischen Reichs und die Inkorporierung des Nahen und Mittleren Ostens durch westliche Staaten, die sich durch und kraft der industriellen Revolution in England und der (politischen) Französischen Revolution in einer „erneuten Expansion“ befanden. Wenn es heute eine kurdische Frage gibt und diese Frage bis heute überdauert hat, dann sind die Ereignisse, die diese Frage geprägt haben, in den Jahren zwischen 1915 und 1925 geschehen. In dieser Epoche herrschte ein imperialistischer Verteilungskampf über Kurdistan, der zu dieser Aufteilung führte. Auf die globalpolitischen Verhältnisse und ihre komplexen und verwobenen Details kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden und das Folgende mag primär aus einer kurdischen Perspektive aus betrachtet sein. Es sei zudem wiederholt daran erinnert, dass der Kurdenkonflikt stets in einem regionalen und internationalen Kontext, Zusammenhang und der wechselseitigen Verflechtung diverser Aspekte und Entitäten zu betrachten ist. Des Weiteren wird sich der Fokus und Inhalt dieses Abschnitts gegen Ende primär auf Nordkurdistan bzw. die Türkei verlagern. Dies deshalb, weil sich die Entstehung der kurdischen Bewegung dort vollzog und die Türkei als Nachfolgestaat des Osmanischen Reichs den wichtigsten regionalen Akteur im Hinblick auf die kurdische Frage darstellt.

Diese Periode kurdischer Geschichte hatte nicht nur sehr verlustreiche politische Folgen und brachte die Gefahr der physischen und kulturellen Vernichtung der Kurden mit sich, sondern auch, bedingt durch mehrere Faktoren, die Grundlegung neuer Oppositionsformen in Kurdistan. Diese neuen Formen, entstanden im Kontext der damals bipolar geordneten Welt, waren „supra tribal“ (höhergeordnet als stammesgesellschaftliche Organisierung), säkular bzw. nicht mit Konfession oder Religion in Beziehung stehend und hatten den Charakter von Volksbewegungen, wohingegen die traditionelle kurdische Opposition elitär gekennzeichnet war. Dieser Abschnitt soll die Entstehungsbedingungen und -ursachen dieser Emergenz skizzenhaft darlegen und zum besseren Verständnis der kurdischen Bewegung um die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) führen.

Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts, der Zeit der osmanischen End- und Krisenphase, wackelt das alte Machtverhältnis in Kurdistan, bestimmt durch eine schwache osmanische Kontrolle und weitgehende Unabhängigkeit kurdischer Herrscher und es kommt zu Aufständen kurdischer Fürsten, deren Ursachen je nach Blickwinkel und Historiker unterschiedlich begründet werden. Wichtig ist, dass die Aufstände im 19. Jahrhundert nicht nationalen Zwecken dienten, sondern um Ausweitung oder gegen Verringerung der uralten Autonomie vollzogen wurden. Die kurdische Frage in ihrer heutigen Form ist das Ergebnis der von den Großmächten betriebenen Aufteilung des Nahen- und Mittleren Ostens nach dem [Ersten] Weltkrieg. Schon lange vor dem Ende des Ersten Weltkriegs, bei dem das Osmanische Reich an der Seite Deutschlands und Österreichs militärisch vernichtend unterlag und zusammenbrach, ist 1916 in Geheimabkommen zwischen den wesentlichen alliierten Siegermächten Großbritannien und Frankreich die Zukunft der Region abgestimmt worden. Der auf diese Verhandlungen basierende, zwar unterschriebene aber nie ratifizierte Vertrag von Sevres (10.08.1920) sah die Errichtung eines armenischen Staates im Nordosten und eine gewisse kurdische Souveränität – eine anfängliche Autonomieregierung mit der Aussicht auf einen eigenen Staat – vor. Gegen diesen Vertrag, der das türkische Territorium auf ein kleines Stück in Mittelanatolien reduzierte, mobilisierte der türkische General Mustafa Kemal die anatolischen Bauern und zahlreiche kurdische Stämme. Seine Strategie beinhaltete die Hervorhebung der gemeinsamen islamischen Identität der Kurden und Türken, die taktische Lüge der Loyalität dem Kalifat und dem Sultanat gegenüber sowie das Versprechen einer gemeinsamen Republik von Türken und Kurden. Es sei noch erwähnt, dass der Vertrag von Sevres aus diversen Gründen auch bei vielen Kurd*innen trotz der Aussicht auf Autonomie auf Ablehnung stieß. Einer der Gründe war, dass der in ihm vorgesehene armenische Staat große Teile der kurdischen Siedlungsgebiete mit einschloss, damit zusammenhängend auch die Angst und Ablehnung unter einer christlich-armenischen Herrschaft zu leben. Ferner klammerte der Vertrag den Status Ostkurdistans (Iran) aus, und auch im Allgemeinen betrachtete die Mehrheit der kurdischen Bevölkerung die internationale Entscheidung als aufgezwungen und bevorzugte, unabhängig zu sein oder notfalls weiter mit den Türken zu leben, mit denen sie immerhin die Gemeinschaft des Islam verband.

Der spätere »Atatürk« (»Vater aller Türken«) hatte ihnen dafür die Gründung eines gemeinsamen Staates der Türken und Kurden zugesagt. Auf der ersten Sitzung der Großen Nationalversammlung im April 1920 in Ankara waren rund siebzig kurdische Abgeordnete anwesend, die offiziell als »Abgeordnete Kurdistans« bezeichnet wurden. Als dieser Staat gegründet und vom Lausanner Vertrag im Juli 1923 anerkannt war, brach Mustafa Kemal seine Versprechen für die kurdische Autonomie sofort und löste die Nationalversammlung auf, in der auch 75 kurdische Abgeordnete gesessen hatten. Er schloss sogar kurdische Schulen und verbot jeden Ausdruck kurdischer Kultur in der Türkei.

Die irakischen Kurden lernten aus dieser bitteren Erfahrung, und als sie im Januar und Februar 1925 von einer Delegation des Völkerbundes befragt wurden, entschied sich eine überwältigende Mehrheit von sieben Achteln für einen unabhängigen kurdischen Staat und kategorisch gegen die Rückkehr unter türkische Souveränität und Annektion durch den Irak. Der Rat des Völkerbundes beachtete diese klare Stellungnahme jedoch nicht und beschloss am 16. Dezember 1925 auf Verlangen des Britischen Imperiums, das Mandatsträger für den Irak war, dieses kurdische Territorium mit seinem Erdöl-Reichtum dem Staat des Irak einzugliedern. Im Austausch für ihr Einverständnis mit diesem ungerechten britischen Plan erhielten Frankreich und die Vereinigten Staaten je 23,7 % der Einkommen der Turkish Petroleum Company, die später in die Iraq Petroleum Company umgewandelt wurde, in Berechnung der Ausbeutung aller Ölreserven Kurdistans.
1921 wurde kraft eines türkisch-französischen Abkommens Westkurdistan (Rojava, Nordsyrien) an Syrien angegliedert, das damals unter französischem Mandat stand, während der Iran die Unabhängigkeitsbewegung unter Führung des kurdischen Oberhauptes Simko überwältigt hatte. Nach dem durch den erfolgreichen Befreiungskrieg unter Mustafa Kemal erzwungenen Lausanner Vertrag vom 24. Juli 1923 war die Aufteilung und Zersplitterung der Kurd*innen und Kurdistans vollendet und das Bühnenbild für die zukünftige Tragödie des kurdischen Volkes war erstellt. Bei den Vertragsverhandlungen wurden die Kurd*innen gar nicht bzw. angeblich von der Türkei und Großbritannien vertreten. Die britische Delegation wurde vom Hauptaktionär der westlichen Turkish-Petroleum Company, Lord Curzon, angeführt. Der Vertrag legt die bis heute gültigen Grenzen fest, im Gegensatz zum Vertrag von Sevres wurden die Kurd*innen in Lausanne nicht mehr erwähnt. Plötzlich war das (wahrscheinlich) zahlenmäßig drittgrößte Volk des Nahen Ostens in den jeweiligen Staaten jeweils zu einer Minderheit geworden, doch noch nicht einmal Minderheitenrechte wurden ihnen in den auf Homogenisierung basierenden neu entstandenen Nationalstaaten zugestanden.
Der türkische Soziologe Ismail Besikci beschreibt die Zementierung der Lage des Nahen Ostens im Lausanner Vertrag, in seinem für die anfängliche PKK zentralem Werk folgendermaßen: „Kurdistan hat weder einen politischen Status, noch eine politische Identität. Die Kurd*innenen sind ein Volk, welches man versklaven und seiner Identität berauben will, klarer ausgedrückt, es soll mit seiner Kultur und Sprache von der Erdbodenfläche getilgt werden.“ (1991). Zwar heißt sein Buch Kurdistan. Internationale Kolonie, doch durch die imperialistische Aufteilung mit der Hilfe „regionaler Kollaborateure“ verwehrte man Kurdistan selbst den Status einer typischen Kolonie oder Halbkolonie: „Kurdistan ist noch nicht einmal eine Kolonie, das kurdische Volk ist noch nicht einmal kolonisiert. Der politische Status Kurdistans und des kurdischen Volkes befindet sich sehr weit unter dem einer Kolonie.“ (ebd.). Damit ist die Gleichzeitigkeit der kolonialen Ausbeutung Kurdistans und die Verleugnung der Kurd*innen gemeint. Klassische Kolonien hatten noch einen Status als Kolonien und erlangten im Zuge des Zusammenbruchs des Kolonialismus ihre heutige (staatliche) Unabhängigkeit. Die kulturelle, nationale oder ethnische Identität der Kolonialländer wurde anerkannt, nicht so in Kurdistan. Wegen seiner Forschungen zum Thema Kurden wurde Besikci insgesamt acht Mal verurteilt und saß 17 Jahre im Gefängnis.

