Dreimonatsbilanz der Besatzung von Girê Spî


Zu allen Abkürzungen und Namen von Organisationen findet ihr eine kurze Beschreibung in der Übersicht zu kurdischen Organisationen und anderen Parteien in Kurdistan oder in der Übersicht zu faschistischen Organisationen in Kurdistan.


Quelle: ANF, 30.Januar 2020

Die Nachrichtenagentur ANHA veröffentlichte eine Dreimonatsbilanz der Besatzung von Girê Spî durch die türkische Armee und Söldner der sogenannten Syrischen Nationalarmee (SNA). Aufgrund der am 9. Oktober 2019 einsetzenden Invasion sind mindestens 300.000 Menschen in Nord- und Ostsyrien in die Flucht getrieben worden. Berichte aus der Region zeugen von alltäglichen schweren Menschenrechtsverletzungen.

Dschihadisten in besetzen Gebieten in Rojava


Vertreibung und „ethnische Säuberung“

Das türkische Regime hat tausende Menschen aus Girê Spî vertrieben und verfolgt das Ziel, die Bevölkerungsstruktur nachhaltig zu verändern. Anstelle der Vertrie-benen wurden Dschihadisten und ihre Familien angesiedelt. Der türkische Staat bezeichnet diese Dschihadisten immer wieder als die ursprünglichen Besitzer der Stadt. Es handelt sich jedoch um Personen aus Azaz, Cerablus, al-Bab und Idlib. Laut ANHA wurden alleine in den Vierteln Leyl und Djawish 180 Familien von Dschihadisten angesiedelt. Außerdem wurden etwa 500 aus dem Gewahrsam der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) in die Türkei entflohene IS-Dschihadisten durch den türkischen Staat als SNA-Söldner in Girê Spî eingesetzt. Nach der Bombardierung des Camps Ain Issa durch die türkische Luftwaffe entkommene
IS-Frauen wurden in den Orten Ain Erus, Leyl, Ermen und Cisir angesiedelt.

Türkisierung der Stadt

Die Besatzungstruppen richteten sich zunächst gegen die historischen Strukturen und die wichtigen Institutionen der Stadt. So wurde an allen Schulen Türkisch als verpflichtende Unterrichtssprache eingeführt und muttersprachlicher Unterricht verboten. Straßen, Plätze, Schulen, Krankenhäuser und Dienstleistungs-einrichtungen wurden systematisch nach Dschihadisten oder auch mit militaristischen türkischen Namen umbenannt und vielerorts türkische
Fahnen gehisst. Darüber hinaus wurden türkische Ausweise verteilt,
während Personen mit syrischen Ausweisen festgenommen werden.

Hungersnot in der Stadt

In der Stadt herrscht Hunger und es kommt immer wieder zu Protesten gegen die sich kontinuierlich verschlechternde wirtschaftliche Lage. Die Lebensbedingungen sind katastrophal. Die Versorgung mit Strom und Brennstoff ist nicht gegeben. Insbesondere das Fehlen von Trinkwasser und Brot macht das Leben schwer. Die Menschen müssen Stunden anstehen, um Brot zu erhalten. Die Silos und Lager-stätten der Dorfbevölkerung wurden von den SNA-Söldnern geplündert. So wurden aus dem Lager Dihêz 50.000 Tonnen Getreide gestohlen. Das Qizelî-Depot ist durch die Angriffe unbenutzbar. Diese Politik wird vom türkischen Staat bewusst umgesetzt, um die Menschen in Flucht zu zwingen.

Entführungen und extralegale Hinrichtungen

Immer wieder kommt es zu Entführungen im Zusammenhang mit Lösegeld-erpressungen, aber auch zu extralegalen Hinrichtungen.

So wurden die Söhne des ehemaligen Leiters des Ain-Issa-Camps, Heyen Ayaf (16) und Abdulrahman Ayaf (18), entführt. Die Dschihadisten verlangten ein hohes Lösegeld. Die jungen Männer sind bis heute verschwunden.
Aus dem arabischen Stamm der Abu Asaf wurden zehn Zivilisten verschleppt, aus dem Dorf Dadat Dutzende mehrheitlich turkmenische Jugendliche.
Ein Zivilist, der bei Sukeriye Hilfsgüter an Dorfbewohner verteilte, wurde verschleppt. In Zeydî, etwa 30 Kilometer entfernt von der Gemeinde Silûk, stürmten SNA-Söldner fünf Wohnungen und entführten 20 Personen, die meisten davon Minderjährige. Die anderen arabischen Familien aus dem Dorf wurden vertrieben. Auch im Dorf Ain Erus wurden Häuser gestürmt und eine unbekannte Zahl von Jugendlichen verschleppt. Die SNA-Dschihadisten plündern Läden und ermorden Zivilist*innen. In Erîda wurden Mahmud Zahir (60) und Berho Elo (65) aus bisher unbekanntem Grund getötet. Ein weiteres Beispiel ist der Taxi-Fahrer Ammar Haci, der entführt und von den Dschihadisten grausam ermordet wurde.