Durch den Vertrag von Lausanne wurde viel von dem Zündstoff gelegt, der den Nahen Osten bis heute zum Pulverfass macht. Mit der Vierteilung Kurdistans wurde ein bis heute ungelöster nationaler Widerspruch erzeugt, der vom Imperialismus immer wieder zur Einflussnahme in der ganzen Region genutzt wird. Die Kurd*innen sind sowohl die Verlierenden als auch das Instrument dieser Situation der „Teile-und-herrsche-Politik“ geworden. Mit verheerenden Folgen, z. B. mehrmaligen Giftgasangriffen, nicht nur von Diktatoren wie Saddam Hussein (1988) oder dem Kemalismus in Dersim 1937/38, sondern auch von Großbritannien gegen die „unzivilisierten Stämme“, die in Südkurdistan Mitte der 1920er Jahre von Scheich Mahmud Berzencî angeführt wurden.

2. Nordkurdistan (Türkei)

Gegen den Umstand der politischen und rechtlichen Nichtexistenz und dem Abhandenkommen der aus Sicht der kurdischen Aristokratie ewigen Autonomie führten die Kurd*innen in allen vier Teilen Kurdistans sowohl vor als auch nach dem Ende des Weltkriegs zahlreiche Aufstände. Nie waren sie kooperativ oder koordiniert zwischen den Stämmen, Konfessionen oder Regionen Kurdistans, obgleich sie nationalistisch begründet waren. Dem muss hinzugefügt werden, dass alle Aufstände der Kurd*innen entweder durch aktive militärische Beteiligung oder indirekte Unterstützung der westlichen Mächte niedergeschlagen worden sind. Gegen die junge Türkische Republik fanden ab 1924 zahlreiche Revolten statt, deren Anfang der Scheich Said Aufstand machte; alle wurden blutig niedergeschlagen. Sie richteten sich gegen die Verleugnung der Kurd*innen, dem Einzug der politischen Autonomie und die faschistische Türkisierungspolitik. Nach 1922 sprachen die Kemalist*innen nicht mehr von der kurdisch-türkischen Brüderschaft, sondern allein von den Wünschen und Rechten der Türken. Die an den Westen orientierte moderne Türkei sollte nach der Vorstellung Mustafa Kemals eine schnelle Verwestlichung (Industrialisierung, Säkularisierung, repräsentativ-demokratische und rechtstaatliche Konstitution) durchgehen; das Prinzip des Nationalismus wurde dahingehend interpretiert, verfassungsrechtlich festgelegt und institutionell weitergegeben, dass in der Türkei keine andere Nationalität außer der türkischen existiert. Der Nationalismus wurde nach dem (ethnischen) deutschen, der Nationalstaat nach dem (zentralistisch-) französischem Modell etabliert. Dies impliziert die zentrale Herrschaft der türkischen »Ethnie« und legt den Grund für die Assimilation und Unterdrückung anderer ethnischen Gruppen. Ein schlechtes Modell, um das Vielvölkerreich der Osmanen abzulösen. Atatürks Reformen prägten (auch ohne Erfolg) die Türkei grundlegend, jedoch war dies nur ein kaum gelungener Top-Down-Prozess, der von einer dünnen Schicht in den Städten ausging; Offiziere und Teile der Oberschicht. Die Masse der anatolischen Landbevölkerung stand auch Jahrzehnte später nicht hinter den Umwälzungen, da sie keinen Wandel der Grundlagen ihrer sozialen Existenz herbeiführten. Der Kemalismus beschränkte sich auf eine Veränderung des Überbaus, ließ aber die sozialen Verhältnisse bestehen. Aus dieser Perspektive lassen sich auch die beiden bis heute bestehenden Opponenten der sich gegenwärtig in einem Auflösungsprozess befindenden kemalistischen Türkei festmachen: die islamisch-konservative türkische Basis und die kurdische Bevölkerung. Die Kemalist*innen haben die sprachliche und kulturelle Vielfalt der Türkei nicht als Ausgangspunkt genommen und auch nie Programme konzipiert, die die Strukturen religiöser, ethnischer oder politischer Art integrieren hätten können und sollen. „Es wurden im Gegenteil große Anstrengungen unternommen, all diese als feindlich angesehenen Strukturen zu bekämpfen“.

Dem Scheich Said Aufstand folgten weitere Revolten und Aufstände. Der letzte große Aufstand in Nordkurdistan war der von Seyid Riza angeführte Widerstand von den kurdischen Aleviten in Dersim (1936-1938). Diese waren einige der gänzlich autonomen Stämme, von denen bereits die Rede war. Dersim ist eine sehr bergige und bewaldete Region, so dass der Rückzug und der Widerstand vorteilhaft waren. Der Aufstand lehnte sich wie die anderen zuvor gegen die Verleugnungs- und Assimilierungspolitik Atatürks, welches auch die Aufhebung der Autonomie Dersims bedeutete. In einem Schreiben vom 30. Juli 1937 richtet sich Seyid Riza an den britischen Außenminister:

„Seit Jahren versucht die türkische Regierung, die kurdische Bevölkerung zu assimilieren, indem sie sie unterdrückt. Sie verbietet, ihre Zeitungen und Bücher in kurdischer Sprache zu lesen, verfolgt jene, die ihre Muttersprache sprechen und organisiert so die systematische Vertreibung von den fruchtbaren kurdischen Ländern in das unkultivierte Anatolien, wo ein großer Teil der Flüchtlinge umkommt. Drei Millionen Kurden leben in diesem Land und bitten nur darum, in Frieden und Freiheit leben zu können, um ihr Volk, ihre Sprache, ihre Traditionen und Zivilisation zu erhalten. Im Namen des kurdischen Volkes bitte ich Eure Exzellenz, das kurdische Volk mit Ihrem großen moralischen Einfluss zu unterstützen, damit diese grause Ungerechtigkeit bald ein Ende hat.“

Dieser Hilferuf blieb ohne Reaktion. Seyid Riza wurde zusammen mit seinem Sohn und anderen zentralen Figuren des Aufstands erhängt. Wie auch nach anderen Aufständen und als Grundelement türkischer Kurdistanpolitik, wurden tausende von Menschen und ganze Stämme vertrieben, deportiert oder umgesiedelt. Die Kommunistische Partei der Türkei schätzte als Opfer der Vertreibungen und niedergeschlagenen Aufstände zwischen 1925 und 1938 mehr als 1,5 Millionen deportierte und massakrierte Kurden. Nach dem Dersim Aufstand brach eine „Friedhofsruhe“ in Nordkurdistan ein, es folgte eine lange Phase der militärischen Besatzung, ökonomischen Ausbeutung und Benachteiligung sowie der zwangsassimilatorischen Maßnahmen. Feudale Institutionen wie die des Scheichs oder Großgrundbesitzers (Agha) in Kurdistan wurden und werden bis heute bewusst am Leben gehalten. Mit den übriggebliebenen Großgrundbesitzern und Stammesführern ging der Staat – unter der Bedingung der Verleugnung der kurdischen Identität – ein Bündnis ein, auf das sich die Kurdistanpolitik der Türkei stützte.