Folter und Haft für Kinder und Jugendliche

Aus dem Dorf Celkê wurde Mihemed Bozan Seyid entführt. Er wurde tagelang von den SNA-Milizionären gefoltert. Anschließend sind vier weitere Kinder im Alter von 13 bis 15 Jahren entführt worden. Obwohl das Dorf umstellt war, konnten die übrigen Familien sichere Gebiete bei Ain Issa erreichen. Von den Kindern gibt es keine Nachricht. Nach Angaben lokaler Quellen befinden sich in den Dörfern bei Girê Spî Gefängnisse, in denen Kinder und Jugendliche gefoltert werden.

Frauen zur Verschleierung gezwungen

Mit der Rückkehr der IS-Dschihadisten hat auch die Gewalt gegen Frauen zugenommen. Frauen werden wieder gezwungen, sich zu verschleiern. So kam es beispielsweise im Cisir-Viertel zu einem sexualisierten Angriff durch SNA-Milizionäre. Auf protestierende Anwohner*innen wurde das Feuer eröffnet. Aus dem Dorf Hiwecaye wurden drei Frauen entführt. Yara Ahmed aus der Gemeinde Ain Erus wurde entführt und gefoltert.

Fadiya Şerîf Xelîl aus der Leitung eines Camps für Binnenflüchtlinge aus Girê Spî berichtet ebenfalls, dass sich die Situation für Frauen in den besetzten Gebieten massiv verschlechtert habe. Frauen, die noch in den besetzten Gebieten leben, seien systematischer Gewalt ausgesetzt und keine Menschenrechtsorganisation helfe ihnen.

ANF, Serêkaniyê: Sexualisierte Gewalt durch Besatzungstruppen, 29.01.20

Aufstände unter der Parole „Besatzer raus“

Nach brutalen Angriffen des türkischen Staates haben insbesondere auch arabische Stämme die Region verlassen. Verbliebene Mitglieder des Begare-Stammes waren Angriffen der SNA-Milizionäre ausgesetzt. Nach mehreren Morden haben auch dessen Angehörige die Region verlassen. Dennoch taucht den Wänden der Stadt die Parole „Tod Erdoğan“ und „Besatzer raus“ auf. In Silûk, Ain Erus, Ali Baciliye und im Zentrum von Girê Spî fanden trotz der oft tödlichen Repression Protestaktionen statt. Fawad Ali aus Girê Spî erklärt: „Die arabischen Stämme lehnen die türkische Besatzung ab. Niemand darf gegenüber den Verbrechen des türkischen Staats schweigen. Durch die Entschlossenheit der Völker und ihren Aufstand werden die Besatzer besiegt werden. Die Stämme in Girê Spî müssen ihren Protest gegen die Türkei aufrechterhalten.“

Milizionäre werden nach Libyen geschickt

Ein Teil der SNA-Söldner wird von der Türkei zur Unterstützung des dortigen Muslimbruderregimes nach Libyen geschickt. Nach Angaben aus der Region wurden fast 1.000 Söldner von Girê Spî nach Libyen verlegt. Den islamistischen Truppen wird dafür ein Sold von 2.000 Dollar monatlich versprochen.

Forderungen der Aktivist*innen im Rahmen der CDU-Besetzung

Diese Forderungen wurden während der Besetzung am 25.10.19 von den Aktivist*innen verlesen und von zahlreichen Medien aufgegriffen.

Internationalist*innen am Fenster des CDU-Büros

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FORDERUNGEN AN DIE INTERNATIONALE GESELLSCHAFT

1. Wir fordern eine breite, intensive und weltbewegende Solidarität mit Rojava!
Wir rufen auf, zu einer umfangreichen Verteidigung der Menschen in Syrien
und einer einzigartigen Revolution in Rojava.