In den Jahren 1937 und 1938 wurde der Aufstand von Dersim mit Völkermordmethoden unterdrückt. Auf diese Weise wurden in Nordkurdistan alle Widerstandsnester ausgelöscht. Alle Zentren, die über ein Aufstandspotential verfügten, wurden aufgelöst. Danach begann man, Kurdistan organisch im Staatskörper aufgehen zu lassen. Die Lösung hierfür bestand zweifellos in der Einberufung von Soldaten zum Wehrdienst, der Eintreibung von Steuern und der regelmäßigen Durchsetzung dieser Maßnahmen. Die Existenz des türkischen Staates wurde bis in den letzten Winkel der Gesellschaft spürbar, das türkische Ausbildungswesen wurde eingeführt und jede Möglichkeit zur Verbreitung der türkischen Kultur ergriffen. Die Massen sollten von der kurdischen Identität losgelöst und assimiliert werden. Während dieses Prozesses konfrontierte der Staat die herrschenden kurdischen Klassen – die Scheichs, die Sippenchefs und die Großgrundbesitzer – mit folgender Alternative: Entweder ihr verzichtet vollkommen auf das Kurdentum, streitet ab, daß ihr Kurden seid und werdet zu Türken, oder ihre werdet wie Scheich Said oder Seyid Riza und andere am Galgen enden. Eine dritte Möglichkeit wird es nicht geben. Ihr müßt wissen, daß es keine andere Möglichkeit gibt, um am Leben zu bleiben, als Türken zu werden. (Besikci 1991)

Erst Mitte der 60er Jahre regten sich in der Türkei einzelne kurdische Intellektuelle wieder und es gab erste Zeichen von politischer Mobilisierung der Kurden, meist in türkisch-linkspolitischen Kreisen, wo das Beanstanden ungerechter ökonomischer und feudaler Verhältnisse in der damals bipolar geordneten Welt leicht Anschluss fand. In diesem Kontext entstand auch die PKK.

3. Ostkurdistan (Iran)

Auch in anderen Teilen Kurdistans kam es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wiederholt zu Aufständen und zu Versuchen einer Staatsgründung. Dabei wurden die Kurden oft im Rahmen globalpolitischer Auseinandersetzungen instrumentalisiert und fallen gelassen, ferner wurden sie zum Opfer der Geschichte, wie z. B. 1946 in Ostkurdistan, als die dort von Gazi Mohammed ausgerufene Republik von Mahabad – der erste kurdische Staat der Neuzeit – ein Jahr nach seinem Bestehen durch das Fallenlassen der Sowjetunion die Existenz aufgeben musste. Es folgten noch andere Beispiele in Südkurdistan während des achtjährigen Iran-Irak-Kriegs oder des ersten Golfkriegs.

4. Südkurdistan (Irak)

Wichtig ist festzuhalten, dass alle Aufstände der Kurden im frühen 20. Jahrhundert von einzelnen Herrschern oder religiösen Figuren angeführt wurden; die Revolten waren durch Stammesloyalitäten gekennzeichnet und religiöse Symbole spielten dabei eine wichtige Rolle (z. B. Scheich Said für Sunniten oder Seyid Riza für Aleviten). Damit zusammenhängend waren die Gebilde Religion und Stamm zentrale Mechanismen der Mobilisierung, auch wenn es sich dabei um Bestrebungen nach nationaler Selbstbestimmung handelte. Dies änderte sich 1946 mit der Gründung der ersten kurdischen Partei, Kurdisch Demokratische Partei (KDP), unter der Führung von Mustafa Barzani. Obgleich die KDP bis heute tribalistische Züge aufweist wurde sie zu einer Volkspartei in Südkurdistan und beeinflusste die politische Organisierung der Kurden auch in den anderen Teilen Kurdistans. Wie auch die in den 1970er Jahren gegründete und erste »supra-tribale« kurdische Partei, die PKK, wurden auch die KDP und die PUK (Patriotische Union Kurdistans) in den 2001 Jahren als nichtstaatlicher Akteur von den USA als Terrororganisationen aufgelistet.


Quelle: ANF – Kurzer Umriss der Kurdischen Frage

Kriegsbilanz der HPG 2018


Quelle: ANF, 03.01.2019

Das Oberkommando des Hauptquartiers der Volksverteidigungskräfte hat seine Jahresbilanz zum Krieg in Nordkurdistan und den südkurdischen Medya-Verteidigungsgebieten vorgestellt. Demnach fanden im vergangenen Jahr 556 Guerillaaktionen statt.

Symbolbild HPG

Das Oberkommando des Hauptquartiers der Volksverteidigungskräfte HPG (Hêzên Parastina Gel) hat eine Bilanz für das vergangene Jahr zum Krieg gegen die türkische Armee in Nordkurdistan und den südkurdischen Medya-Verteidigungsgebieten (Qadên Parastina Medya) vorgestellt. Darin heißt es: „Das Jahr 2018 geht als ein sehr wichtiges Jahr in die Geschichte des Freiheitskampfes in Kurdistan ein und war ein Jahr voller Unterdrückung und Widerstand.“

„Das System des türkischen Staates konnte keines seiner Ziele erreichen“

Der türkische Staat sei auf ganzer Linie mit seinen Plänen, Südkurdistan und die Medya-Verteidigungsgebiete zu besetzen, gescheitert und habe auch im Norden schwere Niederlagen einstecken müssen, teilt das HPG-Oberkommando mit. Weiter heißt es in der Erklärung: „Ganz gleich in welchem Teil Kurdistans, das faschistische AKP-Regime versucht überall, die Errungenschaften unseres Volkes zu zerschlagen. Im vergangenen Jahr wollte es sein Vernichtungskonzept weiter vertiefen. In diesem Sinne fand bereits im ersten Abschnitt des Jahres 2018 ein Widerstandskampf von historischem Ausmaß gegen die Invasion in Efrîn statt. Mit Beginn des Frühlings stieß der Krieg auch in den Medya-Verteidigungsgebieten sowie in Nordkurdistan auf einen großangelegten Widerstand.

Der AKP/MHP-Faschismus setzte all seine Hoffnungen auf die fortschrittlichste Waffentechnologie und führte das ganze Jahr über massive Luftangriffe in allen Teilen Kurdistans durch, um sich gegen die Freiheitsguerilla durchzusetzen und sie zu vernichten. Mit diesen Angriffen sollte unsere Bewegung neutralisiert, unser Volk eingeschüchtert und auf unseren Vorsitzenden Apo Druck ausgeübt werden.

Doch das System der türkischen Republik hat im Kampfjahr 2018 keines seiner Ziele erreicht. Weder konnte es sich gegenüber der Revolution in Rojava noch durch Angriffe in Nordkurdistan und den Medya-Verteidigungsgebieten behaupten. Die HPG haben in historischem Ausmaß Widerstand geleistet und so den Besatzungsplan der kolonialistischen türkischen Armee zerschlagen.“

Türkei verbirgt wahre Verluste

Das HPG-Oberkommando betont, der türkische Staat versuche seine schweren Verluste zu verbergen und die Öffentlichkeit zu täuschen. In der Erklärung heißt es:

„Die Freiheitsguerilla Kurdistans ist bemüht, die für das 21. Jahrhundert notwendige neue Form des Guerillakampfes auf effektivste Weise umzusetzen. Mit einem Verteidigungskrieg hat sie 2018 einerseits den kolonialistischen Feind daran gehindert, Kurdistan vollständig zu besetzen, und ihm andererseits mit wirksamen Aktionen schwere Schläge versetzt. Das AKP-Regime erlitt bei dem Angriff auf die türkische Militärbasis Süngü nahe Bêsosin (Ortaklar) im Kreis Şemzînan (Şemdinli) sowie bei Einsätzen in Bradost, Serhat, an der Zap-Front, in Botan und überall in Kurdistan schwere Niederlagen. Das Regime sieht es als seinen einzigen Ausweg, diese Wahrheit zu verbergen. In diesem Sinne wurden kleine Erfolge zu Siegesmeldungen aufgeblasen und so der Öffentlichkeit präsentiert und andererseits trotz Videodokumentation der Guerillaaktionen Verluste in den Reihen des Militärs verheimlicht und die Bevölkerung somit getäuscht. Aber mittlerweile wissen alle, dass die Wahrheit der kurdischen Freiheitsbewegung nicht zu verbergen ist. Der Krieg in Kurdistan wurde der Öffentlichkeit vom HPG-Pressezentrum auf gewissenhafte und nachvollziehbare Weise vermittelt. Menschen, die eine präzise und korrekte Bilanz des Krieges erfahren möchten, können diese durch Erklärungen der Volksverteidigungskräfte verfolgen.

Ohne jeden Zweifel sind alle Erfolge, die unsere Bewegung und unsere Bevölkerung trotz massiver feindlicher Angriffe im Jahr 2018 verbuchen konnte, auf unsere heldenhaften Gefallenen, die ihr Leben für die Freiheit geopfert haben, zurückzuführen. Wir gedenken unserer gefallenen Kommandantinnen und Kommandanten, angefangen bei Zekî Şengalî, Atakan Mahir, Çetin, Cuma, Medya, Dicle, Tarik, Cudi, Vedat, Jîndar, Rizgar, Roza, Sorxwîn und all unserer anderen mutigen Gefallenen mit tiefem Respekt und großer Dankbarkeit.