2. Wir fordern eine aktive militärische Intervention an der Seite der SDF gegen den Genozid Erdogans an den Völkern Nord- und Ostsyriens, sowie die sofortige Einrichtung einer permanenten Flugverbotszone über Nord- und Ostsyrien.

3. Wir fordern den sofortigen Abbruch jeglicher Maßnahmen zur Einrichtung einer türkisch-russischen Besatzungszone an der Grenze von Syrien zur Türkei.

4. Aufgrund der Bedrohung, welche der IS und verbündete jihadistische Milizen,
für die ansässige Bevölkerung und auch die internationale Gesellschaft darstellen, fordern wir die Verfolgung der sich in Händen der SDF befindlichen, sowie aufgrund der türkischen Invasion geflohenen IS Dschihadisten vor einem, einzig für diesen Zweck neu gegründeten, internationalen Gerichtshof.

5.
Wir fordern von allen Staaten und Rüstungsunternehmen weltweit die vollständige Einstellung des Exports von Waffen und Kriegstechnik an den türkischen Staat, sowie an dessen alliierte Kriegsparteien und Regierungen,
die den Jihad unterstützen.

6. Außerdem fordern wir den sofortigen Abbruch jeglicher politischen und wirtschaftlichen Kooperation, sowie Handelsbeziehungen mit dem türkischen
Staat und der AKP-MHP-treuen wirtschaftlichen Elite.

7. Wir fordern von der Bevölkerung den konsequenten Boykott türkischer
Produkte, Dienstleistungen und Institutionen. Demnach fordern wir die
Gesellschaft auf, Reisen in die Türkei zu unterlassen.

8. Wir fordern die Regierungen auf, die Türkei als unsicheres Reiseziel einzustufen.

9. Wir fordern internationale Akteure auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden
mit einer Sanktionierung des faschistischen AKP-MHP-Regimes aufgrund seiner kriegerischen Vernichtungswut gegen ethnische Minderheiten, Völkermord und Verstößen gegen internationale Konventionen.

10. Des Weiteren fordern wir die zeitnahe Verurteilung der Befehlshabenden der türkischen Invasion vor dem internationalen Gerichtshof für Kriegsverbrechen wegen systematischer Vernichtung der Zivilbevölkerung in Rojava.

11. Wir fordern eine UN Resolution gegen die Türkei wegen Verstößen
gegen das Menschenrecht, gegen das Kriegsrecht, gegen das internationale
Völkerrecht und gegen die Genfer Konvention.

12. Wir fordern von der Europäischen Union die sofortige Einstellung von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und damit einhergehende finanzielle Subventionen der EU an den türkischen Staat.

13.
Wir fordern die Aufhebung des „Flüchtlings-Deals“ der Bundesregierung mit
der Türkei mit all seinen Bedingungen und Leistungen, sowie die bedingungslose Aufnahme aller Geflüchteter aus der Türkei, Syrien und jedem anderen Land.

14. Wir fordern einen sofortigen Abschiebestopp der Bundesregierung und der
EU in die Herkunftsländer Türkei und Syrien, sowie alle anderen Länder.

15. Wir fordern eindringlich den Abzug der 3000 in Deutschland
stationierten MIT-Mitarbeiter*innen.

16.
Wir fordern die Aufhebung des 1994 erlassenen PKK-Verbots der Bundesregierung und die Entkriminalisierung kurdischer Fahnen und Symbole, kurdischer Kultur und Veranstaltungen!

17. Wir fordern die sofortige Einstellung und Revision der Verfolgung von Kurd*innen und anderen Personengruppen, welche sich der Befreiungs-
bewegung zugehörig fühlen.

18. Aus tiefstem Herzen fordern wir die sofortige Freilassung des 70-jährigen,
seit 21 Jahren in nahezu vollumfänglicher Isolation gefangen gehaltenen,
Vorreiters der Freiheitsbewegung in Kurdistan – Abdullah Öcalan!

19.
Wir fordern die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen
in der Türkei und überall!

20. Wir fordern von der CDU/CSU die sofortige Amtsenthebung und den Parteiausschluss für CDU/CSU-Mitglieder, welche in Vergangenheit und Gegenwart nachweislich türkische Faschist*innen unterstützt haben, in türkisch-nationalistischen Vereinen tätig waren oder Verbindungen zu anderen türkischen faschistischen Organisationen wie den Grauen Wölfen oder DITIB pflegen.

Stoppt die Massaker! Stoppt den Krieg! Stoppt den Genozid!

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