Als Volksverteidigungskräfte Kurdistans werden wir die uns übergebene Fahne der Freiheit aufrecht halten. Im Jahr 2019 werden wir den Kampf zur Befreiung des Vorsitzenden Apo und der Bevölkerung Kurdistans wirksam weiterführen. Wir erfüllen mit der Veröffentlichung dieser Bilanz des Jahres 2018 im Krieg gegen den türkischen Kolonialstaat unsere revolutionäre Pflicht.“

Die Kriegsbilanz für das Jahr 2018 lautet:

Luftangriffe und Bodenoperationen des türkischen Militärs

Bodenoperationen: 163

Luftangriffe: 370

Kampfhubschrauberangriffe: 313

Artillerieangriffe: 558

Bilanz der Aktionen gegen die Angriffe

Durchgeführte Guerillaaktionen: 556

Nahkampfgefechte: 59

Aktionen mit unklarem Ergebnis: 220

Getötete feindliche Kräfte (Polizei, Militär u.a.): 2103

Getötete ranghohe Angehörige von Militär, Polizei etc.: 12

Verletzte feindliche Kräfte (Polizei, Militär u.a.): 418

Vernichtete Militärfahrzeuge (gepanzert): 43

Vernichtete Militärfahrzeuge (ungepanzert): 13

Vernichtete Baumaschinen: 29

Beschädigte Militärfahrzeuge (gepanzert): 33

Abgeschossene Kampfdrohnen (SIHA): 1

Abgeschossene Drohnen: 5

Beschädigte Aufklärungsflugzeuge: 1

Beschädigte Hubschrauber: 10

In Gefangenschaft geratene Freundinnen und Freunde: 19

Gefallene Freundinnen und Freunde: 523

Videos: Überblicke

A brief history of the YPG (english) Kurdish Question, Mar 21 – 2017

The People’s Protection Units (YPG) was formed underground in 2011 to defend the people of Rojava against attacks from the Syrian Bashar al-Assad regime and other reactionary forces as the war in Syria started. Today, it is a force of 50,000 people and at the forefront of the revolution in Syria and the region. Watch this short documentary to learn about the struggle, sacrifices and victories of this amazing force.


How the Kurds became a key player in Syria’s war (english)
Vox, Ma 12 – 2018

Since the start of the Syrian civil war, Kurdish people in the North have carved out an autonomous region of their own — Rojava — by fighting the Islamic State. Their militias, which form the Syrian Democratic Forces (SDF), have emerged as the most effective fighters against ISIS and won them a close partnership with the US.

The ruling Kurdish Party, the PYD, has set up a democratic federation made of local governments. Their constitution claims to accept people of all ethnicities and religions and treat them as equals. One of its central tenets is equality of men and women. In fact, the all-female Women’s Protection Unit (YPJ) militia fights along-side the SDF, and they’re known to be especially good soldiers. But the more territory the Kurds take from ISIS, the more worried Turkey gets. Turkey has been at war with another closely linked Kurdish group, the PKK, for decades. In 2018, Turkey invaded the Syrian Kurdish enclave of Afrin, putting the country in direct conflict with the Kurds of Rojava.


Why Turkey is invading Syria (english)
Vox, Oct 31 – 2019

On Oct. 9, 2019, Turkey launched an attack in northeastern Syria. Turkey made the move shortly after the US announced it would remove some of its troops from the region. Turkish President Recep Tayyip Erdoğan had his eyes on the region for years. Turkey, he argued, needed a “safe zone” to serve as a buffer against the Syrian War happening just across the border. Yet back home in Turkey, there were other factors at play that accelerated his calls for an invasion that involved Erdo-ğan’s own political survival. The move has recalibrated alliances in the Syrian War and added new uncertainty on the future of the region.


Die Frauenarmee der Kurden

ORF, 16.11.19

Die YPJ und die Revolution in Rojava. Gespräche mit Komandantinnen und YPJ-Kämpferinnen.


Syrien: 9 Jahre Krieg – Eine Chronologie
Arte, 20.12.2019

ARTE Info blickt auf neun Jahre Syrien-Konflikt zurück, der über 500.000 Menschenleben gefordert und die Hälfte der Bevölkerung aus ihrem Zuhause vertrieben hat. Eine Chronologie in neun Kapiteln.

Übersicht: Faschistische Organisationen in Kurdistan

Quellen: Civaka Azad, „Revolution in Rojava“ – Flach u.A.

Mit der Auflösung des Osmanischen Reiches und der Gründung der Republik Türkei im Jahre 1923 wurde das kur­dische Siedlungsgebiet von den Sieger-mächten des 1. Weltkriegs auf vier Länder aufgeteilt: Türkei, Syrien, Irak und Iran. Wir geben hier einen kurzen Überblick über faschistische, islamistische oder fundamentalistische Organisationen, Armeen und Parteien in den verschiedenen Teilen Kurdistans.

Kurdische Bevölkerung in der Geografie Kurdistans, Januar 2019


1. INTERNATIONALE ORGANISATIONEN


Der „Islamische Staat“

Der IS ist eine seit 2003 terroristisch agierende salafistische Miliz mit tausenden Mitgliedern, die ein als „Kalifat“ deklariertes dschihadistisches „Staatsbildungs-projekt“ war. Aufgrund der fehlenden Anerkennung war der sog. Islamische Staat allerdings zu keinem Zeitpunkt ein Staat im Sinne des Völkerrechts. Die Organi-sation kontrollierte bis Dezember 2017 Teile des Irak sowie bis März 2019 Teile Syriens und wirbt um Mitglieder für Bürgerkriege sowie Terroranschläge. Sie wird des Völkermords, der Zerstörung von kulturellem Erbe der Menschheit wie auch anderer Kriegsverbrechen beschuldigt. Vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sowie von der BRD wird der IS offiziell als terroristische Vereinigung eingestuft.

Organisatorische Anfänge gehen auf den irakischen Widerstand zurück. 2004
war die Gruppierung unter al-Qaida im Irak (AQI) und von 2011 bis Juni 2014
unter Islamischer Staat im Irak und in Syrien (ISIS) sowie unter dem Namen
Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIL) bekannt. Nach der militärischen
Eroberung eines zusammenhängenden Gebietes im Nordwesten des Irak und im Osten Syriens verkündete die Miliz am 29. Juni 2014 die Gründung eines Kalifats mit Abu Bakr al-Baghdadi als „Kalif Ibrahim – Befehlshaber der Gläubigen“. Damit ist der Anspruch auf die Nachfolge des Propheten Mohammed als politisches und religiöses Oberhaupt aller Muslime verbunden. Anfangs bekannte sich der IS zu al-Qaida, von deren Führung er sich etwa Mitte 2013 löste und im Januar 2014 durch Aiman az-Zawahiri ausgeschlossen wurde. Die Führungsspitze des IS wird unter anderem von einer Gruppe von ehemaligen Geheimdienstoffizieren der irakischen Streitkräfte aus der Saddam-Hussein-Ära gebildet, die bis zu dessen Tod im
Januar 2014 von Hadschi Bakr angeführt wurde.

Der IS kämpfte im syrischen Bürgerkrieg gegen die Regierung von Präsident Baschar al-Assad, aber auch gegen die Freie Syrische Armee sowie gegen die kurdische Minderheit im Norden. Seit August 2014 sind IS-Stellungen Ziele von Luftangriffen einer internationalen Allianz, an der sich seit September mehrere westliche und arabische Staaten beteiligen. Weiterhin kämpfte der IS im zweiten libyschen Bürgerkrieg ab 2014 gegen die politischen Lager West- und Ostlibyens, wurde aber im August 2016 aus seiner lokalen Hochburg Sirte vertrieben und in den Untergrund gedrängt. Das letzte Dorf unter Kontrolle des IS innerhalb Syriens war al-Baghuz Fawqani, das am 23. März 2019 von SDF-Kämpfern erobert wurde. Seitdem hat sich die Berichterstattung über Aktivitäten des IS nach Afghanistan und auf den Kontinent Afrika verlagert.

DAIŞ = arab. Kürzel für ISIS. Das Akronym erinnert an andere arabische Begriffe, die z.B. für »Zwietracht säen« oder »zertreten« stehen. Damit soll der im Islam positiv konnotierten Eigenbezeichnung der Organisation bewusst entgegengetreten und eine direkte Assoziation mit dem Islam vermieden werden.

Die „Muslimbruderschaft“

Die „Muslimbruderschaft“ oder „Muslimbrüder“ ist eine der einflussreichsten sunnitisch-islamistischen Bewegungen im Nahen Osten. Sie wurde 1928 von Hasan al-Banna in Ägypten gegründet. Seitdem hat sich die Muslimbruderschaft in andere Länder verbreitet, insbesondere Syrien und Jordanien. Ihre beiden Ableger Ennahda und Hamas (Algerien) sind Teil der Regierungen von Tunesien und Alge-rien und des dortigen politischen Prozesses. Im Gazastreifen hingegen errichtete ihr Ableger Hamas nach einer demokratischen Wahl eine islamistische Diktatur, während ihr libyscher Ableger (die Partei für Gerechtigkeit und Aufbau) im Zweiten libyschen Bürgerkrieg als eine der Hauptfraktionen gilt. Auch die im Sudan herr-schende Nationale Kongresspartei beruft ihre Wurzeln auf die Muslimbruderschaft. Sie gilt als die erste „revolutionäre“ islamische Bewegung.

Die Muslimbruderschaft gilt in westlichen Ländern als radikal-islamistische
Organisation. Nach dem Umsturz in Ägypten 2013 und der darauffolgenden
Absetzung Mohammed Mursis wurde die Muslimbruderschaft in Ägypten
verboten und als Terrororganisation eingestuft. Die Muslimbruderschaft hat
keinen eigenständigen Einfluss in Syrien gewinnen können, jedoch sind sie
die stärkste Kraft in der Freien Syrischen Armee.

Die Gülen-Bewegung (auch Hizmet-Bewegung)

Als Gülen-Bewegung wird eine transnationale religiöse und soziale Bewegung bezeichnet, die vom islamischen Geistlichen Fethullah Gülen geführt wird. Die Bewegung mit mehr als vier Millionen Mitgliedern hat ein weit verzweigtes Netz-werk von Erziehungseinrichtungen mit über 200 Schulen weltweit und investiert gleichzeitig in Medienarbeit, Finanzen und Krankenhäuser. Ihre Weltanschauung wird teilweise in der Öffentlichkeit als „pazifistischer, moderner Islam, oft gelobt
als Gegensatz zum extremeren Salafismus“ bezeichnet. Andere sehen in ihr
eine „sektenähnliche Organisation“ oder sprechen von „sektenähnlichen Prakti-
ken“. Regionale Schwerpunkte der Arbeit der Gülen-Bewegung außerhalb der Türkei liegen u. a. in Pakistan, Bosnien-Herzegowina und in den postsowjetischen zentralasiatischen Staaten. Allein in diesen unterhielt die Gülen-Bewegung im Jahr 2008 89 Schulen, in Usbekistan ist sie verboten. Auch im Kosovo und in Albanien hat die Gülen-Bewegung zahlreiche Anhänger.

Recep Tayyip Erdoğan und Fethullah Gülen hatten seit den 90er Jahren einen intensiven Kontakt, auch wenn beide Seiten das inzwischen öffentlich abstreiten. Gülen fungierte als Mentor für Erdoğan. Erdoğans Einfluss wuchs schnell, er bekam für seinen Machtaufstieg viel Unterstützung von der Gülen-Bewegung. Recep Tayyip Erdoğan und Fethullah Gülen hatten seit den 90er Jahren einen intensiven Kontakt, auch wenn beide Seiten das inzwischen öffentlich abstreiten. Gülen fungierte als Mentor für Erdoğan. Erdoğans Einfluss wuchs schnell, er bekam für seinen Machtaufstieg viel Unterstützung von der Gülen-Bewegung. Auch Gülen-Anhänger in Deutschland sympathisierten mit der damaligen AKP-Regierung. Dies berichten ehemalige Aussteiger sowie Menschen aus der deutsch-türkischen Community, die keine AKP-Nähe besitzen. İlhan Cihaner ermittelte 2007 zur Gülen-Bewegung in der Türkei und sagte: „Wer sich mit Gülen anlegt, wird vernichtet“. Der Bruch zwischen der Gülen-Bewegung und der AKP-Regierung kam 2013, als Erdoğan die Initiative ergriff, eine Haupteinnahmequelle (Nachhilfeschulen) der Gülenisten abzustellen. Zum Demokratieverständnis und zur Haltung gegenüber Andersdenkenden werfen Gülen-Anhänger heute der türkischen Regierung antidemokratische Werte vor. Doch die Gülen-Bewegung selbst vertritt im inneren Kern der Bewegung eine extrem konservative, teilweise radikale Haltung gegenüber anderen Meinungen. Der Bewegung wird inner- und außerhalb der Türkei vorgeworfen, eine systematische Unterwanderung der türkischen Polizei und Justiz anzustreben, und dadurch einen Staat im Staate errichten zu wollen. Schätzungen zufolge hat sie bis zu acht Millionen Anhänger. Die Zahl ihrer Anhänger in Deutschland wird auf 100.000 geschätzt.


2. SYRIEN

FSA = Freie Syrische Armee – Free Syrian Army
loser Zusammenschluss bewaffneter Gruppen, überwiegend von Deserteuren
der Syrischen Armee sowie von ausländischen Kämpfern und Dschihadisten, gegründet 2011 mit dem proklamierten Ziel des Sturzes Assads. Sollte als
Militär des in der Türkei befindlichen SNC dienen.

Dschabhat Fath asch-Scham = Front für die Eroberung der Levante
Die frühere al-Nusra-Front („Unterstützungsfront für das levantinische Volk“) ist eine dschihadistisch-salafistische Organisation in Syrien. Sie gehörte zunächst al-Qaida an, bis sie am 28. Juli 2016 ihre Trennung von diesem Netzwerk und ihre Umbenennung zu „Dschabhat Fath asch-Scham“ bekanntgab. Sie schloss sich ISIS an und kämpfte im syrischen Bürgerkrieg gegen die Regierung Baschar al-Assads, aber auch gegen Teile der Freien Syrischen Armee (FSA) und kurdische Volksverteidigungseinheiten. Ziel der Trennung von al-Qaida sei es, die Rebellen-fraktionen wieder zu vereinen. Vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wurde
die al-Nusra-Front 2013 als Terrororganisation eingestuft.

SNC = Syrian National Council – Syrischer Nationalrat
syrisches Oppositionsbündnis gegen das Baath-Regime von Baschar al-Assad, hat seinen Sitz in Istanbul und wurde 2011 im Zuge des syrischen Volksaufstandes gegründet. Der SNC ist ein der Türkei und den Golfmonarchien nahe stehender Rat, der eine syrische Exilregierung bilden sollte. Der SNC ist dominiert von Mit-gliedern der islamistischen Muslimbruderschaft und unterstützt die Freie Syrische Armeee (FSA). Der SNC ging später im der NC auf.

NC = National Coalition – Nationale Koalition der Syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte; (auch ETILAF) Oppositionsbündnis im Syrischen Bürgerkrieg, gegründet 2012 in Doha, Qatar. Der Syrische Nationalrat (SNC) ging in dieser Nachfolgeorganisation auf. Im Vorstand befindet sich unter anderem Abdulhakim Bashar von der PDK-S. Der NC wird unterstützt von der Muslimbruderschaft und der FSA. Die Nationale Koalition wird von der PYD abgelehnt.

SMC = Supreme Military Council Nachfolgeorganisation der FSA. Gegründet 2012 in der Türkei. Folge der Konferenz von Doha, Qatar. Breiteres Militärisches Bündnis, an dem etliche jihadistische Gruppen teilnehmen.

HTS = Haiʾat Tahrir asch-Scham – Komitee zur Befreiung der Levante ist ein extremistisch-islamistisches Bündnis verschiedener Milizen, die im Bürgerkrieg
in Syrien kämpfen. Es wird international mehrheitlich als Terrororganisation ange-sehen, unter anderem von der Türkei, Kanada und den USA. Die iranische Regie-
rung vermutet eine Unterstützung der Dschihadisten durch Saudi-Arabien und Katar. Das HTS wurde Anfang 2017 als Reaktion auf die Friedensgespräche in Astana gegründet, hinter denen die Türkei, der Iran und Russland standen. Mit-glieder des Bündnisses lehnen jegliche Friedensgespräche ab, die nicht den Rück-tritt von Baschar al-Assad beinhalten. Von ihren geschätzten 31.000 Kämpfern entfallen 20.000 auf die Dschabhat Fatah asch-Scham. Diese gilt als Nachfolger der al-Nusra-Front und untersteht damit der Chorasan-Gruppe, welche wiederum als syrischer Zweig der al-Qaida gilt. Im September 2018 kontrollierte das Haiʾat Tahrir asch-Scham etwa 60 Prozent der Provinz Idlib im Nordwesten Syriens.
Auch einige Tausend Europäer kämpften in der Dschihadistenmiliz.


3. TÜRKEI

AKP = Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung; gegründet 2001.
Die Partei ist konservativ-islamisch geprägt und weist faschistische und
autoritäre Merkmale auf. Derzeitiger Parteivorsitzender: Recep Tayyip
Erdoĝan. Die AKP stellt seit 2002 die Regierung.

CHP = Republikanische Volkspartei; 1923 von Mustafa Kemal Atatürk gegründet; Vorsitzender ist aktuell Kemal Kılıçdaroǧlu. Die Partei ist kemalistisch orientiert und im Parlament vertreten, hat aber an Be­deutung erheblich verloren.

MHP = Milliyetçi Hareket Partisi – Partei der Nationalistischen Bewegung
Sie wurde 1969 gegründet und ist eine nationalistische Partei in der Türkei. Die MHP gilt als politischer Arm der „Idealisten“ oder „Grauen Wölfe“ des faschisti-schen Parteigründers Alparslan Türkeş. Die MHP ist verbunden mit den vor Gewalt gegen politische Gegner nicht zurück schreckenden „Grauen Wölfen“. Diese sind insbesondere in den 1970er Jahren brutal gegen die linke und revolutionäre Opposi-tion vorgegangen. Aktiv sind die „Grauen Wölfe“ bis heute, auch in Deutschland. Die MHP ist anti-europäisch eingestellt und ihr Hauptfeind die PKK: So fordert der Vorsitzende die Wiedereinführung der Todesstrafe, damit Abdullah Öcalan hinge-richtet werden könne. Seit 2018 ist die Partei der Nationalistischen Bewegung im Wahlbündnis „Volksallianz“ mit der regierenden faschistischen AKP. Mit der MHP stellt die AKP unter Erdoğan die Mehrheit im nationalen Parlament.

Graue Wölfe (türk. Bozkurtlar oder Bozkurtçular) ist die Bezeichnung für türkische Rechtsextremist*innen wie Mitglieder der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) oder der Partei der Großen Einheit (BBP). Sie haben in der Vergangenheit und besonders in den 1970er Jahren zahlreiche Gewalttaten und Morde begangen. Sie bezeichnen sich selbst als „Idealisten“. In der BRD wird die Partei durch drei Dachorganisation vertreten, denen bundesweit rund 303 Vereine mit mehr als 18.500 Mitgliedern angehören. Die älteste in Deutschland aktive Organisation ist die Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland (ADÜTDF) bzw. Türkische Föderation (Türk Federasyon), die als Gründungsmitglied der Türkischen Konföderation in Europa (Avrupa Türk Konfe-derasyon) angehört. Weiterhin werden Mitglieder des Verbandes der türkischen Kulturvereine in Europa (ATB) und der Union der türkisch-islamischen Kultur-vereine in Europa (ATIB) der Bewegung zugerechnet. Auch unorganisierte Natio-nalisten begreifen sich teilweise als „Idealisten“. Die Jugendorganisation der
Grauen Wölfe ist die „Idealisten-Jugend“.

İYİ = İyi Parti – „Gute Partei“
Die İyi Parti ist eine nationalkonservativ bis nationalistische, laizistisch und kema-listisch ausgerichtete Partei in der Türkei. Die Partei sieht sich als Alternative zu den beiden „großen Parteien“ rechts der Mitte, der regierenden islamisch-konser-vativen Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP) und der rechtsextremen Milliyetçi Hare-ket Partisi (MHP). Zum Kern der Parteigründer gehören vor allem ehemalige MHP-Mitglieder, die sich im Zuge des Verfassungsreferendums 2017 der Parteilinie ent-gegengestellt haben bzw. mit der Ausrichtung der Partei unzufrieden sind und nun eine neue nationalistische und kemalistische Partei anstreben. Teil des politischen Programms der Partei sind die Ziele, die Türkei zu einer der zehn größten Volks-wirtschaften zu entwickeln und die Türkei in puncto Vermögensverteilung in die
Top 40 der Welt bringen.

FETÖ = Fethullahçı Terör Örgütü – Fethullahistische Terrororganisation
Als FETÖ wird in der Türkei eine hypothetische terroristische Organisation verfolgt, die von der türkischen Regierung für den Putschversuch in der Türkei 2016 verant-wortlich gemacht wird. Diese Organisation wird der Gülen-Bewegung zugerechnet. Die Strafverfolger gehen davon aus, dass sich in dieser Bewegung ein hierarchisch organisiertes Netzwerk als Geheimgesellschaft gebildet hat, an dessen Spitze der Prediger Fethullah Gülen stehe. Dieses Netzwerk, das den Staatsstreich in Gang gesetzt habe, wird von ihnen als terroristische Organisation qualifiziert und mit dem Namen FETÖ bezeichnet. Nach dem Putschversuch ließ der türkische Staat Säu-berungswellen in den Bereichen Hochschulwesen, Bildungssystem, Militär, Verwal-tung und Polizei durchführen. Sämtliche Maßnahmen hatten das Ziel, den postulier-ten Einfluss der FETÖ zurückzudrängen. Tausende Mitarbeiter*innen, Richter*in-nen, Staatsanwält*innen, Militärs, Polizist*innen und Hochschulprofessor*innen wurden außer Dienst gestellt oder auch festgenommen. Daneben gab es zahlrei-che Durchsuchungsmaßnahmen. Firmen, Bildungseinrichtungen oder Medien, die der Nähe zu Gülen verdächtigt wurden, erhielten einen staatlichen Verwalter. Hand-feste Beweise für die Existenz einer Organisation namens FETÖ oder Terroran-schläge, die in ihrem Namen durchgeführt wurden, liegen nicht vor. Laut der Türkei verfüge die Organisation über Geldmittel in Höhe von 150 Milliarden Dollar und sei primär innerhalb der Armee organisiert.

MIT = Millî İstihbarat Teşkilâtı = Nationale Nachrichtendienstorganisation

Der MIT ist der türkische Nachrichtendienst. Der MIT geht massiv gegen Oppo-sitionelle der Regierungspartei AKP und ethnische oder religiöse Minderheiten,
wie Kurd*innen und Alewit*innen vor, sowohl in der Türkei, als auch im Ausland.
Im Juli 2016 schätzen Experten, dass das Agentennetz des türkischen Geheim-dienstes das der ehemaligen StaSi übertreffe und sich nicht mehr nur mit Auf-klärung, sondern auch mit Unterdrückung befasse.

4. DIASPORA

ATK = Türkische Konförderation Europa
Der ATK ist ein Dachverband für ultranationalistische türkische Organisationen.
Der Vorsitzende ist Cemal Cetin, welcher als Europachef der Grauen Wölfe zu
sehen ist, und am 24. Juni 2018 als Abgeordneter der MHP ins türkische Parla-ment gewählt wurde. Die deutsche Abteilung des ATK ist die ADÜTDF.

ADÜTDF = Avrupa Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyon – Föderation der Türkisch–Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland
Die von der MHP gegründete Türk Federasyon kann als Hauptverband der Grauen Wölfe in Europa bezeichnet werden und setzt sich aus 200 Kultur-, Sport und Ju-gendvereinen, sowie Moscheengemeinden zusammen.

KRM = Koordinationsrat der Muslime in Deutschland
Der KRM wurde offiziell am 28. März 2007 in Köln gegründet nachdem die deutsche Islamkonferenz stattgefunden hat. Der KRM besteht aus der türkisch-islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB), dem Zentralrat der Muslime (ZMD), dem Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland (IRD) und dem Verband islamischer Kulturzentren (VIKZ). Diese Verbände gelten als Hauptansprechpartner der deutschen Politik für Fragen des muslimischen Glaubens. Der KRM repräsen-tiert aber gerade einmal 1/5 aller Muslime in Deutschland. Die genannten Islam-verbände vertreten einen strengen, fundamentalistischen Islam.

DITIB = Diyanet Isleri Türk Islam Birligi – Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion ; wurde 1984 gegründet und vertritt vor allem türkische Sunnit*innen. Sie hat bundesweit mehr als 900 Ortsgemeinden (u.a. Chemnitz), welche sich aus Moscheen mit angeschlossenen Bildungs-, Sport- und Kultur-angeboten zusammensetzen. DITIB untersteht direkt der türkischen Religions-behörde Diyanet und erhält von dort ihre Imane. Die Religionsbehörde untersteht wiederum direkt dem Ministerpräsidenten der Türkei. Ideologisch ist die DITIB absoulut verwerflich, was folgende exemplarische Beispiele belegen. Unter ande-rem produzierte sie 2016 einen Comic für Kinder, welcher den Märtyrertod im Kampf für den türkischen Staat verherrlicht. Bei der Offensive gegen den kurdi-schen Kanton Afrin 2018 fanden auch Propagandaveranstaltungen statt, wo Kinder als Soldaten verkleidet in einem Schauspiel starben und in mit Türkei-Fahnen be-deckten Kindersärgen aus dem Raum getragen wurden. Der Völkermord an den Armenier*innen durch das Osmanische Reich wird von DITIB vehement geleugnet. Nun wird verhandelt, ob DITIB-Imane den islamischen Religionsunterricht an Schulen übernehmen sollen – Imane, welche Verbindungen zum MIT und
den faschistischen Grauen Wölfen aufweisen.

IRD = Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland
Der 1986 gegründete Islamrat ist eine Dachorganisation für (mehrheitlich türkische) sunnitische Muslime. Der Größte Mitgliedsverein IGMG (Islamische Gemeinschaft Milli Görüs) fiel in Berlin (hier: Islamische Förderation Berlin) durch den Mord an Celalettin Kesim auf, der durch Graue Wölfe ermordet wurde. Sie kamen aus der Mevlana Moschee, welche eine der in Berlin betriebenen Moscheen des IGMG ist. Auch Milli Görüs wurde trots islamistischer und faschistischer Tendenzen für den Religionsunterricht in Schulen zugelassen.

ZMD = Zentralrat der Muslime in Deutschland
Der ZMD wurde 1994 gegründet und besteht trotz seiner selbstbetonten „Vielfältig-keit“ muslimischer Gläubiger aus 2/3 ATIB Mitgliedern. Der Rest lässt sich auf die Deutsche Muslim-Liga, die Islamische Gemeinschaft in Deutschland und das Islamische Zentrum Hamburg verteilen. Der ZMD wird stark durch den deutschen Muslimbrüde-Ableger IGM beeinflusst. Der für die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) arbeitende Nahosthistoriker Guido Steinberg verortet den TMD als gemein-sames Projekt der in Deutschland im Exil befindlichen Teile der syrischen und ägyptischen Muslimbruderschaft. Der Zentralrat der Muslime arbeitet eng mit
dem IRD bezüglich des Religionsunterrichtes an Schulen zusammen.

IGM = Islamische Gemeinschaft Deutschland

Die IGM ist der deutsche Ableger der internationalen islamistischen Muslimbruder-schaft. Diese wünscht sich wie oben beschrieben ein förderales, islamisches Welt-reich unter der Führung eines Kalifen (Kalifat), in dem Andersgläubige, Homo-sexuelle, bestimmte ethnische Gruppen uvm. keinen Platz haben.

ATIB = Avrupa Türk-Islam Birligi – Türkisch-Islamischen Kulturverein Europa
Musa Serdar Celebi gründete diesen Verein als Abspaltung zu ADÜTDF, aufgrund vieler Negativschlagzeilen durch diesen Verein in den 90er Jahren. Dies ging auch einher mit der Abspaltung der BBP-Partei der großen Einheit (Büyük Birlik Partisi) von der MHP. Der Vorstand dieser Partei war ebenfalls Celebi. Sie entschieden sich, ihre Aktivitäten nun in eher unauffälligen Vereinen für Sport, Kultur oder Tee-stuben weiterzuführen. ATIB bildet heute das Bindeglied zwischen den klassischen „Grauen Wölfen“, der Erdogan-Lobby und den Moslembrüdern in Deutschland. ATIB ist auch mitbegründer in dem kritischen „Zentralrat der Muslime“ (ZMD), welcher Teil des koordinationsrates der Muslime in Deutschland ist.

MIDU = Muslime in der Union; gegründet 2016
Dieser Verband ist interessant bezüglich der Vernetzung zwischen türkischen Nationalisten und deutscher Politik. Er steht der CDU nahe und ist ausschließlich für sunnitische Muslime zugängig, welche aus einem der großen Islamverbände in Deutschland kommen, wie bspw. DITIB, ZMD oder ATIB. Einer der Begründer des MIDU ist Mehmet Alparslan Celebi, welcher gleichzeitig Vorstand des ATIB-Verbandes und Sohn von Musa Serder Celebi, dem Gründer von ATIB ist.

UETD = Union Europäisch-Türkischer Demokraten (aus Hessen)
Die UETD gilt in Deutschland als AKP-Lobbyorganisation und bringt sich
stark im Wahlkampf für Erdogans AKP ein. Sie haben sogar eigene Wahlkampfveranstaltungen ausgerichtet.

Chronologie des Krieges in Nord- und Ost-Syrien und der Revolution in Rojava (2018 – 2020)


Zu allen Abkürzungen und Namen von Organisationen findet ihr eine kurze Beschreibung in der Übersicht zu kurdischen Organisationen und anderen Parteien in Kurdistan oder in der Übersicht zu faschistischen Organisationen in Kurdistan.


JANUAR 2018

Nach mehrmaligen Drohungen und Bombardements fielen islamistische Milizen
mit Hilfe der türkischen Armee und Luftwaffe am 20. Januar in das bis dahin vom Bürgerkrieg nahezu verschont gebliebene Efrîn ein. Damit begann die türkische Militäroperation mit den zynischen Namen „Olivenzweig“. Am 25. Januar rief die Selbstverwaltung des Kantons das syrische Regime auf, seine Grenzen gegen
die türkischen Angreifer zu schützen. Trotz schwerster Bombardierungen
schafften es YPG und YPJ größere Landgewinne der islamistischen und türkischen Truppen zu verhindern.


FEBRUAR UND MÄRZ 2018

Die SDF unterbrachen die Offensive in Richtung Deir ez Zor und verlegte große Teile ihrer Truppen nach Efrîn und Minbic. Der türkische Staat verschaffte mit seinem Angriff auf Êfrin DAIŞ eine Galgenfrist, die tausende IS-Kämpfer nutzten um unterzutauchen, ins Ausland zu gehen oder Schläferzellen aufzubauen,
welche teilweise noch heute existieren.

Turkish-backed FSA fighters hold Turkish national flag and FSA flags at a checkpoint in Azaz on a road leading to Afrin (01.02.2018)

Nach intensiven Kämpfen, in denen die schwer bewaffnete türkische Armee permanent von der Luftwaffe und zehntausenden jihadistischen Söldnern unter-stützt wurde, konnten die Invasionsstreitkräfte schließlich am 18. März die Kon-trolle über ganz Afrîn übernehmen. Mehrere Hunderttausend Menschen flohen in die Region Şahba und andere Teile von Nordsyrien. Man kann davon ausgehen, dass sowohl die USA als auch Russland dem Einmarsch zugestimmt hatten. Während Russland offenbar den Riss zwischen der Türkei und den USA vertiefen und dabei die NATO schwächen will, wollen die USA Erdoğan bei der Stange halten und die Demokratische Föderation zumindest teilweise von sich abhängig machen.

Die YPG und YPJ sowie die Bevölkerung von Afrîn leisteten 58 Tage einen histori-schen Widerstand. Wohl kein Staat der Region hätte so lange einer türkischen Militäraggression standhalten können. Nachdem die äußeren Verteidigungslinien im Gebirge zusammengebrochen waren und international keinerlei Unterstützung zu erwarten war, entschieden sich die YPG und YPJ dazu, sich aus der Stadt zurück-zuziehen. Die türkische Armee war inzwischen dazu übergegangen, zivile Einrich-tungen, u.a. das Krankenhaus von Afrîn, gezielt zu bombardieren, wo hunderte Verletzte untergebracht waren. Erdoğan erklärte wiederholt, dass die Operation auf den gesamten Norden Syriens ausgedehnt werden würde, als auch auf die anderen Kantone Rojavas – mit der Perspektive, sogar in den Irak einzumarschieren. Auch Luftschläge gegen die ezidische Region Şengal und den Nordirak riefen keine internationalen Proteste hervor.

25 ezidische Dörfer in Afrîn wurden durch die Besatzung der Türkei und ihrer Verbündeten im Frühjahr 2018 weitgehend entvölkert. Es war das letzte zusam-menhängende Siedlungsgebiet von Ezid*innen in Syrien. Die Afrîn-Besetzung durch die türkische Armee im März 2018 hat die meisten Ezid*innen in die Flucht getrieben. Die SOHR (Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte) meldete fast täglich Verstöße gegen die Menschenrechtskonvention durch die islamisti-schen Milizen und belegte diese mit Videos aus den Sozialen Netzwerken, in denen auch immer wieder türkische Militäruniformen auftauchen. Die türkische Regierung schweigt zu diesem Thema.

Am 24. Feburar beschloss der UN-Sicherheitsrat einstimmig einen 30 Tage dauernden Waffenstillstand, von dem der IS, die al-Nusra-Front, al-Qaida und mit ihr verbündete Gruppierungen, sowie andere vom UN-Sicherheitsrat festgelegte Terrororganisationen, ausgenommen waren. Die Türkei kündigte unterdessen an, ihre Militäroffensive trotz der UNO-Resolution fortzusetzen. Am 13. März standen die türkischen Truppen an der Stadtgrenze von Efrîn. Sie kappten die Wasser und Stromversorgung der Stadt. Ab dem 14. März begann die Evakuierung der Stadt-bevölkerung. Am 18. März zogen sich alle in der Stadt verbliebenen SDF-Kämpfer*innen zurück. Der Co-Vorsitzende der Regionalverwaltung des Kantons verkündet in einer Fernsehansprache den Guerilla-Krieg, der andauern wird, bis sich alle Besatzer aus Efrîn zurückgezogen haben.


MAI BIS OKTOBER 2018

Die „Befreiungskräfte Efrîns“ (HRE) gründeten sich und führen bis heute einen erfolgreichen Guerilla-Krieg gegen die Besatzungstruppen in Efrîn.

Logo der HRE

Im Sommer 2018 haben die DFNS und der MSD mit der syrischen Regierung die bisher umfassendsten Gespräche über einen Frieden und eine politische Lösung in Syrien begonnen. Ohne eine Übereinkunft, dessen sind sich beide Seiten bewusst, kann sich der Krieg weitere Jahre in die Länge ziehen – mit ungewissem Ausgang. Diesen Gesprächen stellen sich die USA und Russland offenbar nicht entgegen, während die Türkei dies verhindern möchte. Ob es wirklich zu einem Friedens-schluss kommt, ist angesichts der vielen Risikofaktoren schwer abzuschätzen.

Es kam zu Gefechten mit dem Regime, wie am 8. September 2018 in Qamişlo
in der Nähe des immer noch vom syrischen Staat kontrollierten Flughafens.
Sieben Mitglieder der Sicherheitskräfte [der Autonomieverwaltung] Asayîş kamen
ums Leben als Soldaten des Regimes versuchten, kurdische Jugendliche zum Militärdienst zu zwingen.

Die Offensive gegen DAIŞ in Richtung Deir ez Zor wurde wieder aufgenommen. Nachdem Ende des Sommers die SDF nahezu das gesamte Gebiet im Norden der Stadt Deir ez Zor vom IS befreit hatten und dieser die Stadt im Süden kaum noch gegen die Regime-Truppen halten konnte, griff die Türkei in der Region um Kobanê an. Dadurch brach die SDF die Offensive abermals ab um sich auf eine mögliche türkische Invasion vorzubereiten.

Am 15. August 2018 wurde Zekî Şengalî aus der Leitung der YBŞ
(Widerstandseinheiten Şengal) im nordirakischen Şengal Ziel des Angriffs
einer türkischen Bayraktar TB2 Drohne.

Sehid Zekî Şengalî

ANF: PKK-Erklärung zum Anschlag auf Zekî Şengalî


DEZEMBER 2018

Am 12. Dezember gab die Türkei bekannt, unter Billigung US-amerikanischer Verluste in die Gebiete der Autonomieverwaltung östlich des Euphrat ein-marschieren zu wollen.

Am 14. Dezember meldeten die SDF die Eroberung von Hadschin, der letzten größeren Ortschaft in Syrien, die noch unter Kontrolle der Terrorgruppe IS stand.


FEBRUAR UND MÄRZ 2019

Nachdem in der Region mehr als 20.000 Zivilisten evakuiert worden waren, starteten die SDF mit US-Unterstützung am 9. Februar eine Offensive gegen die letzten verbliebenen IS-Stellungen mit Schwerpunkt im Ort al-Baghuz Fawqani. Am 16. Februar nahmen die SDF das Dorf al-Baghuz Fawqani ein und reduzierten somit das letzte verbliebene Gebiet in Syrien, das unter Kontrolle von DAIŞ
stand, auf eine Fläche von 5 km².

Am 19. Februar unterbrachen die SDF ihre Offensive, um Kämpfern und
Zivilisten die Möglichkeit zur Aufgabe zu bieten. Am 6. März gaben etwa 2000
IS-Kämpfer und ihre Familien auf und ließen sich von der SDF festnehmen. Dazu konnten dutzende Jesid*innen befreit werden, die von DAIŞ als Sklav*innen gehalten worden waren. Am 13. März ergaben sich weitere 3000 Kämpfer
und ihre Familien der SDF.

Am 19. März drangen SDF-Kämpfer*innen auf das Gelände mit der Zeltstadt
vor, das DAIŞ-Kämpfer bis zuletzt verteidigt hatten. Die folgenden Tage kam es
nur noch zu einzelnen Schusswechseln in dem verzweigten Tunnelsystem,
welches der IS angelegt hatte.

Am 21. März, dem kurdischen Newroz-Fest, welches den höchsten Feiertag in der kurdischen Kultur und generell ein wichtiges Datum in Mesopotamien darstellt, konnten die SDF den territorialen Sieg über den „Islamischen Staat“ feiern.


SOMMER 2019

Türkische Agenten legten fast täglich Brände in Weizenfeldern und zerstörten
somit über die Hälfte der Getreideernte. In Efrîn brannten türkische Agenten
tausende Olivenbäume nieder, passend zum Namen des Angriffs auf Efrîn (Operation „Olivenzweig“).

Die Antiterroreinheit der SDF nahmen über 50 Islamisten von
DAIŞ-Schläferzellen gefangen.


9. OKTOBER 2019

Der türkische Staat begann mit Hilfe der aus islamistischen und faschistischen Milizen bestehenden SNA („Syrische National-Armee“) die militärische Invasion „Operation Friedensquelle“ zwischen Girê Spî und Serêkaniyê, nachdem zwei
Tage zuvor der Abzug der dort stationierten US-Truppen begann.

Unter türkischem Oberbefehl nach Nordsyrien entsandte sunnitische Milizen präsentieren im Oktober 2019 die FSA Flagge.


OKTOBER BIS DEZEMBER 2019

Bis zum 12. Oktober haben die türkischen Truppen und ihre Proxys Serêkaniyê und 14 Dörfer eingenommen. Am 13. Oktober eroberten die SDF Serêkaniyê zurück. Am 22. Oktober handelte der russische Präsident mit der AKP-Führung einen Waffenstillstand über Nordsyrien aus. Das Abkommen von Sotschi umfasst den Rückzug der SDF und die Besatzung des Gebietes von Girê Spî bis Serêkaniyê auf eine Tiefe von 30 km durch die Türkei. Am 24. Oktober ziehen sich die letzten SDF-Kämpfer*innen aus Serêkaniyê zurück, um der Einkesselung zu entgehen. Die wichtige Verkehrsstraße „M4“ bleibt durch den entschlossenen Widerstand der SDF unter Kontrolle der Autonomieverwaltung.

Aus dem Gefängnis-Lager Ain Issa flohen mehrere Hundert Frauen, die DAIŞ angehören, mit ihren Kindern.

Die Autonomieverwaltung vereinbarte mit dem Syrischen Regime, dass Regime-Truppen in Kobanê und Minbic zur Sicherung der Grenze und für den Kampf gegen die türkischen Truppen stationiert werden dürfen. Einen Tag später übernahmen die Truppen des Regimes die US-Kasernen in den beiden Städten.

In der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober töten Einheiten der Delta Force zusammen mit Kräften der Antiterror-Einheit der SDF, welche auch die Vor- und Recherchearbeit machten, den „Kalifen des DAIŞ“ Abu Bakr al-Baghdadi.

Die vereinbarte Waffenruhe ist de facto nie in Kraft getreten und so gehen die Angriffe der SNA-Milizen täglich weiter. Infolge der Angriffe sind schätzungsweise 2000 IS-Kämpfer aus mehreren Gefängnissen ausgebrochen und DAIŞ fängt an sich zu reorganisieren. Ab Mitte November kam es täglich zu neuen Anschlägen des IS in Syrien und dem Irak. Die Gefechte um Til-Temir, Ain Issa und südlich von Serêkaniyê zwischen der SNA und der SDF gehen weiter.


JANUAR 2020

Die Gefechte um Til-Temir, Ain Issa und um die Handelsroute M4 gehen weiter. Nahezu 400.000 Binnenflüchtlinge sind durch die türkische Invasion in andere Teile Nord- und Ost-Syriens geflohen. Ca. 600 Zivilisten*innen sind durch die Angriffe der türkischen Armee und die SNA-Truppen umgekommen. Dutzende Schulen und Krankenhäuser wurden durch die türkische Luftwaffe bis zur Vernichtung bombar-diert. Die Trinkwasserversorgung ist in vielen Gebieten zerstört oder nur einge-schränkt möglich. In den besetzten Gebieten herrscht die SNA mit türkischen Beamten und die islamistische Auslegung der Sharia ist als Rechtsprechung eingeführt worden. Alle Errungenschaften der Revolution, wie etwa für die Gleich-stellung der Frau sind abgeschafft worden. Die Selbstverwaltung wird nicht zugelassen. Es kommt, wie in Efrîn, täglich zu Plünderungen, Entführungen mit Lösegelderpressungen, Versklavungen, sexueller Gewalt, Hinrichtungen und Schaustellung von Leichen oder Körperteilen.